Darf ein Deutscher sich heute eigentlich noch Patriot nennen? Oder ist das "pfui"?
"Was? Du bist ein Patriot? Das hätte ich von dir nicht gedacht! Diese Zutat der unsäglichen braunen Suppe gehört doch schon längst in den Ausguss!"
Ja, der Begriff Patriotismus war mal mit etwas Ehrenhaftem verbunden. Inzwischen allerdings führt der Begriff ein negativ konnotiertes Nischendasein in Deutschland. Bekennende Patrioten werden ruck zuck in die rechte Ecke befördert. Nationalistische, reaktionäre Gewänder werden ihnen übergeworfen. Zurecht???
Maybrit Illner würde sagen: Wir müssen reden!
Jeder Mensch will irgendwo zu Hause sein, will sich in einer Sphäre bewegen, in der er sich sicher und wohl aufgehoben fühlt. Ein meiner Ansicht nach Grundbedürfnis des Menschen. Dieses Zuhause besitzt bei jedem allerdings eigene Schwerpunkte, es umfasst geistige und nicht-geistige Heimataspekte. In dem Zuhause versammeln sich geliebte Menschen, die Familie, Freunde, das Wohnumfeld mit Bebauung, Straßen, kultivierten Flächen und der Natur, Weltanschauungen und andere Gedankengebäude , Bücher, der Beruf u.v.m.. Heimat ist da, wo ... - jeder setzt seine eigenen Schwerpunkte, definiert für sich, bewusst oder unbewusst, seine Zuhause-Struktur, in die er sich einbettet.
Und zu dieser Struktur gehört bei vielen Menschen sicherlich der Patriotismus, eine in Deutschland umstritten gewordene Haltung. Darf man sich eigentlich noch als Patrioten bezeichnen, ohne sofort stigmatisiert zu werden? Sich ausdrücklich zur Liebe zum Vaterland zu bekennen, löst bei manchen Menschen reflexartige Abwehrmechanismen aus.
Was ist Patriotismus und wie ist er zu bewerten?
Wikipedia schreibt:
"Als Patriotismus wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Heimat oder dem Vaterland bezeichnet, häufig bezieht er sich auf die Nation. Im Deutschen wird anstelle des Lehnwortes auch der Begriff Vaterlandsliebe synonym verwendet.
Diese Bindung wird auch als Nationalgefühl oder Nationalstolz bezeichnet und kann sich auf ganz verschiedene als Merkmale der eigenen Nation angesehene Aspekte beziehen, etwa ethnische, kulturelle, politische oder historische.
Im Unterschied zu einer historisch-kulturellen Bindung steht der Verfassungspatriotismus für das positive Bekenntnis zu den in einer staatlichen Verfassung verankerten übernationalen ethischen und politischen Grundrechten und Wertvorstellungen. Diese beziehen sich in der Tradition westlicher Rechtsstaaten auf die unveräußerliche Menschenwürde und davon abgeleitete Menschenrechte, für die universale Geltung beansprucht wird."
In einem Arbeitspapier aus dem Jahr 2016 schrieb Hans-Peter von Kirchbach, von 1999 bis 2000 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2013 Präsident der deutschen Johanniter-Unfall-Hilfe:
"Der Begriff Patriotismus gilt seit vielen Jahren als diskreditiert oder politisch inkorrekt. Sprach Helmut Kohl während seiner Kanzlerschaft von „Patrioten“ wurde er nicht selten als nostalgisch oder gar als ewig gestrig kritisiert. Heute leidet der Begriff darunter, dass politische Bewegungen wie die AfD sich seiner bemächtigt haben. Was aber heißt Patriotismus jenseits möglicher nationalistischer oder populistischer Verdächtigungen – und was bedeutet der Begriff aus der Sicht von Soldaten?
Der Begriff Patriotismus ist ins Gerede geraten. Populistische und rechte Gruppen, „PEGIDA“ zum Beispiel, haben sich des Begriffs bemächtigt, und verbinden damit eine Ablehnung von Flüchtlingen oder auch eine offen fremdenfeindliche Haltung. Mit dem Anknüpfen an die Montagsdemonstrationen und dem Ruf „Wir sind das Volk“ gebrauchen solche Gruppierungen auch ohne Skrupel Parolen und Symbole der friedlichen Revolution oder berufen sich auf die christliche Religion.
So ist gelegentlich eine Scheu zu beobachten, den Begriff Patriot für sich in Anspruch zu nehmen, mag man sich doch nicht in eine Gesellschaft von Menschen begeben, die Patriotismus und Nationalismus oder Chauvinismus nicht unterscheiden können oder wollen. Wir Deutsche tun uns auch deshalb mit einem unbekümmerten Bekenntnis zu unserem Staat schwer, weil unsere Geschichte eine gebrochene Geschichte ist, weil Nationalsozialismus und Holocaust Teil dieser Geschichte sind, weil wir eine Periode der Teilung hinter uns haben, weil wir an das, was vorher war, nicht ohne Weiteres anknüpfen können und weil der Begriff Patriotismus in unserer Geschichte z.B. durch den Nationalsozialismus sträflich missbraucht und als Vehikel zur Verbreitung der nationalsozialistischen Lehre genutzt wurde.
Wir haben seit 1990 ein gesamtdeutsches Parlament, das aus freien Wahlen hervorgegangen ist, wir haben eine bundesstaatliche Ordnung in ganz Deutschland, wir leben in einer Rechtsordnung und unter einer Verfassung, dem Grundgesetz. Da ist es sinnvoll, zu fragen, was uns eigentlich zusammenhält, was Dienen im demokratischen Staat, in unserem demokratischen Staat ausmacht, wie wir als Staatsbürger im vereinten Deutschland zusammenleben, einem Staat, der seine Rolle in der Welt ausüben soll und will.
Diese Betrachtung geht von einer Definition des Patriotismus aus, die ein damals bekannter Theologe, Gelehrter und Dichter Michael Richey, Mitglied der „Patriotischen Gesellschaft“ in der in Hamburg erscheinenden „moralischen“ Zeitschrift „Der Patriot“ im Jahre 1724 gebraucht hat. Er formulierte, ein Patriot sei ein Mensch, „dem es um das Beste seines Vaterlandes ein rechter Ernst ist, einer, der dem gemeinen Wesen redlich zu dienen beflissen ist“. 1742 bezeichnete er einen Patrioten als „Stadtfreund“ und hatte dabei möglicherweise die Bibel, Jeremia 29 V 7 mit der Aufforderung „Suchet der Stadt Bestes“ im Auge.
Johann Moritz Gericke formulierte 1782, dass „Patriotismus derjenige starke innere Antrieb sei, der das Beste des Staates zum Augenmerk hat, und seine Wohlfahrt auf alle mögliche Art zu befördern sucht.“ Von hier bis zur Aufforderung John F. Kennedys „Fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, sondern fragt, was Ihr für Euer Land tun könnt“ ist es nur ein kurzer Weg.
Eine klare Abgrenzung des Patriotismus zum Nationalismus hat der damalige Bundespräsident Johannes Rau in einer Rede 1999 vorgenommen: „Ich will nie ein Nationalist sein“, formulierte er, „ein Patriot aber wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, in Europa und in der Welt.“
Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler sagte nach seiner Wahl vor der Bundesversammlung nicht nur den bekannten Satz: „Ich liebe unser Land“, sondern führte in derselben Rede aus: “Patriotismus und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sie bedingen einander. Nur wer sich selbst achtet, achtet auch andere.“
Völlig unpathetisch drückte es Richard Schröder in seinem Buch „Einsprüche und Zusprüche“ so aus: „Ich bin gerne Deutscher“ und „auch jetzt noch halte ich den Fall der Mauer für Wahnsinn“. Im Vorwort zu diesem Buch forderte er, das Thema Nation nicht den Falschen zu überlassen.
Wir dürfen also Patrioten sein und unser Vaterland lieben. Dies ermöglicht uns in gleicher Weise, von diesem festen Stand aus, anderen Völkern und Menschen mit Respekt und Achtung zu begegnen. Wir können und werden zu aktuellen Fragen der Tagespolitik viele verschiedene Meinungen haben. Aber wir sollten Patrioten, keine Nationalisten sein. Niemand sollte Vaterländer von anderen herabsetzen oder Menschen wegen ihrer Andersartigkeit verachten. Im Gegenteil, die Liebe zu unserem Land macht uns bereit und fähig andere zu respektieren und zu achten."
Bürgerreporter:in:Helmut Feldhaus aus Rheinberg |
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