Moratorium und Runder Tisch zur Beschneidung von einwilligungsunfähigen Jungen
Statement von Eran Sadeh, Gründer von Protect the Child, Israel, anläßlich der Pressekonferenz am 12.9.2012
Shalom
Mein Name ist Eran Sadeh. Ich bin Israeli. Ich bin Jude.
Ich bin aus Israel gekommen, um an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Mitglieder des Deutschen Bundestages und die deutschen Bürgerinnen und Bürger und alle Eltern weltweit zu appellieren, die beabsichtigen, ihr Kind beschneiden zu lassen.
Ich wurde vor 43 Jahren in Tel Aviv als ein gesundes Baby mit einem perfekten Körper geboren. Acht Tage nach meiner Geburt drückte ein Mann meine winzigen Beinchen nach unten während ein anderer Mann ein Stück meines Penis mit einem Messer abschnitt.
Ich hatte Schmerzen, ich schrie, ich blutete. Es ist vorbei. Aber der Teil, der von meinem Penis abgeschnitten wurde, ist für immer weg.
36 Jahre später wurde mein Sohn geboren. Zwei Tage vor seiner geplanten Beschneidung, während der Suche nach Empfehlungen für die Wahl eines Mohel-Arztes, stieß ich auf folgenden Absatz aus dem „The Guide for the Perplexed“ von Maimonides, dem großen jüdischen Philosophen:
„Was die Beschneidung angeht, so bin ich der Meinung, dass eines ihrer Ziele die Einschränkung des Geschlechtsverkehrs und die, soweit wie möglich, Schwächung des Fortpflanzungsorgans ist, um die Mäßigung des Mannes zu erwirken. Manche Menschen glauben, mit der Beschneidung wird ein Defekt im männlichen Körperbau behoben, aber darauf kann man einfach erwidern: Wie können Werke der Natur so fehlerhaft sein, dass sie einer externen Ergänzung bedürfen, zumal der Nutzen der Vorhaut für dieses Organ so eindeutig ist. Der körperliche Schaden, der diesem Organ zugefügt wird, ist genau der gewünschte. Dies ist, so glaube ich, der beste Grund für das Gebot der Beschneidung.“
Ich war schockiert. Ich begriff, dass die jüdische Motivation für die Beschneidung die Verringerung des sexuellen Vergnügens war, dieselbe Motivation, die hinter der weiblichen genitalen Beschneidung steht.
Ich war so verblüfft über den Text, dass ich jede auffindbare Information über den Teil, der von meinem Penis abgeschnitten wurde, gelesen habe. Je mehr ich las und die Anatomie sowie Funktion der Vorhaut verstand, desto schwieriger wurde es, sich der schmerzhaften und bestürzenden Einsicht zu entziehen, dass mein Penis beschädigt und in seiner Fähigkeit Lust zu empfinden geschwächt wurde und dass ich nie in der Lage sein würde, Sex so genießen zu können, wie die Natur es vorgesehen hat.
Durch die Amputation der Vorhaut wird höchst erogenes Gewebe, bei einem erwachsenen Mann entsprechend der Größe einer Scheckkarte entfernt. Ein Mann, dem das schützende Gewebe des Penisschafts fehlt, spürt weniger Vergnügen, weil ihm die tausende von Nervenenden fehlen, die mit dem amputierten Gewebe entfernt wurden. Die Vorhaut dient als schützende Hülle, die den Penisschaft hinauf und herunter gleitet, die Reibung verringert, die spezialisierten Nervenenden sowieden Peniskopf stimuliert und somit den Geschlechtsakt für beide Partner bequemer und angenehmer macht.
Des Weiteren las ich mit Ekel die Beschreibung der jüdischen rituellen Beschneidung inklusive der peri’ah, das Abschaben der inneren Vorhaut von der Eichel, was mit den Fingernägeln des Mohels durchgeführt wird (dieser lässt die Fingernägel zu diesem Zweck länger wachsen und schärft diese) und der metiztzah b’peh (bei der der Mohel den blutenden Penis in den Mund nimmt und das Blut absaugt).
Bitte vergegenwärtigen Sie sich: Es handelt sich dabei um zwingende Erfordernisse nach jüdischem Recht.
Ich fand Berichte darüber, dass alleine in Israel hunderte von kleinen Jungen zu Notaufnahmen und Operationssälen gefahren werden, um dort Komplikationen nach der Amputation der Vorhaut zu behandeln.
Ich erfuhr aus Studien, dass der Schmerz, den Babys während der Beschneidung erleiden, traumatisch ist und die Reaktion auf Schmerz im späteren Lebensverlauf beeinflusst. Ich las Aussagen von Müttern über das Schreien ihrer Söhne während des Heilungsprozesses, wenn die offene Beschneidungswunde in Kontakt mit Urin kommt. Um das Ausmaß des Schmerzes und Leidens nachzuvollziehen, muss man nur Zeuge einer Beschneidung sein und dem Baby beim Schreien und hilflosem Rudern mit den Ärmchen zusehen.
Ich lernte auch, und das war sehr beruhigend, dass sich Juden sowohl in Israel als auch weltweit in immer größerer Zahl dazu entschließen ihre Söhne unversehrt zu lassen. Dank all der Informationen, die mir an dem Tag offenbart wurden, entschieden meine Frau und ich unseren Sohn unversehrt zu lassen. Daher rief ich den Mohel-Arzt an und sagte die geplante Beschneidung ab.
Wie Sie sehen, ist Beschneidung nichts anderes als ein Euphemismus für die gewaltsame Amputation eines gesunden Körperteils eines hilflosen Kindes, für das Zufügen eines unwiderruflichen körperlichen Schadens und Schmerzes sowie für die Tatsache, das Kind einem Risiko auszusetzen.
All dies im Namen von Religion und Tradition.
Das wird in einem Land nicht passieren, das die Menschenrechte von Kindern, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit, und deren Recht auf gleichen Schutz durch das Gesetz achtet. Jüdische Religionsvertreter in dem Versuch jegliche Kritik an Beschneidung abzuwehren, bezichtigen Deutschland des Antisemitismus. Diese Anschuldigung verurteile ich.
Ich und viele anderen in Israel glauben, dass die entstandene Bewegung mit dem Ziel, die Beschneidung von Minderjährigen in Deutschland zu verbieten, ein Ziel, welches von der Mehrheit der Bevölkerung hier unterstützt wird, nichts mit Antisemitismus aber dafür mit dem Respekt der Menschenrechte von Kindern zu tun hat.
Es ist wichtig zu wissen, dass Beschneidung keine Voraussetzung für die jüdische Identität ist. Entsprechend der jüdischen Gesetze übernimmt das Kind den Status der Mutter. Wenn die Mutter jüdisch ist, wird der Junge auch jüdisch, unabhängig davon, ob er beschnitten ist oder nicht.
Religiös motivierte Beschneidungen dürfen von Ärzten niemals durchgeführt werden, da es ein Verrat an dem ersten Gebot der Bioethik ist: „Füge keinen Schaden zu“. Die Amputation eines gesunden Körperteils bei einem einwilligungsunfähigen Minderjährigen ohne medizinische Indikation ist ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und eine Körperverletzung. Nichts kann diese Tatsache ändern.
Der einzige legale und ethische Weg aus dieser Situation ist, die Beschneidung auf ein Alter zu verschieben, in dem eine Person legal die Einwilligung zur Amputation seines Penis geben kann. Diese Lösung schränkt die Religionsfreiheit nur vorübergehend ein.
Bei der gewaltsamen Amputation der Vorhaut eines einwilligungsunfähigen minderjährigen Kindes wird sein Recht auf körperliche Unversehrtheit für immer verletzt.
Ich unterschreibe die Petition der Deutschen Kinderhilfe, um eine öffentliche, medizinische und juristische Debatte zu ermöglichen, bevor ein Gesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird, in dem das durch das Grundgesetz gegebene Recht von Kindern auf körperliche Unversehrtheit und Gleichbehandlung missachtet wird.
Frau Bundeskanzlerin Merkel, die Bewegung zur Zwangsbeschneidung von Minderjährigen ist eine globale Bewegung. Überall auf der Welt richten Männer, die wie ich durch die Amputation ihrer Vorhaut verletzt sind, Mütter und Väter, die gegen ihren Willen aufgrund von Religion, Tradition und gesellschaftlichem Druck ihre Kinder verletzen müssen, Eltern, die tapfer genug sind, sich nicht anzupassen, Wissenschaftler aus allen Disziplinen und gewöhnliche Bürger ihre Augen auf Sie und auf Deutschland, damit es eine Vorreiterrolle beim Schutz der Menschenrechte von Kindern übernimmt.
Nun werde ich einige Worte auf Hebräisch sagen:
Ich rufe alle Juden in Israel und überall auf der Welt auf: überzeugt Euch von den Vorteilen eines intakten Penis, informiert Euch über die Nachteile eines beschnittenen Penis und schließt Euch der nicht mehr aufzuhaltenden Bewegung von zehntausenden Juden weltweit an, die ihre Söhne auf der Welt willkommen heißen, ohne ihre körperliche Integrität zu verletzen, ihnen Schmerzen zufügen und ohne sie einem Risiko auszusetzen. Ein Jahr und seine Verbrechen gehen zu Ende und ein neues fängt mit seinem Segen an.
Frohes Neues Jahr. Shalom
[Moratorium und Runder Tisch zur Beschneidung von einwilligungsunfähigen Jungen, 12.09.12]
Petition unterschreiben: http://die-petition.de/petition/signup
Bürgerreporter:in:Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen |
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