Montoir de Bretagne - das einsame Kriegsgrab

Dies einzelne Grab machte mich neugierig - was war passiert?
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September 2006 - ich beziehe ein kleines Häuschen

in Montoir de Bretagne, einem kleinen Ort östlich von St. Nazaire nahe der Mündung der Loire. Für über ein Jahr arbeite ich als Prüfer am A380 und lebe erstmals in Frankreich.

Ich bin nunmal neugierig, und so beginne ich das kleine Örtchen zu erkunden. Am Dorffriedhof (mit einigen deutschen Namen auf den Grabsteinen der Nachkriegszeit) fällt mir der Hinweis "Commonwealth War Graves" auf - doch die Kriegsgräber suche ich zunächst vergeblich - bis ich dann direkt neben dem südlichen Eingang ein einzelnes britisches Soldatengrab entdecke.

Was ist da passiert?

Der schlichte Grabstein enthält nur spärliche Angaben:

Den Namen David M. Murphy
Die Dienstnummer der RCAF, also der Royal Canadian Air Force
Seine Funktion als Bomb Aimer (Bombenschütze)
Und das Todesdatum 25.7.1944.

Später sollte ich feststellen daß es der letze Angriff der alliierten Luftstreitkräfte auf das Gebiet von St. Nazaire, einem der fünf deutschen Atlantik-U-Boot-Basen und entsprechend stark verteidigt war - bei den britischen und amerikanischen Besatzungen war die Stadt, die inklusive der Minenlege-Aktionen 50 (!) Luftangriffe erleben mußte als "Flak City" berühmt - berüchtigt, 100 alliierte Bomber wurden allein hier abgeschossen.

Wer war dieser David Murphy?

Ich versuche dem Grab ein "Gesicht" zu geben.
Google hilft - auf der Seite der britischen Kriegsgräberfürsorge "Commonwealth War Grave Commission (CWGC)" werde ich prompt und unerwartet umfangreich fündig. Die "Titelseite" enthält die Daten des Soldaten, aber daneben gibt es die Möglichkeit eigene Dateien anzuhängen - und dies war hier der Fall. Ich sah ein Foto mit dem Gesicht eines sehr jungen Mannes, das Bild seiner Eltern und der vier Brüder die ebenfalls als Soldaten gegen die Wehrmacht kämpften. Sein Bruder Collin war einen Monat zuvor vor Monte Cassino gefallen, die beiden anderen haben den Krieg überlebt.

Schwieriger war es das Geburtsdatum von David herauszubekommen; dazu bedurfte es Nachforschungen an seinem Heimatort Glace Bay an der Ostküste Kanadas. Über das Telefonbuch im Internet fand ich tatsächlich den Namen eines Bruders von David - doch die Stimme am anderen Ende der Leitung gehörte nicht dazu; das Haus war verkauft worden. Ich bekam einen Kontakt zum örtliche Veteranenverband, und dieser Kontakt sollte später noch eine unerwartete Rolle spielen. Der Präsident des Verbandes sagte mir daß der letze der Murphy-Brüder nur wenige Monate zuvor verstorben sei. Wenige Tage später dann ein Rückruf - David war auf den Tag genau 20 1/2 Jahre alt geworden als er sterben mußte.

Eine britische Internet-Database www.lostbombers.co.uk gibt für diesen Tag im Bereich St. Nazaire drei Lancaster-Bomber als Verlust an, und bei den Besatzungen eines der Flugzeuge findet sich auch David Murphy wieder.
Bemerkenswert dabei daß seine sechs Kameraden auf zwei britische Kriegsfriedhöfe in La Baule-Escoblac und Pornic verteilt sind. Schließlich finde ich heraus daß Davids Leichnam erst Monate nach dem Absturz im Moorgebiet der nördlich gelegenen Briére gefunden wurde - den Absturzort des Bombers kann ich trotz aller Bemühungen nicht eindeutig identifizieren, auch Erkundigungen bei zwei noch lebenden deutschen Flaksoldaten der Marine-FlakAbteilung 705 die in Montoir stationiert war bringen mich nicht weiter - beide waren zu der Zeit schon an der Invasionsfront eingesetzt. Aber ich bekomme einige sehr interessante Fotos von Montoir aus dieser Zeit...

Dedm Grab ein Gesicht geben

Schließlich fertige ich eine kleine Tafel mit den Details zu diesem Grab an und stelle sie in einer kleinen Feier in Anwesenheit einer Vertreterin der Gemeinde Montoir vor der Grabstätte auf. Sie soll dieser Grabstätte wirklich ein Gesicht geben und den Besuchern aufzeigen welch ein junges Leben hier geendet hat.
Kurz darauf muß ich Montoir leider verlassen, mein Projekt war beendet.

Unerwartete Post

Doch - Ende 2008 bekomme ich eine e-mail aus Kanada - die Nichte Davids hatte als erstes Mitglied der Familie das Grab im Rahmen einer Geschäftsreise besucht und war total erstaunt diese Tafel vorzufinden. Sie bekam über den Veteranenverband schließlich meine mail-adresse heraus - und es entspannt sich ein reger und sehr herzlicher mail-Verkehr mit dem Austausch von Bildern und Hintergründen. Die ganze Familie zeigt sich sehr berührt über einen Deutschen der sich so um dieses Grab bemüht hatte - und ich hoffe die Gelegenheit für einen persönlichen Besuch zu finden.

Auch hat die Familie einen Kontakt zu Anwohnern aus Montoir gefunden die schließlich ein paar Fotos der Feierlichkeiten zum 8.Mai schicken - und an diesem Nationalfeiertag wird auch einem jungen Kanadier gedacht der an der Cote Breton geboren und in der Bretagne beerdigt wurde bevor sein Leben richtig begonnen hatte.

In dieser Nacht starben 21 junge Männer am Himmel über St- Nazaire - praktisch eine ganze Schulklasse, un d das in "nur" drei Flugzeugen. David Murphy war einer von ihnen, und ich bin froh diesem jungen Unbekannten ein wenig nahegekommen zu sein - und vielleicht ein ganz klein wenig zur Völkerverständigung beigetragen zu haben.

Jahrer später...

Jetzt, 2015 machen wir endlich wieder Urlaub in der Bretagne. Ich hatte schon damit gerechnet daß die eingeschweißte Inschrift nicht mehr gut sein würde - tatsächlich war sie bis auf ein paar kleine Reste total weg; Sonne und Regen hatten das Ihre getan.
Vorsichtshalber hatte ich vor dem Urlaub einen Ersatz anfertigen lassen, diesmal von einer Werbefirma.
Und nun hat Davids letzte Ruhestätte ein neues Gesicht - und wir haben zwei dadurch zwei sehr liebenswürdige Franzosen kennengelernt.

Cathy Murphy und ihre Familie freuen sich ebenfalls sehr - und vielleicht bekommt der Plan für eine Gedenkstätte am vermutlichen Absturzort eine neue Chance...

Bürgerreporter:in:

Edgard Fuß aus Tessin

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