Algerien 1997 – Sahara, Rotwein, Bodyguards, Gibli und wie man beten lernt.

Bei In Salah in der Sahara
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Von den Massakern hatte ich gehört, es gab Reisewarnungen, auch noch heute:

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformati...

Angesichts andauernder Auseinandersetzungen mit islamistischen Terroristen gilt weiterhin der Ausnahmezustand. Es ist strikt verboten, militärische und sicherheitsrelevante Einrichtungen zu fotografieren, usw.

Was wollte ich in Algerien?

Es sollte zum ersten Mal zwei große 3D-Flächen gemessen werden und unsere Firma war beratend gefragt. Mit unserem „Know How“ und den entsprechenden Computern und Programmen sollten wir unterstützend wirken. Für unsere Sicherheit sollte mit Militär, Sicherheitsdiensten und Body Guards gesorgt sein. Es ist mir völlig unverständlich, wie 2003 dort einige Touristen herumgereist sind, die dann ja auch „gekidnappt“ wurden.

Wie kommt man nach Algerien?

Man muss ein Visum haben. Also bin ich, weil es eilig war direkt zur Botschaft nach Ost-Berlin gefahren. Einladungsschreiben, beglaubigte Kopie vom Diplom, CV und Quittung der Visa Gebühr.
Es war der 20. März und Frühlingsanfang. Zufällig war ich gerade auf einem Management-Kursus in unserem damaligen Schulungszentrum in Hannover. Morgens um 6.50 bekam ich einen Anruf aus Gatwick, dann die Faxe mit der Einladung und um 8.45 Uhr kaufte ich mir im ICE nach Berlin ein Rückfahrticket.
In Berlin-Zoo um11.15 schnell in ein Taxi und 12.10 Minuten kurz vor Schließung der Botschaft war ich da. Nach weiteren zwei Stunden hatte ich alle Stempel und nötigen Dokumente. Per Fernanweisung war mein Flugticket schon nach Paris bestellt und am nächsten Tag abends um 8 war ich in Charles-De-Gaulle (CDG) gelandet. Manchmal kann alles sehr schnell gehen.
Die Taxis wollten mich nicht zum Hotel fahren. Das war ihnen zu kurz und ich sollte doch bitte den kostenlosen Shuttle-Bus nehmen. Am nächsten Morgen fuhren sie mich aber doch dann zum Flughafen Le Bourget (LBG). Hier landete einst Charles Lindbergh nach dessen historischer Atlantiküberquerung (im Alleinflug ohne Zwischenlandung) im Jahr 1927. Le Aéroport du Bourget wird nur noch für Geschäftsflüge und von Charterern benutzt.

Erstes Ziel war Hassi Messaoud, mit einer weißen Boeing 737 der Euralair.
Die Stadt liegt im Südosten der algerischen Sahara in der Provinz Ouargla, und hat nach großen Ölfunden 1956 eine gewisse Bekanntheit erlangt.
Ab jetzt waren Bodyguards und „Securities“ meine ständigen Begleiter.
Nun war mir auch klar, warum ich 28 Passbilder brauchte. Sämtliche Schritte wurden im Voraus geplant und angemeldet. Für viele Kontrollstellen mussten entsprechende Ausweise mit Bildern angefertigt werden.

Der Komet Hale-Bopp kam am 23. März 1997 der Erde am nächsten und man konnte ihn mit bloßem Auge sehen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Hale-Bopp

Mit einer in Kanada gebauten De Havilland Twin Otter erreichte ich am selben Tag das neue Camp in der Nähe von „In Salah“. Die Landebahn war direkt an der Lagerseite und wurde auch vom Militär mit überwacht. Das Camp selber hatte eine Ringwallanlage mit vielen Wachtürmen an den Enden, einen Zentralwachturm in der Mitte, eine Eingangsschleuse und ein Notfallfluchttor. Alles mit Stacheldraht und Maschinengewehren durch Algerische Soldaten abgesichert. In dem Lagerbereich gab es dann noch zusätzlich zwei gesicherte Bereiche. Einmal nur für das Militär und dann ein extra Bereich nur für die Sieben Expatriates und ihre Sicherheitsleute.
Die Römer hätten das auch nicht besser hinbekommen.

Wenn die Arbeiter in die Wüste zum Auslegen der Messkabel raus mussten, war immer eine Militäreskorte dabei.
Wollten wir Expats im Gelände Erkundungen tätigen, mussten wir das einen Tag vorher über unseren Sicherheitsdienst beim Militär anmelden.
Eine Ausfahrt ging dann so vor.
Ein bewaffnetes Militärfahrzeug voraus, in unserem Landcruiser unsere Sicherheitsleute am Steuer und der Bodyguard, und dann ein Militärfahrzeug hinter uns.
Die Twin Otter, die in unserem Lager stationiert war machte einen Rundflug und sichtete die mögliche Strecke und Umgebung nach möglichen „Feinden“.
War das nicht der Fall, ging es los.
Als einmal ein fremdes Fahrzeug am Horizont gesichtet wurde, stoppte alles, und ein Spähtrupp wurde zur Kontrolle zu den Fremden geschickt. Erst nach deren Unbedenklichkeit konnten wir unsere Fahrt fortsetzen.

Für den Notfall gab es Evakuierungspläne, die alle kennen mussten.

Eines Nachts wurden wir durch Schüsse geweckt.
Laut Anordnung mussten wir in unseren Containern alles verschließen und am Boden liegenbleiben, bis die Gefahr vorbei ist.
Wie sich dann herausstellte, hatten sich nachts Ziegen genähert und die Wachen, weil sie sich bewegende Schatten sahen, sofort darauf geschossen. Die Ziegen wurden aber nicht getroffen. So gab es keinen Braten sondern Strafexerzieren und nächtliche Verprügelungen.
Die Algerische Armee ist nicht zimperlich.

Unsere Sicherheitsleute stammten bis auf eine Ausnahme von der Fremdenlegion. Da waren nicht nur Deutsche, sondern u.a. auch Britische Staatsbürger ausgebildet worden.

Der wirtschaftliche Niedergang um 1990 führte zum Aufschwung der islamistischen Bewegung. Der 1992 verhängte Ausnahmezustand ist weiterhin in Kraft. Somit werden viele Sicherheitskräfte und Militärs beschäftigt.

”Parlez-Vous Francais?“
Un peu d'allemand pour la route.

Zu meiner Schulzeit hatte ich ja ein wenig Französisch als Zweitsprache gelernt, aber nie angewandt. Jetzt saß ich da. Nicht jeder spricht Englisch in Frankreich und in Algerien. Ein Elektriker im Camp konnte Deutsch. Der hatte seine Ausbildung in der DDR bekommen und wäre gerne geblieben. Ich hatte meinen Spickzettel in Plastikfolie mit 200 Wörtern. Das Hören war für mich einfacher als das Sprechen.
Die gebildeten Algerier sprachen Französisch, auch im täglichen Gebrauch, und zu unserem Glück etwas Englisch. Die Arbeiter sprachen nicht etwa Arabisch sondern Berber. Einige der Einheimischen sahen für mich wie typische Deutsche aus. Das muss wohl an der Fremdenlegion gelegen haben.

Nouvelle Cuisine (franz. neue Küche)
Paul Bocuse war zwar nicht der Chefkoch, aber die Dargebotene Küche war gut französisch. Das schloss leider auch das Frühstück mit ein. Baguettebrötchen, Confiture avec Cafe` au lait et une cigarette.
Dafür gab es mittags und Abend Menü mit Rotwein. Wein gehört immer dazu. Auch bei Moslems. Für unsere europäische Abteilung hatten wir sogar eine Extralieferung von „Fresh Eggs“, was Becks Bier in Dosen war.

Ausgang und Sport.
Das war schon wie ein Gefangenenlager. Ausgang unter Bewachung war von 17.30 bis 18.30 Uhr auf der Landebahn. Weiter durfte man nicht gehen. Sport bei dieser Hitze ist Mord. Außer Volleyball. So sind wir einzeln oder zu zweit immer die Rollbahn rauf und runter. In der Zwischenzeit hatte ein Arbeiter mit einem Gartenschlauch unsere Enklave gewässert um das Areal ein wenig abzukühlen. Die Tour de France auf Eurosport war auch ein tägliches Ritual. Der 14. Juli, und die Truppenparade auf der Champs Élysées aus Paris wurde live im Satellitenfernsehen übertragen und auch von uns mit gesehen.

Internet und Telefon
Hier in Algerien habe ich meine ersten Erfahrungen mit dem Internet gemacht.
Wir hatten eine riesige Satellitenschüssel und waren so mit der ganzen Welt verbunden. Nur gab es damals noch nicht so viele Möglichkeiten. „Wlan“ und „Notebook“ gab es noch nicht. Alles wurde verkabelt. Unser lokales Blatt gab es auch noch nicht im „WWW“. Deutschland musste sich erst langsam darauf einstellen.
Eine andere Besonderheit war unser Telefon. Nahm man den Telefonhörer ab, war man im Telefonnetz von London. So konnte ich täglich kostenlos zu Hause anrufen. Meiner Firma musste täglich ein Bericht geliefert werden, dass wir und wo wir leben. Man war schon etwas besorgt, trotz aller Sicherheitsvorkehrungen.

Gibli fast jeden Tag
Und täglich grüßt das Murmeltier. Fast pünktlich um 16 Uhr kam der Gibli für drei Stunden. Jetzt versteht man warum die Tuaregs diesen Turban mit Gesichtsschutz tragen. Ich war fein raus, denn ich hatte meine Skibrille mit. Die hätte ich zigfach verkaufen können. Die Araber bezeichnen vielfach ihre Winde nach der Richtung aus der sie kommen. Gibli heißt „Südwind“ und ist ein heißer Wüstenwind. Ein Wind in der Wüste ist immer ein kleiner Sandsturm. Bei über 50 Grad Celsius kommt dieser feine Staub überall hinein. Mittlerweile hatte ich meine Kamera in einem dichten Plastikbeutel. An einigen Tagen war der Sandsturm so stark, dass überhaupt nicht gearbeitet wurde.
Im Juni und Juli sind die Temperaturen im Schnitt bei 50 Grad Celsius. Für den 15. Juli habe ich 55 Grad aufgeschrieben. Dafür kühlt es durch die aufgeheizten Steine in der Hamada nachts doch erheblich ab, auf 38 Grad!
Die Tuaregs schlafen dann auf den Bäumen, wir in unseren Klimatisierten Containern. Damit diese nicht allzu stark aufheizen, hat man mit Palmenblättern extra Dächer zur Schattierung darüber gebaut, dir regelmäßig genässt wurden. Für die Jeeps wurden auch windfeste Schattenplätze aufgestellt.

Flugverzögerungen
Unser Firmensitz war ja seit einem Jahr in London Gatwick. Also flog ich jetzt auch über London Stansted. In dem einige Meilen entfernten Hotel Down Hall Country House wurde der Nachmittagstee in dem Kaminzimmer der historischen Lounge serviert. Very Britisch. Gut dass ich Jackett und Krawatte für Dienstbesprechungen dabei hatte . . .

Nach vierwöchiger Urlaubspause ging es dann auch von Stansted zurück nach Hassi Messaoud.
Dachten wir.
Dort waren aber die Temperaturen am 17. Juni so heiß (über 46 Grad), das keine internationalen Jetflugzeuge landen und starten konnten. Ausweichflugplatz war der gerade neu eröffnete Flugplatz von Palma de Mallorca. Der Pilot hatte zwei Anflüge durch einige Turbulenzen unternommen, war dann aber nach Palma zurückgekommen. So bekamen wir im Melia-Victoria Quartier. Am nächsten Tag stiegen die Temperaturen in Hassi auf ungewöhnliche 50 Grad. Also keine Chance für einen „Crew Change“. Mit mir war als einziger Deutscher noch ein Pilot für die Twin Otter. Zusammen hatten wir reichlich Gelegenheit Palma zu erkunden. Irgendein Deutsches Fernsehteam drehte gerade einen Film im Hafen.
Am dritten Tag wurde dann entschieden nach Tunesien zum Flugplatz Tozeur-Nefta zu fliegen und ohne jeden Bürokratismus die Mannschaften zu wechseln. So flogen aus der Hamada zwei Twin Otter und unsere McDonnell Douglas MD-80 zu diesem einsamen Ort. Wir verließen das Rollfeld nicht und stiegen direkt um.
Für den Flug nach Hassi wurde wegen der vielen Turbulenzen so mancher Beutel vollgespukt. Wir wurden wie ein Stein in einer Dose über eine gefühlte Stunde lang durchgeschüttelt. Festgegurtet stützte ich mich zusätzlich an der Decke ab. Da lernt man wieder das Beten.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Mücke aus Pattensen

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