wo wollt ihr hin? Seite 16 + 17, + Fotos von 1939

Wir fünf Geschwister, 1940, in unserem Siedlerhof. Ganz rechts vorne Waltraud
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  • Wir fünf Geschwister, 1940, in unserem Siedlerhof. Ganz rechts vorne Waltraud
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Auszug aus dem Buch " Wo wollt ihr hin?" Seite 16 + 17.

Außer der Kirche, der Schule und dem Bahnhof
gab es noch einen Krämerladen, zwei Metzger, einen Bäcker,
Hufschmied, Stellmacher, ein Gasthaus sowie ein Postamt, wo
die Telefonverbindungen noch mit Stöpseln von Hand getätigt
wurden.
Zwei Lehrer waren an der Schule für acht Klassen. Der
Oberlehrer war gleichzeitig Standesbeamter, Kantor und
Leiter der Bücherei. Alle Schüler schätzten und verehrten ihn,
unseren Herrn Lehrer Petzold. Unsere Handarbeitslehrerin,
ein älteres „Frollein“, hätte eine Figur aus dem Märchen von
Wilhelm Busch sein können.
Der Sommer ging dahin und der schlesische Winter kam,
und mit ihm viel Schnee. Der Schulweg wurde immer beschwerlicher,
die Schneewehen wurden bis zu einem Meter
hoch. Wir waren dick eingemummt, nur die Augen blieben
frei. Damit der scharfe Ostwind uns nicht so traf, gingen wir
dicht hintereinander im Gänsemarsch, immer den Blick auf
die Straße geheftet. In der Schule zogen wir die durchnässten
Schuhe aus und hofften, dass der Schulraum bald warm werden
würde.
Wir Kinder liebten alle Jahreszeiten. Waren die Hausaufgaben
gemacht, spielten wir fast immer draußen. Aus den
Schneewehen bauten wir Höhlen, und wenn es im Frühjahr
Überschwemmungen vom Tauwasser gab, benutzten wir den
Schweinetrog als Boot.
Ab und zu kam ein Siedler aus der Nachbarschaft in
Parteiuniform und wollte Vater abends zu Versammlungen mitnehmen.
Vater wollte nicht. Er hatte immer andere Ausreden
und wir hörten die Eltern oft bis in die Nacht hinein diskutieren.
Im Herbst 1938 wurde Vater zur Wehrmacht einberufen
und machte den Einmarsch ins Sudetenland mit. – Keiner traute
dem Frieden so recht und im Herbst 1939 begann dann der
Polenfeldzug. Unser Vater wurde zu den Soldaten eingezogen,
Else später dienstverpflichtet. Mutter litt sehr darunter, dass
auch Else weg musste, sie war nicht nur ihre liebste Tochter, sie
war auch ihre beste Freundin. Mit ihr besprach sie alle Pläne
und Nöte, mit ihr zog sie uns jüngere Geschwister groß. Allein
gelassen, resignierte sie, und wir hatten das Gefühl, sie liebte
uns nicht. Auch wir vermissten Else, war sie doch für uns wie
eine Mutter. Vater war nun schon ein Jahr weg. Erst hieß es, er
würde bald wiederkommen, der Krieg würde nicht lange dauern.
Ab und zu kam ein Feldpostbrief und Mutter sagte zu uns:
„Kinder, Vater lebt noch! Gott sei Dank!“
Ich war inzwischen neun Jahre alt, als der Tod unsere Familie
heimsuchte. Es war unsere jüngste Schwester Helga, gerade
vier Jahre alt. Es war an einem Sonntagmorgen, als Helga
draußen vom Spielen kam, sich erbrach und sagte: „Ich will
ins Bett.“ Zufällig war Else auf Urlaub da. Helga bekam hohes
Fieber und der Arzt wurde gerufen. Wir mussten viel draußen
spielen, es hieß: Helga ist sehr krank und braucht viel Ruhe.
Mutter und Else wachten Tag und Nacht an ihrem Bett.
Nach vier Tage starb unsere Schwester, gerade vier Jahre alt...

Bürgerreporter:in:

Waltraud Meckel aus Offenbach

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