Wildwasser-Spezialist aus Diedorf paddelt in olympischem Flachwasser
Im zarten Alter von 16 Jahren fliegt ein Kanute aus Diedorf zu den ersten olympischen Jugendspielen der Geschichte. Am 12. September bricht Dennis Söter als einer von 70 deutschen Juniorsportlern auf, um Deutschland in Singapur zu repräsentieren.
Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), geht es nicht um den Medaillenspiegel. Im Fokus steht bei den Spielen in Asien zwar der olympische Gedanke, zu dem die sportliche Leistung dazu zählt. Doch dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) kommt es vor allem auf das kulturelle Miteinander und pädagogische Inhalte an. Dennis wird seine Sache gut machen, ist sich sein Trainer Klaus Gebhard sicher. Er sei ein offener, lustiger Typ, meint Gebhard. „Bei dieser Olympiade kommen die Jugendlichen zusammen. Es geht darum, das Land als Person zu vertreten“, erklärt er in seinem bewohnbaren Fiat Ducato. Rechts von ihm sitzt Dennis. Später stößt auch noch Freddy Pfeiffer dazu. Er war schon zwei Mal deuscher Vizemeister im Juniorenbereich und fährt demnächst zur EM in Leipzig. Ginge es um Erfolg im flachen Wasser, wäre Kraftpaket Freddy der geeignetere Kandidat für Singapur.
„Ich habe früher in Pfersee gewohnt. Zum Kanuslalom bin ich durch Freddy gekommen“, erläutert Dennis, wie ein Diedorfer zum Kanuslalom kommt. Vorher hat er erfolgreich Eiskunstlauf betrieben. „Deshalb kann er die Bewegungen auch im Boot optimal auf den Punkt bringen“, lobt Gebhard seinen Schützling und weiter: „Dennis kann das Wasser lesen.“ Im Wildwasser zählt Beobachtung. Im richtigen Moment das Richtige zu tun. Doch in Singapur wird der Spezialist im Einer-Canadier nicht von seinem Wassergefühl profitieren können. Dort wird er in stehendem Gewässer an den Start gehen. „Von der Kraft her hat er gegen 18-Jährige einen enormen Nachteil“, weiß Gebhard. Speziell trainiert wird deswegen trotzdem nicht. Schließlich geht es mehr um das Zusammenkommen der Nationen als um Edelmetall. „Der Erfolg ist in diesem Fall nicht entscheidend“, bekräftigt Gebhard. Den Sport möchte Dennis zwar „nicht zu sehr in den Hintergrund stellen“, doch auch er weiß, dass andere Dinge zählen. „Ich gehe offen in den Wettkampf, setze mir keine hohen Ziele. Aber natürlich werde ich mein Bestes geben.“
Vom Besten gelernt
Das Rahmenprogramm für die jungen Sportler ist üppig. Themenschwerpunkte sind Karriereplanung, Gesundheitsmanagement im Sport, soziale Verantwortung und ein Konstrukt aus Kunst, Kultur und digitalen Medien. Wo Dennis seinen Schwerpunkt setzt? „Die ersten zwei nehme ich“, sagt er bestimmt, nachdem die Themen noch einmal vorgelesen wurden. Gesundheit sei im Leistungssport sehr wichtig und an seiner Karriere feilt er auch noch. „Unser Ziel ist immer, die Besten zu sein“, gibt Gebhard selbstbewusst zu Protokoll. „Wenn's nicht gut läuft, ändert man's, dann geht’s schon“, lautet die Sichtweise von Dennis. „Wer bei mir im Juniorenbereich fährt, wird Deutscher Meister“, zieht Gebhard Bilanz. Gehen zwei Teilnehmer vom TSV Schwaben Augsburg, müsse einer mit Silber vorlieb nehmen. Dennis sitzt erst seit fünf Jahren im Kanu und hat schon vier nationale Meisterschaften gewonnen. Gebhards Erfolgsrezept ist so simpel wie genial: Er lässt Anfänger gleich in einer heterogenen Gruppe trainieren, also mit leistungsstarken Jugendlichen und Olympioniken. „Dadurch machen sie unheimlich schnell Fortschritte, weil sie sich die Technik gleich beim Besten abschauen.“
Auch über die berufliche Zukunft seines Schützlings ist Gebhard informiert. „Zuerst wollte er Herzchirurg werden“, sagt er und Dennis erklärt: „Damals habe ich erfahren, dass Klaus etwas am Herzen hat.“ Später war sein Berufswunsch dann Pilot. Damit er früh pensioniert wird und noch viel mit seinem Vater unternehmen kann. So viel zur bisherigen Karriereplanung. Ein weiterer Programmpunkt bei den olympischen Jugendspielen wird ein Chat mit den Champions sein. Mit wem er sich austauschen will, weiß der Diedorfer noch nicht. Sprintstar Usain Bolt und Michael Phelps werden da sein, der Kanusport wird vom Franzosen Tony Estanguet vertreten. Die Ehrfurcht vor Sportidolen ist gar nicht so groß beim 16-Jährigen. Einen olympischen Goldmedaillengewinner hat er beim Kanuverein praktisch vor der Haustür. Regelmäßig sieht er Alexander Grimm, fährt gelegentlich mit ihm auf Wettkämpfe. „Am Donnerstag habe ich mit ihm über die Olympiade gesprochen. Er hat mir viel Glück gewunschen“, sagt Dennis. Das sei nichts Besonderes, sind sich Jungspund und Trainer einig. An dieser Stelle beginnt Gebhard kurz vom wohl bekanntesten Augsburger Kanuten zu schwärmen. „Grimm ist bodenständig. Ein Topsportler, wie man ihn sich als Vorbild wünscht.“ Dennoch hat Dennis andere sportliche Idole. Einer davon ist der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister Michal Martikán, der andere der Augsburger Grieche Christos Tsakmakis. Dennis neigt nach Aussage seines Trainers auch zu deren Fahrstil.
Seit Berlin wächst die Vorfreude
„Es gibt nichts Größeres als eine Olympiade“, soll der Augsburger Tsakmakis, der schon zweimal dabei war, seinem Trainer verklickert haben. Jetzt kommt also der nächste Gebhard-Lehrling in den Genuss. Seit einem halben Jahr weiß Dennis von seiner Nominierung. Die Koffer werden aber erst am Tag vor dem Abflug gepackt. „Wenn er etwas vergisst, schicken wir's gleich nach“, bietet Gebhard gleich an. So richtig Freude kommt allerdings erst seit dem Olympic Youth Day am 24. Juli am Brandenburger Tor auf. Dort lernte er die Vertreter der anderen 19 Sportarten, in denen Deutsche an den Start gehen, kennen. „Das ist etwas anderes als eine WM“, zeigt er sich von der tollen Atmosphäre angetan. Die Spiele in Singapur sieht er seit Berlin aus einem ganz anderen Licht. „Das wird ein schönes Erlebnis mit vielen, die ich schon kenne und noch kennen lernen werde.“ Viel Zeit für Urlaub und Entspannung wird er bei all dem Training und Rahmenprogramm nicht haben. Auch, wenn alle Sportler bis zur Abschlussfeier bleiben werden. Trotzdem hofft er, das Gastgeberland erkunden zu können.
Mit dem Dresdner Tom Liebscher und Nathalie Grewelding aus Neuss schickt der DOSB zwei weitere Kanuten nach Singapur, dazu zwei Betreuer. Von seinen Vereinskollegen und seiner Familie wird Dennis dagegen für knapp zwei Wochen getrennt sein. Zugunsten von „kulturellem Austausch mit Sport“. Finanziert werden Flug und Aufenthalt vom IOC, die logischerweise Einsparungen machen, wo sie können. So kann Dennis beispielsweise sein eigenes Boot nicht mitnehmen. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn im Flachwasser würde ihm sein Canadier ohnehin nicht viel bringen.
In wenigen Tagen kehrt er der Heimat den Rücken, um in der Ferne Kontakt zu 3.593 Leistungssportlern aus der ganzen Welt zu knüpfen. Und um die deutschen Kanuten würdig zu präsentieren. Als junger Mensch, nicht als Leistungsmaschine. Denn der Erfolg steht bei den olympischen Jugendspielen nicht im Vordergrund. Seinen wertvollsten Triumph hat er ohnehin schon eingefahren. Welcher das war? „Darf ich's sagen“, fragt sein Trainer und schmückt seine eigene Niederlage im Rahmen einer Wette lachend als schönsten Erfolg seines Schützlings aus. „Bei der letzten Süddeutschen war er drei Hundertstel schneller als ich“, freut sich Gebhard für seinen Kanuten. Dabei habe Dennis sicher nicht seine Reserven ausgeschöpft. „Ein gutes Pferd springt nämlich nur so hoch, wie es muss. Er wusste, das reicht“, erklärt Gebhard. Dennis nickt und lächelt.