Operation Shitstorm - So leicht lassen sich Medien manipulieren
Ryan Holiday hat mit „Operation Shitstorm“ eine Abrechnung mit den Medien geschrieben. Die Titelübersetzung ist allerdings leicht irreführend, während das Original „Trust me I'm lying. The tactics and confessions of a media manipulator“ zielgerichteter ist. Mit dem Phänomen „Shitstorm“ hat das Buch erst im hinteren Teil am Rande zu tun. Dafür spiegelt es die erschreckende Minderwertigkeit unseres Mediensystems wieder. Der bekennende Medien-Manipulator packt aus, wie die Branche auf den Abgrund zusteuert, wie unseriös Blogs arbeiten und wie Online-Berichterstattung eine teils verheerende Spirale an öffentlicher Wahrnehmung in Gang setzen: „Nicht existente Nachrichten werden aufgebauscht und als sagenhafte Nachrichten verkauft“ (S. 158).
„Meine Mission war es, den Vorhang aufzuziehen und ein Problem sichtbar zu machen, das bislang niemand offen ansprechen wollte, weil die, die es wissen, entweder zu schüchtern oder durch starkes Eigeninteresse gebunden sind: Unser beherrschendes Kulturmedium, das Internet, ist hoffnungslos kaputt“, beschreibt Ryan Holiday sein Anliegen auf Seite 313. Dabei verschleiert er seine Rolle überhaupt nicht. Der PR-und Marketingstratege hat das Blog-„Monster“ selbst jahrelang bewusst mit falschen Informationen gefüttert, die sich positiv für ihn bzw. seine Kunden und deren Produkte ausgewirkt haben. Dann wurde er in diesem für die Wahrheitsfindung eher fragilen System des klickbasierten Online-“Journalismus“ vom Täter zum Opfer und zieht gegen die Arroganz der Blogger und die brutalen Schwächen des Konzepts, die er vormals nur zu gern ausgenutzt hat, vom Leder. Doch das Buch ist kein reiner Rachefeldzug, sondern schildert die traurige Medienrealität. Zwar sehr ich-bezogen, meinungslastig und bisweilen frustriert, aber eben real.
Lügen-Konstrukt wird zur medialen Wahrheit
Ryan Holiday beschreibt, wie er kontroverse Diskussionen zwecks Promotion initiiert hat, wie er unter dem Mantel der Anonymität Aufmerksamkeit für seine Projekte generiert hat, wie er die eigene Meinung geschickt und einfach zur öffentlichen Meinung gemacht hat. „Ich erwarte mir keine seriösen Informationen mehr – wo es Bloggern und Marketing-Leuten doch so leicht gemacht wird, im Internet mit Lügen Reibach zu machen“ (S. 17). Er analysiert das durch Blogs und Finanzierungsdruck geldgesteuerte Mediensystem, das auf der Suche nach Scoops und Klicks weitgehend auf Quellenprüfungen verzichtet. Dabei nimmt er an, dass Blogs auf bekannte Blogger bauen müssen, um Erfolg zu haben und eigentlich nur dazu da sind, um bei Erfolg an große Medienunternehmen abgestoßen werden zu können: „Jeder Blog hat ein eigenes Mini-Schneeballsystem – mehr Traffic zählt mehr als solide Finanzen, der Wiedererkennungswert der Marke mehr als Vertrauen und Messdaten mehr als Geschäftssinn“ (S. 57).
Einen enormen Anteil an der schlechten Qualität von Online-Inhalten führt er dabei auf die unterirdische Bezahlung von Postings und den dadurch hohen Veröffentlichungsdruck zurück. Dabei legt der Medien-Manipulator den naiven Umgang von Journalisten und den interessengetriebenen Umgang von PR-Leuten mit Wikipedia, der unangefochtene Primärquelle im Netz, dar. „Sowohl die Blogs als auch die Mainstream-Medien drücken sich um die Erfüllung ihrer Pflicht – das macht es so einfach, sie auszunutzen“, gesteht der Medien-Manipulator auf Seite 202 und greift zehn Seiten weiter Online-Koryphäen wie Professor Jeff Jarvis an: „Wenn Jarvis und Konsorten eine Lanze brechen für neue Konzepte, deren Konsequenzen sie selbst nicht mal überblicken, weiß ich nicht, ob ich darüber lachen oder es gefährlich finden soll. Die Internet-Gurus wollen uns weismachen, dass diese verteilt stattfindende, auf Crowdsourcing basierende Version des Faktenprüfens und der Recherche genauer ist, weil mehr Leute daran beteiligt sind.“ Da für Blogs allerdings viel niedrigere Anforderungen und Richtlinien in Bezug auf journalistische Standards gelten, ist dieses System zum Scheitern verurteilt, kritisiert Ryan Holiday die von Jeff Jarvis und Konsorten befürwortete Link-Wirtschaft, die billigt, Fakten nicht mehr selbst zu recherchieren und zu prüfen, sondern mittels Link auf einen Onlinebericht („Quelle“) als valide zu betrachten. Trauriger Fakt ist: (Blog-)Berichterstattung wird häufig durch Konjunktive relativiert oder durch Schuldzuweisungen auf „Quellen“ (Medien, bei denen abgeschrieben wurde) abgesichert (vgl. S. 234).
Schneller, spektakulärer, schlechter
Echtzeit-Berichterstattung ist problematisch. „Iterativer Journalismus, Process Journalism, Beta-Journalismus – wie auch immer man ihn nennt – ist dümmlich und gefährlich. Er fordert die Blogger dazu auf, ihre Weisheiten zunächst einmal zu veröffentlichen und erst dann, nachdem sie gepostet haben, zu überprüfen“ (S. 228) , findet Ryan Holiday. Er offenbart, dass Storys überwiegend geklaut werden, der eine vom anderen abschreibt. „Blogs werden von allen Seiten angegriffen – von den niederschmetternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Branche, von unehrlichen Quellen, von unmenschlichem Termindruck, von Pageview-Quoten, von ungenauen Informationen, gierigen Herausgebern, schlechter Ausbildung, den Ansprüchen des Publikums und vielem mehr. […] Wenn man die Individuen betrachtet, ist klar, was unter solchen Bedingungen herauskommen muss – schlechte Storys, unvollendete Storys, unwahre Storys und unwichtige Storys“ (S. 292). Große Print-, Radio- und Fernsehmedien greifen diese brandheißen, zumeist unseriösen und konstruierten Themen aus ihren bevorzugten Blogs auf und treiben eine Spirale mit schlimmen Folgen voran. Dabei veranschaulicht Ryan Holiday die Filter einer konstruierten Wirklichkeit im Trichter-Modell: „Ganz oben haben wir alles, was sich ereignet, darunter alles, was sich ereignet und den Medien bekannt wird, dann alles, was als berichtenswert angesehen wird, dann alles, was schließlich veröffentlicht wird, und schließlich das, was öffentlich verbreitet und von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird“ (S. 294).
Wie unseriös selbst seriöse Medien inzwischen sind, spricht Ryan Holiday konkret aus: „Versteckte Werbung maskiert sich als legitimes Expertentum“ (S. 82), weist er auf die fehlende Kennzeichnung von Pressemitteilungen hin. Kopierte Storys verlinken häufig nicht einmal auf's Original und durch schlechte Auffassungsgabe werden selbst abgeschriebene schlechte Inhalte dahingehend verfälscht, dass enthaltene Fünkchen Wahrheit dabei meist vollständig eliminiert werden. Das Bösartige daran: „Blogs, Twitter oder YouTube können jederzeit ein Loch graben, welches das Unternehmen dann für gutes Geld wieder füllen muss, will es nicht darin verschwinden“ (S. 220), während Privatpersonen sich praktisch gar nicht wehren können, sondern ihre Existenz zerstört wird. Glücklicherweise macht das deutsche Mediensystem auch aufgrund gesetzlicher Regelungen noch nicht den Eindruck, so am Boden zu sein, wie das amerikanische. Allerdings akzeptieren bereits unheimlich viele Medien in Deutschland verrufene Klatschseiten aus den USA als Quellen, auf deren zusammengesponnen „Informationen“ sich Berichte stricken lassen. Schließlich wollen auch deutsche Nachrichtenmedien die heißesten Meldungen aus Übersee als Erste haben!
Titel: Operation Shitstorm. Berufsgeheimnisse eines professionellen Medien-Manipulators
Autor: Ryan Holiday
Verlag: Plassen Verlag
Erscheinungsjahr: 2013 in Deutschland, 2012 in den USA
ISBN: 978-3-86470-124-5