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Hainhofen damals
HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN

Der Wochenmarkt auf Rädern in den 60er Jahren

Die Verlockung kam immer samstags ins Dorf und sie kam auf vier Rädern, immer zur selben Zeit und stets aus Richtung Ottmarshausen. Ein stinkender, blauer Kleinlaster namens TEMPO MATADOR, umgebaut zu einem mobilen Tante-Emma-Laden, hinten mit groben, schweren Planen verhängt. Er hielt das erste Mal am Wegkreuz beim Schiemann-Haus drunten, von dort hörten wir bereits den vertrauten Klang der Glocke leise bis zu uns herauf läuten und die Nachricht verbreitete sich im Schloßviertel wie ein Lauffeuer: "Der PRIMA kommt!!!“

Glücklich, wer ein paar Zehnerle oder gar ein Fuchzgerle besaß, denn bald danach hielt der PRIMA mit seinem vollbeladenen Verkaufswagen unter den Kastanien an der Schloßmauer und eröffnete die wöchentliche Show mit heftigem Gebimmel seiner Handglocke und dann hieß es, diesen Moment bloß nicht zu verpassen. Wie der fliegende Händler mit bürgerlichem Namen hieß, wußten nur wenige weitgereiste Leute, die seinen festen Laden in Kriegshaber kannten, bei uns war er halt der "PRIMA", weil er eben prima Obst und Gemüse verkaufte. Und der freundliche Mann mit dem grauen Kittel und dem immer gleichen zerknautschten Hut auf dem Kopf bot uns Dorfkindern ein wahres Schlaraffenland auf der Ladefläche seines betagten Transporters dar: Bananen, Orangen, Ananas und andere wohlschmeckende exotische Früchte, die für uns noch fremdartig waren und nach Afrika und der weiten Welt rochen. Und da waren die frischen, heißbegehrten Erdnüsse, die wir "Affennüsse" nannten ... sie waren die größte Verlockung ... mit der kleinen Blechschaufel sorgfältig auf die Waage geschüttet, grammgenau abgewogen und in eine braune Papiertüte verpackt, mit dem aufgedruckten medizinischen Ratschlag der Nachkriegsjahre "Esst mehr Obst", um nur wenige Minuten später drunten am Fluß auf dem Eisengeländer des Badstegs genüßlich geknackt zu werden. Wie tränenbitter war hingegen die Enttäuschung, wenn man wieder mal kein Geld in der Hosentasche hatte und sich die schäbigen grauen Vorhänge schlossen, ohne daß man etwas in Händen hielt und der lahme Zweitakter erbarmungslos weiter tuckerte zum nächsten Halt droben beim Gasthof Dauner. Dann hieß es eine unendlich lang erscheinende Woche zu warten bis zur nächsten Chance, wenn wieder einer begeistert rief: "Der PRIMA kommt!"

In unserem heutigen Discounter-Zeitalter würde der verwöhnte König Kunde nicht mehr dem scheppernden Klang einer Glocke folgen. Längst haben die Markt(ver)führer den Verbraucher mit Billigangeboten hörig gemacht, die zu jeder Jahreszeit von früh bis spät geruchsfrei in Plastik verschweißt und schockgefroren zur Verfügung stehen. Und selbst wenn der übersättigte Konsument nachts um 23 Uhr Lust auf eine Flugmango bekommt, kann er sich diese online mit ein paar Klicks auf seinem Smartphone bestellen. Aber diesen einen kurzen Glücksmoment, den man damals erlebte, wenn man samstags um 13 Uhr an diesem klapprigen Verkaufswagen eine duftende Apfelsine ergatterte, kann man mit keinem Geld der Welt erkaufen, weil es heutzutage viel zu selbstverständlich geworden ist, sich solchen Luxus zu leisten. Die Wertschätzung der Menschen für die Früchte der Natur ist irgendwann in den sechs Jahrzehnten zwischen dem PRIMA und „Lieferando.de“ auf der Strecke geblieben.

  • So ungefähr sah der Transporter des PRIMA aus (Archivbild)
  • hochgeladen von Helmut Weinl
  • Bild 2 / 2

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