Hainhofen damals
Das war dann mal weg: DER STADEL AN DER SCHÖNEN AUSSICHT
In unserer Kindheit in den 50er und 60er Jahren hatten wir trotz aller Strenge der Eltern und Lehrer viel Freiraum. Ob die Hausaufgaben ordentlich erledigt waren, wurde selten ernsthaft überprüft solange man keine Sechser heimbrachte und danach war man draußen bei den Freunden. Abends hieß es pünktlich um 6 Uhr zuhause sein, aber in der Zeit dazwischen durfte man normalerweise tun und lassen was man wollte. Verbotene Zonen gab es kaum, aber so manchen Orten näherte man sich als Kind instinktiv mit äußerster Vorsicht und nicht selten mit voller Hose, auch wenn man das nicht zugab.
Einer dieser geheimnisumwitterten Plätze war der große Stadel am Waldrand bei der Schönen Aussicht. Schon alleine dessen abgelegene Lage im Schatten der dunklen und rauschenden Bäume verlieh dieser Scheune ihren besonderen Reiz mit der Mischung aus kindlicher Neugier und Angst. Der Stadel diente seinem Besitzer vorwiegend als Geräteschuppen und Lagerraum und eigentlich wäre es kein Problem gewesen, ein paar morsche Bretter zu lösen und sich unbemerkt Zugang zu verschaffen, aber was mochte das bange Kinderherz im Halbdunkel dort drinnen erwarten? Blutsaugende Fledermäuse, die ihre Zähne in unsere dünnhäutigen Hälse schlugen, ausgehungert lauernde Ratten mit gelbunterlaufenen Augen, tollwütig räudige Füchse aus dem nahen Gehölz oder gar ein mordlüsterner Landstreicher mit einem rostigen Dolch unter dem Mantel? Wenn man sich all die drohenden Risiken bildlich vorstellte und jeder der Kumpels noch zusätzlich weinerlich seine Phantasien beisteuerte, wich schnell alles Blut aus den bleichen Gesichtern und man verschob das Vorhaben erstmal um eine Woche, aber dann wollte man todsicher den Einbruch wagen.
Gleich daneben im hohen Gras gab es tatsächlich eine verbotene Zone, vor der einen die Eltern immer wieder warnten, und gerade das machte diesen Ort umso anziehender. Es handelte sich dabei um einen aufgelassenen Tiefbrunnen, der nur mit Balken und Brettern abgedeckt war. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, in dem rabenschwarzen Schacht lägen Gewehre, die flüchtende Soldaten im letzten Krieg dort hineingeworfen hätten. So eine echte Büchse wäre für Winnetou und Old Shatterhand natürlich unersetzbar gewesen, aber auch dieser Brunnen flößte uns mächtig Angst ein und es gab keinen einzigen ernsthaften Versuch, sich darin abzuseilen. So kam es, daß der Stadel irgendwann abgerissen und der Schacht aufgefüllt wurde, ohne daß wir ihre Geheimnisse jemals gelüftet hätten.
Außerhalb des Dorfes gab es noch einen oder zwei weitere Stadel in den Schmutterwiesen zwischen Hainhofen und Schlipsheim. Die wurden in erster Linie als Heuschober benutzt, standen mitten im Grünen im hellen Sonnenlicht und flößten deshalb neugierigen Lausbuben weit weniger Angst ein. Vor allem konnte man herannahende Erziehungsberechtigte oder wutschnaubende Landwirte durch die Ritzen schon von weitem orten. Was gab es schöneres, als im duftenden Heu zu toben, sich von den hohen Balken in die weichen Haufen zu stürzen und wie Wühlmäuse darin lange Gänge kreuz und quer zu bohren? Es lag jedenfalls außerhalb unserer kindlich naiven Vorstellungskraft, welch fatale Folgen es gehabt hätte, wenn diese engen Röhren plötzlich eingestürzt wären oder hatten wir vielleicht alle nur den berühmten Schutzengel, der seine wachsame Hand stets über uns gehalten hat? Schwerstarbeit hatte unser geflügelter himmlischer Bodyguard in jedem Fall zu leisten, spätestens als die Dreizehnjährigen heimlich begannen, ihre ersten Filterzigaretten ausgerechnet im vermeintlich sicheren Versteck des Heustadels zu paffen!
Nette Geschichte!