Interview
Jahresrückblick mit Bürgermeister Richard Greiner
Zum Jahresausklang sprachen wir mit dem Bürgermeister der Stadt Neusäß, Richard Greiner, über das Jahr 2023. Für Bürgermeister Greiner sind die goldenen Jahre erstmal vorbei. Es gilt sich den Herausforderungen der verschiedenen Krisen zu stellen und die richtigen Antworten zu finden.
myheimat: Die letzten Jahre waren geprägt von Krisenbewältigung. Ist der Krisenmodus der neue Normalzustand oder ist wieder der politische Alltag eingekehrt?
Bürgermeister Richard Greiner: Wenn wir zurückschauen, dann können wir getrost feststellen: die letzten Jahre waren herausfordernd. Sie haben den Bürgerinnen und Bürgern, Politik und Verwaltung einiges abverlangt. Neben dem viel zitierten Wort von der „Zeitenwende“ war „Krise“ sicher ein prägendes Wort – Coronakrise, Ukrainekrise, der russische Angriffskrieg und die daraus resultierende Energie- und Flüchtlingskrise, die Inflationskrise, zuletzt die Nahost-Krise, die daraus erwachsene Wertekrise und, natürlich, als dauernde Folie über dem Ganzen: die Klimakrise. Manchmal schien es, als käme man aus dem Krisenmodus gar nicht mehr heraus, als sei tatsächlich die eigentlich als Ausnahmezustand zu begreifende „Krise“ ein Normalzustand geworden. Insgesamt sind wir aber recht gut auch durch dieses Jahr gekommen. Und das sollte uns Mut und Zuversicht geben für die kommende Zeit!
myheimat: Geben Sie uns einen Einblick in die aktuelle wirtschaftliche Lage und mit welcher Entwicklung rechnen Sie? Sind die Folgen des Energiepreisschocks mittlerweile verdaut oder dauert der Anpassungsprozess nach wie vor an?
Bürgermeister Greiner: Die „goldenen Jahre“ sind wohl erst einmal vorbei. Zinsanstieg, Inflation und Baukostensteigerungen machen sich bemerkbar. Die Unternehmen investieren weniger, Kapazitäten werden nicht ausgebaut, Substanz nicht mehr so konsequent erhalten. Viele Betriebe beobachten jetzt einfach die konjunkturelle Entwicklung. Das hat natürlich auch Auswirkungen für unsere Kommunen. Zwar zeigen die aktuellen Steuerschätzungen, dass das Aufkommen noch stabil ist. Allerdings sorgt der Inflationsausgleich in den Tarifverträgen, so richtig er angesichts steigender Lebenshaltungskosten für die Beschäftigten ist, dafür, dass die finanziellen Spielräume spürbar enger werden. Zusätzlich müssen wir im laufenden Betrieb ja nach wie vor mit Energiekosten wirtschaften, die immer noch deutlich über dem Vor-Corona-Niveau liegen.
Dazu kommt, dass staatliche Maßnahmen wie das Auslaufen der Preisbremsen, aber auch neue Beschlüsse wie das so genannte „Wachstumschancengesetz“ – sollte es so kommen, wie von der Bundesregierung geplant – deutliche Einbußen bei den kommunalen Einnahmen bedeuten. Ganz generell ist erkennbar, dass staatliche Fördermittel schleppender, zögerlicher ausbezahlt werden und die Wartezeiten, bis das Geld fließt, länger werden.
Zum Glück achten wir in Neusäß traditionell darauf, Begehrlichkeiten und Wünsche vernünftig abzuwägen und notwendige, nachhaltige, zukunftsrelevante Investitionen von kurzfristigen, manchmal vom Zeitgeist motivierten Begehrlichkeiten zu unterscheiden. Deshalb stehen wir finanziell noch recht stabil da. Wir können investieren. Und wir haben nach den im Großen und Ganzen verantwortungsbewusst geführten Haushaltsberatungen auch heuer wieder einen stabilen Haushaltsplan für das kommende Jahr 2024 erarbeiten können.
myheimat: Hinter Sammelbegriffen wie Umweltschutz, Artenschutz und CO²-Reduzierung können sich die Menschen schnell versammeln. Diese Themen stehen jedoch häufig in einem Spannungsverhältnis zu anderen Interessen. So kritisiert beispielsweise der Bund Naturschutz Neusäß den hohen Flächenverbrauch und die Planungen für das Gewerbegebiet östlich der A8. Wie sind diese Gegenläufigen Interessen unter einen Hut zu bringen?
Bürgermeister Greiner: Die Diskussion zeigt doch exemplarisch, in welchem Spannungsfeld politische Entscheidungen oft erfolgen müssen und sie spiegelt die konträren Interessen in unserer Gesellschaft. Sie erfordert eine unideologische und sachliche, nicht am Einzelinteresse, sondern am Gemeinwohl orientierte Abwägung.
Wo es möglich ist, wollen wir uns natürlich am Prinzip „Innen- vor Außenentwicklung“ orientieren und zuerst die vorhandenen Brachflächen entwickeln. Erfolgreiche Projekte wie das Sailer- und das Schuster-Areal stehen dafür. Hier konnten wir ehemals versiegelte, erhebliche Altlasten enthaltende Flächen sanieren und zu hochwertigem Wohnraum mitten in der Stadt mit ansprechenden Grün- und Spielbereichen direkt vor der Haustüre aufwerten.
Unsere Planungsarbeit am Rahmenplan für das Gewerbegebiet Neusäß-Mitte zielt in die gleiche Richtung. Hier wollen wir nach und nach die breit betonierten Flächen entsiegeln und einen Transformationsprozess unterstützen, der künftig zwar eine gewisse Gebäudehöhe einräumt, dafür aber einen Rückbau der heute noch dominierenden Flachdachhallen vorsieht; wir streben hier Tiefgaragenlösungen, Baumpflanzungen, mehr öffentliches Grün sowie Aufenthaltsmöglichkeiten an und möchten so in Zukunft eine qualitätvollere Quartiersentwicklung ermöglichen.
Parallel dazu haben wir in den letzten Jahren durch unser Blühstreifenprojekt immer mehr insektenfreundliche Blumenflächen im Stadtgebiet anlegen können und durch ein Ankaufsprogramm auch kontinuierlich Naturflächen erworben, die wir gezielten Pflegemaßnahmen unterziehen und ökologisch aufwerten. Zuletzt ist das am wertvollen Hangmoor am Lohwald sehr schön gelungen.
Anders als eine Einzelperson oder ein Interessensverband, der den Status quo am liebsten unangetastet sehen will, muss eine Kommune aber auch Möglichkeiten schaffen, wenn sich ihre Unternehmen weiter entwickeln müssen, um auch in Zukunft am Standort Neusäß produzieren und Arbeitsplätze vorhalten zu können. Bekanntlich sind in den letzten Jahren gut laufende Unternehmen aus Neusäß abgewandert, weil sie hier keine Entwicklungsperspektive für sich gesehen haben. Das ist schlecht für die Kommune, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Familien, aber auch für die Umwelt. Denn: Wenn eine Firma, weil sie hier keine Entwicklungsmöglichkeit sieht, ihren Sitz beispielsweise ins Ries verlegen muss und etliche ihrer Mitarbeiter, die heute bei uns wohnortnah ihren Arbeitsplatz haben, künftig 80 oder 100 Kilometer pendeln müssen, dann ist doch auch unter Umweltgesichtspunkten fraglich, ob das wirklich so sinnvoll ist. . .
myheimat: Das Stadtbild hat sich in den letzten Jahren durch viele Baumaßnahmen verändert. Wo liegen aktuell die größten Baustellen der Stadt? Wie kommt die Stadt Neusäß bei der Erstellung des Wärmeplans voran und welche Projekte werden als nächstes angegangen?
Bürgermeister Greiner: Das aktuelle Erscheinungsbild von Neusäß ist geprägt von den großen Herausforderungen unserer Zeit: Schaffung von Wohnraum, Erhalt und Ausbau der Infrastruktur, Auswirkungen unserer Energie- und Wärmeplanung für die Stadt Neusäß und die Ortsteile, Gesundheitsstandort, Investitionen in Bildung und Betreuung.
Mit den großen Neubauprojekten Sailer- und Schusterareal sind wir inzwischen weit vorangeschritten: Der „Beethovenpark“ ist abgeschlossen, die meisten neuen Wohnungen im Schuster-Areal konnten 2023 bezogen werden; das Wolf-Café ist zu einem neuen Treffpunkt geworden. Im kommenden Jahr wollen wir hier den Stadtplatz am Eingang zur Stadtmitte einladend gestalten. Das erweiterte Ärztehaus an der Hauptstraße stärkt die wohnortnahe medizinische Versorgung unserer Bevölkerung. Mit der Ansiedlung diverser Abteilungen der Uniklinik bzw. von einzelnen Lehrstühlen der medizinischen Fakultät konnten wir in den letzten beiden Jahren das Profil von Neusäß als Gesundheitsstandort weiter schärfen. Inzwischen spüren wir das auch ganz konkret bei Anfragen zu Ansiedlungswünschen medizinaffiner Unternehmen, die auf den Standort Neusäß aufmerksam werden.
Die Großbaustelle rund um die Generalsanierung unseres J. v. Liebig-Gymnasiums und die Fertigstellung der neuen „Offenen Ganztagsbetreuung“ an der Eichenwaldschule stärken unsere Schullandschaft. Diese Entwicklung im Bereich Bildung und Betreuung schreiben wir 2024 mit dem Start des Großprojekts „Neubau von Schule, Feuerwehr und Turnhalle in Westheim“ fort. Ebenfalls im nächsten Jahr wird auch der Spatenstich für die zweite große Zukunftsinvestition erfolgen, der Neubau der Stützpunktfeuerwehr im Stadtteil Alt-Neusäß.
myheimat: Stadtfest, Volksfest, der erste Neusässer Volkslauf und jetzt die Weihnachtsmärkte – es konnte 2023 wieder gefeiert werden. Spielt Corona in Neusäß noch eine Rolle? Was war ihr persönliches Highlight und wie fällt Ihr Fazit zum kulturellen Jahr 2023 aus?
Bürgermeister Greiner: 2023 haben alle Gesundheitsdaten darauf hingewiesen, dass das Coronavirus für die große Mehrheit unserer Bevölkerung keine übermäßige Gefahr mehr darstellt. Ganz aktuell sind etwa 1,2 Prozent aller Intensivbetten mit Corona-Erkrankten belegt – in der Hochphase der Pandemie lag die Rate immerhin bei über 20 Prozent. Da war es richtig, vorsichtig zu sein. In diesem Jahr war es nun schön, zu beobachten, wie die Menschen allmählich wieder Vertrauen schöpften und Lust bekamen, unsere Feste zu besuchen, Gemeinschaft zu spüren und unbeschwert zu feiern. Wir haben versucht, diese Aufbruchstimmung durch die genannten Angebote zu unterstützen.
Hervorragend besucht waren aber auch die Vereinsfeste, die wieder zahlreich stattfinden konnten. Ein ganz besonderer Höhepunkt war dabei sicher das grandiose Straßenfest der Feuerwehr Steppach anlässlich ihres 150. Gründungsjubiläums im Juni.
myheimat: Zuletzt: In diesem Jahr feierte der neusässer sein 20-jähriges Jubiläum. Die Jubiläumsausgabe wurde stark mitgestaltet von den neusässer Vereinen. Welchen Stellenwert haben diese für die Gemeinschaft?
Bürgermeister Greiner: Der „neusässer“ bietet unseren Vereinen jeden Monat eine sympathische Plattform, ihre Aktivitäten vorzustellen, auf Veranstaltungen hinzuweisen und die Leserinnen und Leser anzuregen, mitzumachen und sich zu engagieren. Ob soziale Initiativen für das Gemeinwohl, unsere Tafel, Seniorenbetreuung und organisierte Ausflüge, die Integration von Flüchtlingen, aktive Feuerwehren, die Pflege von Musik, Kultur, Heimat und lebenslanger Bildung, Sport und Gesundheit – in Neusäß haben wir 135 Vereine mit einem breiten Angebot für Jung und Alt.
Mein herzlicher Dank gilt den vielen Menschen, die sich für unsere Stadtgesellschaft ehrenamtlich einsetzen. Sie alle kümmern sich an ihrem Platz um ihre Mitmenschen, unterstützen und vernetzen Kinder, Jugendliche, Familien, Senioren. Mögen Sie bitte weiter so positiv für unsere Stadtgesellschaft wirken, damit wir auch in Zukunft als starke Gemeinschaft in Frieden gut zusammenleben können!
Ich danke Ihnen für das ausführliche Gespräch! Das Interview führte Florian Handl