Bahnhof Neusäß unter der Lupe – wie marode ist er wirklich? Die Qualität des Bahnhofs Neusäß anhand von neun Kriterien
Über Bahnhöfe wird in ganz Deutschland gemeckert. Sie sollen das Aushängeschild von Städten sein, sind aber meist das Gegenteil: verfallene Plätze, die bestenfalls lichtscheues Gesindel anziehen. Bröckelnde, marode Bahnhofsgebäude und mangelnder Komfort für Bahnreisende – so sieht die Wirklichkeit meist aus. Neun Kriterien sollte ein Bahnhof erfüllen, um als tauglich oder präsentabel zu gelten: Gute Verkehrsanbindung, Parkmöglichkeiten, Barrierefreiheit, Service, Möglichkeiten des Ticket-Erwerbs, Infrastruktur, Shops / Gastronomie, sowie ein Fahrplan, optimal auf den Bedarf der ansässigen Bevölkerung zugeschnitten ist, zeichnen einen Bahnhof aus. Darüber hinaus sollte er sauber sein.
Wie schlecht es um den Bahnhof Neusäß bestellt ist, wissen die Bürger gefühlsmäßig schon lange. Werden die neun Kriterien geprüft, fällt das Urteil ebenfalls verheerend aus. Dabei sind die Punkte, bei der die Stadt Neusäß einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität des Bahnhofs leisten kann, in Ordnung. Die Ergebnisse für die Kriterien, für die jedoch die Bahn zuständig ist, solange ihr der Bahnhof gehört, fallen ernüchternd aus.
Der Bahnhof Neusäß unter der Lupe:
Verkehrsanbindung:
Die Buslinie 500 bzw. 501 hält fast direkt vor dem Bahnhof. Aussteigen müssen Fahrgäste, die von Augsburg her kommen, auf dem Radweg. Fahrgäste, die aus Aystetten kommen, müssen über die Straße. Für diesen Punkt ist die Stadt Neusäß zuständig, dieser Punkt liegt bis dahin im grünen Bereich. Taxistände gibt es keine. Diese sind am Bahnhof Neusäß allerdings auch nicht notwendig. Punktabzug gibt es dennoch. Denn auf dem Bahngelände hängen keine Busfahrpläne aus. So oft, wie Züge sich massiv verspäten oder gar ganz ausfallen, wäre diese Dienstleistung auf alternative öffentliche Verkehrsmittel seitens der Deutschen Bahn ein gelungener Service, der jedoch ausbleibt.
3 von 5 Punkten.
Parkplätze:
Fahrräder können an einem Fahrradständer abgestellt und abgesperrt werden. Die Entfernung zwischen Fahrradständer und dem Bahngleis für Reisende in Richtung Augsburg bzw. München, ist gering, die vorhandenen Plätze annähernd ausreichend. Oft werden die Fahrräder an der gegenüberliegenden Hecke oder am Gartenzaun des Grundstücks, das an den Fahrradständer grenzt, abgestellt, ohne im Weg zu stehen.
Mit Parkplätzen für Autos sieht es auch nicht allzu schlecht aus. Vom Park & Ride neben der Feuerwehr sind Autofahrer in fünf Gehminuten am Bahngleis. Wer nur Bahnreisende abholt, parkt meist vor der ehemaligen Post Ecke Fuggerstraße. Eine Tiefgarage gibt es auch noch.
4 von 5 Punkten.
Barrierefreiheit:
Barrierefreiheit ist am Bahnhof Neusäß ein Fremdwort. Aufzug? Fehlanzeige. Rollstuhlfahrer sind chancenlos, selbst mit Begleitperson. Wer auf den Bahnsteig Richtung Ulm will, muss 31 Treppen überwinden. Richtung Augsburg bzw. München spart man sich mehr als die Hälfte davon, wenn man von der Fuggerstraße bzw. ehemaligen Post aus kommt. Beide Bahnsteige sind nicht miteinander verbunden. Wer auf dem falschen wartet, muss alle Treppen nach unten und nebenan wieder hinauf. Im Winter bei Glätte bergen die Stufen, von denen eine im oberen Bereich des Bahnsteigs Richtung Ulm übrigens wackelig ist, extreme Rutschgefahr. Gestreut werden sie augenscheinlich nicht.
0 von 5 Punkten. Hier wären durchaus Minuspunkte angebracht, sofern welche vergeben würden.
Service:
Seit 2011 hat Neusäß auf jedem Bahnsteig eine kleine LED-Anzeigetafel, auf der Verspätungen angezeigt werden. Davor bestimmten Lautsprecherdurchsagen die Informationspolitik der Deutschen Bahn am Bahnhof Neusäß. Diese zeichneten sich einerseits dadurch aus, dass auf die Verspätung erst hingewiesen wurde, wenn der Zug bereits überfällig war und praktisch jede Minute einfuhr. Andererseits wurden bei Verspätungen, die letztendlich in einem kompletten Zugausfall resultierten, nicht darauf hingewiesen, dass der Zug nicht mehr kommt. Stattdessen wurde man auf zehn Minuten oder unbestimmte Zeit vertröstet. Zumindest war dies bei etlichen Malen so, als Menschenmassen darauf warteten, morgens in die Arbeit zu fahren. Glücklicherweise informierten andere potenzielle Fahrgäste mit Internetzugang die Mitreisenden darüber, denn auf bahn.de standen die Infos bereits. Dann gibt es noch eine Infotafel. Aber mehr als Hausordnung und Abfahrtszeiten, die bisweilen nicht mit den tatsächlichen Abfahrtszeiten oder denen im Jahresfahrplan oder Internet übereinstimmten, gibt die Infotafel nicht her. Einen Schalter oder ähnliche Service-Maßnahmen sucht man an einem Kleinstadt-Bahnhof wie Neusäß natürlich vergeblich.
1 von 5 Punkten.
Ticket-Erwerb:
Einen Fahrkartenautomat gibt es, ein Stempelgerät für ebenfalls. Zu Stoßzeiten ist ein Automat allerdings wenig. Zudem spuckt er längst nicht alle Reiseziele der Bahn aus, sondern beschränkt sich vorwiegend auf die gängigen Tickets und Fahrtziele in Bayern. Wann bekommen Bahnhöfe wie Neusäß einen Touch-Screen-Automaten, an dem man praktisch alle Fahrkarten kaufen kann, die das Unternehmen Deutsche Bahn anbietet? Die Bahn ist dabei, sukzessiv Schalter-Personal abzubauen, indem für einen Ticketkauf in Reisezentren wie Augsburg fünf Euro Beratungsgebühr verlangt werden. Allerdings steht sich die Bahn mit dem Nichtaufstellen von Touch-Screen-Automaten an Bahnhöfen dabei selbst im Weg. Denn wer Fernreisen mit der Bahn unternehmen will, muss bislang an den Hauptbahnhof Augsburg kommen oder im Internet buchen. Nicht einmal der stark frequentierte Bahnhof Augsburg-Oberhausen hat einen Touch-Screen-Automaten.
1 von 5 Punkten.
Fahrplan:
Mit dem FuggerExpress geht es für Neusässer ohne Umsteigen bis nach München. In die andere Richtung geht es nach Ulm, wobei nicht jeder haltende Zug bis dahin fährt. Manche haben Gessertshausen oder Dinkelscherben als Endhaltestelle. In diese Richtung fahren die Züge von Augsburg Hbf aus wochentags ab 5:25 Uhr zweimal pro Stunde. Zwischen 13 und 14 Uhr sowie zum Feierabendverkehr sogar bis zu viermal pro Stunde. Ab 21:51 Uhr fahren die Züge nur noch stündlich Richtung Ulm – und zwar von Augsburg Hbf aus um 22:52 Uhr und 23:52 Uhr. Am Samstag, Sonntag und an Feiertagen ist Stundentakt angesagt, und zwar bis auf 12:22 Uhr bis einschließlich 21:25 Uhr immer um 25 Minuten nach. Nur der Sommerfahrplan birgt eine weitere Ausnahme, denn dort fährt der Zug am Hauptbahnhof in Augsburg erst um 17:34 Uhr statt um 17:25 Uhr los. In den späten Abendstunden verschiebt sich die Regelmäßigkeit der Abfahrtszeit dann. Um 21:51 Uhr fährt der zweite Zug zwischen 21 und 22 Uhr abends gen Ulm ab, um 22:52 Uhr und 23:52 Uhr sind dann die letzten Möglichkeiten.
In Richtung München fährt werktags um 4:47 Uhr der erste Zug von Neusäß ab. Bis München Hbf fahren ab 5:24 Uhr bis 19:56 Uhr immer zwei Züge pro Stunde – und zwar immer um 24 Minuten nach und um vier Minuten vor der vollen Stunde. In der Früh kommt noch eine Handvoll Züge hinzu, deren Fahrt in Augsburg endet. Ab 20:24 Uhr steigen Passagiere in Neusäß nur noch stündlich in den Zug nach München ein. Der letzte Zug fährt um 23:24 Uhr. Am Wochenende und an Feiertagen hält der FuggerExpress in Neusäß stündlich um 24 Minuten nach der vollen Stunde. Ausnahmen sind der erste Zug um 5:22 Uhr, sowie die Abfahrt um 7:22 Uhr. Alle Züge am Wochenende fahren mit Halt in Augsburg-Oberhausen, Augsburg Hbf und den gängigen Stationen Augsburg-Haunstetterstraße, Augsburg-Hochzoll, Kissing, Mering, Mering St. Afra und München Pasing bis München Hauptbahnhof. Manche haben sogar Althegnenberg, Haspelmoor und Mammendorf auf der Karte. Nach Mitternacht geht gar nichts mehr.
4 von 5 Punkten.
Infrastruktur:
Keine Toiletten. Kein Bahnhofsgebäude. Wer mitansehen muss, wie Bahnhofsgebäude von kleineren Bahnhöfen verfallen, ist sogar ganz froh drum, dass in Neusäß gar keines steht. In Westheim können sie ein trauriges Lied davon singen. Na und die Überdachung schützt auf beiden Bahnsteigen von der Treppe aus nur ein kleines Stück vor Regen, Wind und Witterung. Der Ausstieg aus dem Zug ist in Richtung Ulm oftmals nur mit einem sehr großen Schritt bzw. einem kleinen Sprung zu bewältigen. Fährt der Zug ein Stück zu weit oder zu wenig weit, landen die Füße beim Ausstieg auf Schottergelände. Wenigstens sind Fahrkartenautomat, Stempelgerät und Abfalleimer überdacht. Ja, es gibt Mülleimer. Weil die in Neusäß gar nicht so häufig sind, gibt’s sogar noch einen halben Gnadenpunkt.
0,5 von 5 Punkten.
Gastronomie:
Ein Snack-Automat auf dem Bahnsteig nach Ulm stellt das Gastronomie-Angebot seitens der Deutschen Bahn dar. Wer einen richtigen Happen für unterwegs kaufen möchte, braucht mindestens sechs Minuten zeitlichen Puffer, um beim Bäcker in ein paar Hundert Metern Gehentfernung einzukaufen.
0,5 von 5 Punkten.
Sauberkeit:
Der Bahnhof Neusäß ist in Sachen Reinlichkeit Mittelmaß. Da gibt’s hässlichere und dreckigere Bahnhöfe, aber auch schönere. Graffiti-Schmierereien sind nicht schön anzusehen. Dafür gibt’s ein verwittertes Kreuz, dass an einen Schüler erinnert, der am Bahnhof Neusäß ums Leben kam. Zwielichtige Gestalten, Drogenhandel oder Hundekot fallen andernorts unangenehm auf, in Neusäß nicht. Im Winter gehören allerdings unbedingt die Treppen gestreut!
2,5 von 5 Punkten.
Insgesamt hat der Bahnhof Neusäß 16,5 von 45 zu vergebenden Punkten erhalten. Das ist sehr wenig. In entscheidenden Punkten wie Verkehrsanbindung, Parkplätze und Fahrplan steht der Bahnhof Neusäß sogar recht ordentlich da. Zum Bahnhof einer Stadt mit 21.500 Einwohnern gehört aber auch eine vernünftige Infrastruktur und ein solides Service-Angebot. Dort lässt der Bahnhof Neusäß Federn – wie so viele andere Bahnhöfe im Landkreis und ganz Deutschland auch. Ganz hart zu kritisieren ist allerdings die absolut ungenügende – weil nicht vorhandene – Barrierefreiheit! Dürfen wir hoffen, dass sich am Bahnhof Neusäß etwas tut? Die LED-Anzeigetafel und der FuggerExpress sind Schritte in die richtige Richtung. Ebenso wie die umgesetzte Idee, die Bushaltestelle näher an den Bahnhof zu bringen. Auch wenn es sich nur um wenige ampelfreie Meter handelt.
Weiterführende Links auf myheimat.de: Lest Bus hält jetzt am Bahnhof Neusäß oder taucht ein in die Welt des hässlichsten Bahnhof Bayerns.