Dirigent Johannes Harneit und Komponist Marios Joannou Elia feiern mit Autosymphonic Welturaufführung eines Konzerts mit Oldtimern
Mannheim, Friedrichsplatz. Der Wasserturm wechselt die Farbe. Beim Konzert der Söhne Mannheims bleibt er noch blau angestrahlt, bei der Autosymphonic wechselt er die Farben mehrfach. Orange Fenster und blaue Fassade, grüne Fenster und violette Fassade, bedrohlich rote Fenster oder mit grünen Lasern nachgezeichnete Konturen. Zum Schluss projizierte Horst Hamann die anatomische Zeichnung des Menschen von Leonardo da Vinci auf den Wasserturm. Auch die Häuser und Bäume um den Friedrichsplatz herum fallen seinen Lichtinstallationen zum Opfer. Der Mannheimer ist ein international gefragter und augezeichneter Fotograf und Multimedia-Künstler. Er hatte den Auftrag, die Autosymphonic multimedial in Szene zu setzen. Ohne Vorgaben. Seine Videoinstallationen und der Einsatz von Lasern waren bombastisch. Das Publikum wusste teils gar nicht, wohin es schauen sollte, so viele multimediale Effekte. Vom Motiv Zeit über trappelnde Pferde und schwarzweiße Oldtimer bis hin zu Farbspielereien reichte die visuelle Bandbreite in 400 Metern LED-Wand Autosymphonic.
Auf eine sechzehntel Sekunde genau waren multimediale Show und Musik aufeinander abgestimmt, informiert musikalischer Leiter Johannes Harneit. Das Schwierige an seiner Aufgabe war, alle musikalischen Elemente in der Mitte des Friedrichsplatzes zusammenzuführen. Denn am 10. September 2011 spielten nicht nur die rund um den Friedrichsplatz verteilten Automobile – vorwiegend Oldtimer, bedient von 113 Kindern und Jugendlichen aus Mannheim– die Musik, sondern zudem das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden & Freiburg mit 85 Musikern, das SWR Vokalensemble Stuttgart mit 32 Vokalisten, acht Mitglieder des Kinderchores der Staatsoper Stuttgart und sechs Mitglieder der „Söhne Mannheims“. Alle auf zehn unterschiedlichen Bühnen, verteilt auf 65.000 Quadratmeter. Daher dirigierte Harneit mit Computerbildschirm und ließ sich beim Tempo von einem Timecode unterstützen. Für die Zuhörer war es dadurch sehr schwierig, die Instrumentalisten zu lokalisieren.
Dirigent: „Komponist ist verrückt!“
Vor einem halben Jahr wurde Harneit angefragt. „Da ich den Komponisten kenne und schon aufgeführt habe, habe ich zugesagt“, sagt der musikalische Leiter der Autosymphonic. Er wusste, dass dieses Projekt schwierig werden würde. Doch er ahnte im Hinblick auf den Komponisten auch, dass die Welturaufführung der Autosymphonic anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Automobils ein Erfolg werden müsste. „Ich wusste, der ist verrückt“, äußerte sich Harneit nach dem Konzert über den Mann, der die Partitur geschrieben hat, und meint das positiv. Der Komponist der Autosymphonic heißt Marios Joannou Elia und war schon Künstler des Jahres in seiner Heimat Zypern. Autos hat der Doktor der Philosophie schon öfters in Kompositionen eingebaut. Mit der Autosymphonic will er klassische und populäre Musik verbinden, was ihm mit der Open Air Multimediasinfonie mit fünf Akten, zwei Brücken, Ouvertüre und Finale auf der einen und dem Einbau von Jugendlichen und den erfolgreichen Popmusikern „Söhne Mannheims“ auf der anderen Seite sehr gut gelingt.
Elia ist zufrieden mit seiner Welturaufführung, strahlt, vom Erfolg übermannt, übers ganze Gesicht. Er ist sich sicher, dass es für diese Art von Musik eine Fortsetzung geben wird. Der Komponist war bei Castings und Proben dabei, um das musikalische Potenzial insbesondere der Kinder und Jugendlichen abzuschätzen, die den Autos zur richtigen Zeit Töne entlockten. Das musikalische Potenzial von Automobilen hat er über acht Jahre erforscht. Elia weiß: „Das Auto ist eigentlich kein Instrument.“ Durch einen Zufall ist er darauf gekommen, mit Autos Musik zu erzeugen. Bei einer Arbeit für die Gläserne Manufaktur in Dresden gab es Schwierigkeiten mit der Koordination. Als Hilfsmittel für den Dirigenten setzte er Lichthupen ein. Dabei kam ihm der zündende Gedanke und er erforschte Autos auf Musiktauglichkeit. 200 verschiedene Klänge hat er den Autos für die Autosymphonic entlockt. Von zuschlagenden Türen bis zum Einsatz der Scheibenwischer-Spritzanlage.
88 Autos waren im Casting, 66 davon schafften es zur Premiere auf den Friedrichsplatz, informiert Harneit. Ein Vehikel war dabei so einzigartig, dass es durch kein anderes Automobil ersetzt werden könnte: der Aero 662-R18, Baujahr 1934, zwei Zylinder, 18 PS, 75 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit und ein Hubraum von 670. „Der Aero liefert fünf unterschiedliche Geräusche“, sagt Harneit. „Auf den schönen alten Spikes wird gespielt und die Trittstufen erzeugen ein Ratschen“, erklärt der Dirigent. Auch das Lösen der Handbremse erzeugt ein Geräusch. Insgesamt produzieren die Schüler an den Autos 180.000 Geräusche. Die Sounds wurden von Schlagzeugern eingespielt, sodass es bei der Autosymphonic zu einer Mischung aus Live-Klängen durch die Mannheimer Schüler und vorgemischten Klängen kam. Die Autosymphonic zur Würdigung von Carl Benz war ein gelungener Mix aus Klassik und Pop und gleichzeitig ein stimmiger Ausklang des Automobilsommers 2011. Doch die 17.000 Zuschauer waren nach dem Finale erstmal baff.
Xavier Naidoo patzt bei Auto-Song
Einen ersten lautstarken Zwischenapplaus bei der Autosymphonic bekamen die „Söhne Mannheims“ in ihrem Part. Unter sehr wohlklingender Bläserbegleitung sangen Xavier Naidoo und Kollegen „Ich reite mit dir über die Erde, du bist 500 Pferde.“ Schon davor hatte die komplette Truppe der „Söhne Mannheims“ ihren Auftritt, sozusagen als Support der Autosymphonic. Das Publikum bekam da schon einen Vorgeschmack auf Hamanns Videoinstallationen. Bei „Neustart“ drehte sich eine grüne Uhr mit Stricheinheiten auf der großen LED-Wand, Häuserwände und Bäume leuchteten violett. Die „Söhne Mannheims“ spielten in ihrem einstündigen Konzert auf dem Friedrichsplatz mit „Vielleicht“, „Freiheit“ und der Zugabe „Dein Leben“ nur wenige deutschlandweit bekannte Single-Auskopplungen, legten den Fokus aufs Regionale und das Thema Auto. Dabei präsentierten sie ein extra für diesen Anlass geschriebenes Lied. „Mein erstes Wort war Auto“ probten die Popmusiker auf der Open Air Bühne bereits am Nachmittag hörbar, dennoch gönnte sich Xavier Naidoo am Abend einen Patzer. „Ich hab die erste Strophe verkackt“, gestand er prompt auf der Bühne. Doch die Mannheimer nahmen es ihm nicht übel, schließlich spornte er das Publikum davor kräftig an: „Macht so weiter, überschwemmt die Welt mit Erfindungen aus Mannheim!“ Was kommt wohl nach Automobil und Raketenflugzeug?