Radfahren auf Fußgängerüberwegen, Gehwegen und im Kreisverkehr
Das Bild zum Beitrag Auch Radler mehr zur Kasse bitten? - Aktuelle Diskussion zu Bußgeldkatalog-Plänen zeigt einen Fußgängerüberweg nahe des Kreisverkehrs Kramerplatz am Naumburger Lindenring (Karte).
Wie auf dem Foto gut erkennbar ist die Fußgängerpromenade zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen mit Zeichen 239 und Zusatzzeichen 1022-10 für das Befahren mit Fahrrädern freigegeben. Sie dürfen dort nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren und haben auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen
(Quelle).
Auch auf der sich rechts vom Bild anschließenden Salzstraße ist die Fußgängerzone für Radfahrer freigegeben.
Erstmal sollte sich jeder ortskundige Leser fragen, wie er auf der Route von der Salzstraße zum Lindenring die Situation meistern würde. Absteigen? Anhalten? Ich bin neugierig.
Und ich bin ehrlich: Ich würde mich genauso wie im Bild verhalten und das möchte ich im Folgenden begründen.
StVO § 26 zu Fußgängerüberwegen schreibt vor:
(1) An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen den Fußgängern sowie Fahrern von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Dann dürfen sie nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen sie warten.
(2) Stockt der Verkehr, so dürfen Fahrzeuge nicht auf den Überweg fahren, wenn sie auf ihm warten müssten.
(3) An Überwegen darf nicht überholt werden.
(4) Führt die Markierung über einen Radweg oder einen anderen Straßenteil, so gelten diese Vorschriften entsprechend.
Ein Verbot des Überfahrens des Fußgängerüberwegs selbst ist also nicht formuliert. Radfahrer, die an einem Fußgängerüberweg die Straße queren, müssen dagegen selbstverständlich die Vorfahrt beachten.
Der Rechtsanwalt Dietmar Kettler schreibt in seinem Buch "Recht für Radfahrer - Ein Rechtsberater" (http://www.recht-für-radfahrer.de/), 2. überarbeitete und aktualisierte Aufl., 2007 RHOMBOS-VERLAG, Berlin im Abschnitt Fußgängerüberwege (§ 26 StVO):
An Fußgängerüberwegen haben Radfahrer wie alle anderen Fahrzeuge (mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen) denjenigen Fußgängern das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen, die den Überweg erkennbar benutzen wollen. Gleichen Vorrang wie die Fußgänger haben hier Fahrer von Krankenfahrstühlen und von Rollstühlen. Ein Radfahrer hingegen, der sich als solcher fortbewegt, genießt bei Überquerung der Fahrbahn auf einem Fußgängerüberweg nicht diesen Schutz (OLG Hamm, NZV 1993, 66, 1290; OLG Düsseldorf, NZV 1998, 296). Zwischen einem Radfahrer, der einen Fußgängerüberweg verkehrswidrig befährt, und einem Kraftfahrer, der sich nicht mit nachweisbar mäßiger Geschwindigkeit genähert hat, ist der Schaden demzufolge zu teilen (AG Köln, VersR 1984, 1179). Auch der Radfahrer auf einem Radweg, der parallel zum Zebrastreifen die Fahrbahn quert, nimmt nicht teil an den Vorrangrechten der Fußgänger aus § 26 StVO. Steigt der Radfahrer von seinem Rad ab und schiebt es über den Überweg, kommt er jedoch in den Genuss des Schutzes (OLG Düsseldorf, NZV 1998, 296). Auch wer sein Rad mit einem Fuß auf dem Pedal über den Zebrastreifen "rollert", bleibt Fußgänger mit Vorrang (OLG Stuttgart, VRS 74, 186; KG, NZV 2005, 92). Kinder, die altersbedingt noch zum Gehwegfahren verpflichtet sind, genießen auf dem Zebrastreifen auch Rad fahrend den Vorrang, wenn sie so langsam fahren wie ein Fußgänger und die Querungsabsicht rechtzeitig erkennbar ist (OLG Stuttgart, VRS 74, 186; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1988, 35). Die gelegentlich zu findende Behauptung, das Absteigen an Zebrastreifen sei für Radfahrer Pflicht, findet im Gesetz keinerlei Stütze; wer nicht absteigt, muss die Straße allerdings so queren, als hätte sie keinen Zebrastreifen.
Ich kann das durchaus informative Buch weiterempfehlen. Was aber fordert die Straßenverkehrsordnung im letzten Fall von dem Radfahrer? In StVO § 8 zur Vorfahrt heißt es dazu u.a.:
(2) Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muß rechtzeitig durch sein
Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen
lassen, daß er warten wird. Er darf nur weiterfahren, wenn er über-
sehen kann, daß er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch
wesentlich behindert. Kann er das nicht übersehen, weil die Straßen-
stelle unübersichtlich ist, so darf er sich vorsichtig in die Kreu-
zung oder Einmündung hineintasten, bis er die Übersicht hat. Auch
wenn der, der die Vorfahrt hat, in die andere Straße abbiegt, darf
ihn der Wartepflichtige nicht wesentlich behindern.
Ob der abgebildete Radfahrer sich daran gehalten hat, kann ich auf dem Bild leider nicht erkennen. Im Allgemeinen ist jedoch festzustellen, dass sich die meisten (noch lebenden ;-) ) Radfahrer naturgemäß defensiv im Verkehr bewegen.
Die Straßenverkehrsbehörde scheint eine vermeintliche besondere Gefahrenlage nicht zu sehen. Denn sonst hätte sie die Freigabe des Gehwegs auf dem Mittelstreifen nicht anordnen dürfen:
Die Verwaltungsvorschrift zur StVO erläutert zu Zeichen 239 Gehweg u.a.:
Die Freigabe des Gehweges zur Benutzung durch Radfahrer durch das Zeichen 239 mit Zusatzzeichen "Radfahrer frei" kommt nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Belange der Fußgänger vertretbar ist.
Die Beschaffenheit und der Zustand des Gehweges sollen dann auch den gewöhnlichen Verkehrsbedürfnissen des Radverkehrs (z.B. Bordsteinabsenkung an Einmündungen und Kreuzungen) entsprechen.
(Quelle)
Es lässt sich jedoch sogar für einen Vorrang des Radfahrers argumentieren. Diese Argumentation bewegt sich jedoch im Graubereich des Rechts. StVO § 8 Vorfahrt, Fassung: 2009-09-01 (Quelle):
(1a) Ist an der Einmündung in einen Kreisverkehr Zeichen 215
(Kreisverkehr) unter dem Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren) angeordnet, hat
der Verkehr auf der Kreisfahrbahn Vorfahrt. Bei der Einfahrt in einen
solchen Kreisverkehr ist die Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers
unzulässig.
Der Vorrang gilt auch für Radfahrer, jedenfalls für die Fahrbahn und einen diesem zuzuordnenden Radweg ohne gesonderte Beschilderung. Der Text der Verwaltungsvorschrift zur StVO, StVO-VwV zu Zeichen 215 Kreisverkehr verdeutlicht dies:
VI. Der Fahrradverkehr ist entweder wie der Kraftfahrzeugverkehr
auf der Kreisfahrbahn zu führen oder auf einem baulich
angelegten Radweg (Zeichen 237, 240, 241). Ist dieser baulich
angelegte Radweg eng an der Kreisfahrbahn geführt (Absatzmaß
max. 4-5 m), so sind in den Zufahrten die Zeichen 215
(Kreisverkehr) und 205 (Vorfahrt gewähren) vor der
Radfahrerfurt anzuordnen. Ist der baulich angelegte Radweg
von der Kreisfahrbahn abgesetzt oder liegt der Kreisverkehr
außerhalb bebauter Gebiete, ist für den Radverkehr
Zeichen 205 anzuordnen.
Wie steht es jedoch mit Radfahrern, die einen Gehweg mit dem Zusatzzeichen 1022-10 (Radfahrer frei) benutzen? Das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes NRW teilte 2009 mit, der Vorrang des Radfahrers ergebe sich aus dem Verkehrszeichen 205 ("Vorfahrt achten"), welches den Autofahrer aus der untergeordneten Straße heraus verpflichtet die Vorfahrt des Radfahrers zu beachten. Dabei sei es nicht erheblich, ob der Radfahrer auf der Fahrbahn, einem benutzungspflichtigem Radweg oder dem "Gehweg, Radfahrer frei" unterwegs ist. Das Zeichen 205 regele die Vorfahrt von Fahrzeugen aller Art (siehe auch Beitrag "Gehweg, Radfahrer frei" des ADFC Bielefeld). Dietmar Kettler führt im Buch "Recht für Radfahrer" (S. 146) aus:
Wer als auf einem für Radfahrer freigegebenen Fußweg (Zeichen 239 mit Zusatzzeichen "Radfahrer frei") Rad fährt, muss Schrittgeschwindigkeit einhalten. Sonst kommt eine Mithaftung für einen Unfall mit einem abbiegenden, vorfahrtmissachtenden Autofahrer in Betracht (AG Berlin-Mitte, NJW-RR 2005,329).
Das heißt, sofern der Radfahrer erkennbar und mit geringer Geschwindigkeit den Kreisverkehr benutzt, sollten ausfahrende Fahrzeuge wartepflichtig sein.
Die geringere Rechtssicherheit beim Befahren von (freigegebenen) Gehwegen ist unvermeidlich. Ein Gehweg bleibt nun mal ein Gehweg, auch wenn dieser mit Zusatzzeichen 1022-10 (Radfahrer frei) oder mit Zeichen 241 (benutzungspflichtig) beschildert wird. Radwege erfordern andere Sichtbeziehungen (gesehen werden!) und Linienführung an Kreuzungen. Gefahren lauern an Grundstücksausfahrten. Radfahrerfurten an abgesetzten Gemeinsame Geh- und Radwegen werden bei geringen Radverkehrsmengen von Wartepflichtigen unachtsam überfahren. Das hat die Unfallforschung der letzten Jahre gezeigt, Gesetzgebung und Regelwerke für den Straßenbau wurden dahingehend überarbeitet. Wie die Unfallstatistiken zeigen, bleibt für Ortnungshüter, Straßenbauer und Gesetzgeber noch viel zu tun. Und solange natürlich auch für die Radlobby.
Unter "falscher Straßenbenutzung", einer nicht selten bezeichneten Hauptunfallursache, ist beispielsweise auch das unerlaubte Fahren auf dem Gehweg zu verstehen. Neben dem Schaden tragen Gehweg-Radfahrer dann auch die Unfallschuld. Deshalb sollten junge Radfahrer lieber lernen, sich selbstbewusst und sicher auf der Fahrbahn zu bewegen. Dafür tragen auch die älteren Verkehrsteilnehmer Verantwortung.
Bürgerreporter:in:Hagen Riedel aus Naumburg (Saale) |
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