Brauchen Mädchen Schulbildung?
Diese Frage wurde vor 475 Jahren in Naumburg erstmals mit JA beantwortet, aber erst seit 62 Jahren werden Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet.
Doch der Reihe nach.
Schulbildung für Jungen gibt es in Naumburg schon seit fast 1000 Jahren. Man geht davon aus, dass die Domschule, als deren Nachfolger sich das heutige Domgymnasium betrachtet, 1030 gegründet wurde. Auch wenn sie erst 1088 erstmals urkundlich erwähnt wird, feierte man 1930 ihr 900jähriges Bestehen.
Eine zweite Schule für Jungen, die so genannte Ratsschule, soll 1392 entstanden sein. Natürlich gab es deshalb zwischen den beiden Schulträgern, wie man das heute bezeichnet, dem Domkapitel einerseits und dem Stadtrat andererseits, unterschiedliche Auffassungen über die Rechtmäßigkeit und die Kompetenzen beider Schulen. Für das „gemeine“ Volk waren diese Schulen natürlich nicht vorgesehen, es waren „Lateinschulen“, die ihre Schüler auf einen geistlichen Beruf oder ein späteres Studium an einer Universität vorbereiteten. Der Standort der Domschule befand sich bis 1950 am Dom, der der Ratsschule ab 1522 am Topfmarkt.
Die Reformation bedeutete auch für das Bildungswesen einen Neuanfang. Luther empfahl, in allen Städten, aber auch an kleineren Orten, deutsche Schulen einzurichten, die allen Schichten des Volkes zugänglich waren. In diesen Schulen sollten Jungen und Mädchen der Katechismus sowie allgemeine Kenntnisse für das praktische Leben in der Muttersprache gelehrt werden.
Die Gründung der später in der Naumburger Stadtgeschichte erwähnten Schulen an den Kirchgemeinden St. Moritz und St. Othmar geht vermutlich auf diesen Aufruf Luthers zurück, genauere Informationen scheinen nicht vorzuliegen. Bekannt ist aber, dass 1537 in Naumburg die erste Mädchenschule gebildet wurde, an der anfangs ein Ratsbeamter, ab 1550 eine Lehrerin unterrichtete. Die Schule befand sich zunächst in der heutigen Gutenbergstraße, später in der Neustraße 57 und ab 1819 in der Fischstraße 29. Auch im Machtbereich des Domkapitels, Naumburg war ja bekanntermaßen bis Anfang des 19. Jahrhunderts in zwei weitestgehend separate Bereiche geteilt, existierte später eine Schule.
Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in unserer Stadt bezüglich der höheren Schulbildung, die immer noch ausschließlich Jungen vorbehalten war, Probleme. Einerseits machten sich die Dom- und Ratsschule zuviel Konkurrenz, andererseits gab es zu wenige Lehrfächer, die „das praktische Leben“ berücksichtigten. Nach jahrelangen Verhandlungen einigte man sich, das Naumburger Schulwesen zu reformieren. Ab 1808 existierte nur noch die Domschule (seit 1822 Domgymnasium genannt) als „Gelehrtenschule“, die auf ein Studium vorbereitete. Die oberen Klassen der Ratsschule wechselten zu dieser Schule.
An die Stelle der Ratsschule trat eine neu errichtete Bürgerschule, die zur besonderen Vorbildung für den gewerbetreibenden Bürgerstand vorgesehen war und auch von den Jungen der Domfreiheit als Grundschule besucht wurde. Gleichzeitig sollte sie zur Vorbereitung auf den höheren Unterricht an der Domschule dienen.
Schon ein Jahr später, 1809, wurde das Konzept fallen gelassen und der „Volksschulteil“ aus der Bürgerschule ausgegliedert.
Einen großen Umbruch, auch im Schulwesen, gab es, als Naumburg 1815 nach dem Wiener Kongress preußisch wurde. Die Angleichung des Unterrichts und der Prüfungen an die in Preußen üblichen Standards ist möglicherweise vergleichbar mit den Veränderungen, die wir ab 1990 erlebt haben. Am 3. Oktober 1816 wurde die Domschule der preußischen Schulverwaltung unterstellt. Nach anfänglichen Turbulenzen bescheinigte die Königliche Wissenschaftliche Prüfungskommission 1820, dass die Umstellung gelungen sei.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts gab es auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Technik und Industrie in Preußen Bestrebungen, die Bürgerschulen in Realschulen umzuwandeln, die als Vorbildungseinrichtungen für technische Hochschulen, eine Offizierslaufbahn oder ärztliche Berufe anerkannt waren. Die Weiterentwicklung der Realschulen zu Realgymnasien erreichte 1900 in Preußen ihren Höhepunkt mit der Gleichstellung dieser Bildungseinrichtungen mit den Gymnasien bezüglich der Zulassung zum Universitätsstudium.
Auf dem Wege dahin wurde in Naumburg zunächst eine „höhere Bürgerschule“ errichtet, die von 1863 bis 1869 ihren Sitz in der ersten Etage des Gebäudes Steinweg 18 hatte. Die Unzulänglichkeit dieser Örtlichkeit bewog die Stadt, das am heutigen Kramerplatz gelegene alte Gasthaus „Zum Preußischem Hof“, früher "Zum goldenen Scheffel" zu kaufen und als Schulgebäude einzurichten (heutige Salztorschule). In den Weihnachtsferien 1869/70 konnte es bezogen werden. In den Jahren 1877/78 erfolgte dann der Anbau an dieses Gebäude in der heutigen Schulstraße.
Nach einigem hin und her wurde aus dem Realprogymnasium, wie die Schule ab 1882 hieß, 1891 zunächst eine lateinlose Realschule und 1900 schließlich ein Reform- Realgymnasium mit Realschule, für das am Theaterplatz 1903 bis 1905 ein neues Schulgebäude, die heutige Humboldt- Schule gebaut wurde.
1927 wurde aus dieser Schule eine Oberrealschule mit verstärktem Unterricht in Mathematik, den Naturwissenschaften und in Englisch. Wegen Sparmaßnahmen wurde diese Entwicklung ab 1935 schrittweise rückgängig gemacht. Nach einer Schulreform zur „Vereinheitlichung des höheren Schulwesens“ 1937 ging aus dieser Schule die „Städtische Oberschule für Jungen“ hervor, die 1938 den Namen „Walter Flex- Schule“ erhielt.
Bis 1858 existierte in Naumburg keine öffentliche höhere Schule für Mädchen. Man begnügte sich damit, die Mädchen aus den vornehmen Ständen durch Privatunterricht weiterbilden zu lassen und sie dann in eine auswärtige, meist sogar ausländische, Pension zu geben. Erst in diesem Jahr übernahm die Stadt eine von einem Fräulein Johanna v. Parasky 1847 gegründete, und zunächst in der Neustraße 50, später in der Fischstraße 22 befindliche höhere Privatmädchenschule. Diese wurde in einem Hintergebäude des Overwegschen Brüderstifts untergebracht. Da der Platz dort trotz diverser An- und Umbauten nie ausreichte, errichtete man 1899 das neue Schulgebäude in der Seilergasse. Erst ab 1894 war diese Schule „staatlich anerkannt“, was bedeutete, dass Abschlussprüfungen als Voraussetzung für ein späteres Studium abgelegt werden konnten. Ab 1900 trug die Schule den Namen Luisenschule, ab 1912 wurde sie als „Lyceum“ bezeichnet.
Zunehmender Raumbedarf brachte die Forderung nach einem Schulneubau, der nur durch einen glücklichen Zufall realisiert werden konnte: auf Grund Platzmangels musste ein neues Oberlandesgerichtsgebäude errichtet werden. Von der Stadt wurde erwartet, für die Zeit des Neubaus dem Oberlandesgericht ein Ausweichquartier zur Verfügung zu stellen. Das erwies sich als unmöglich, weshalb seitens der Stadt der Beschluss gefasst wurde, in der heutigen Thomas- Müntzer- Straße einen Neubau zu errichten, der zunächst als Ausweichquartier für das Oberlandesgericht und anschließend als Schulgebäude für das Luisen- Lyceum genutzt wird. Am 18. April 1918 konnte das neue Gebäude von den Schülerinnen bezogen werden.
Aus dem Luisen- Lyceum wurde später das Städtische Luisen- Oberlyceum. Mit der bereits erwähnten Schulreform zur „Vereinheitlichung des höheren Schulwesens“ wurde 1937 daraus die „Luisen- Schule, Städtische Oberschule für Mädchen“.
An Volksschulen bestanden im 19. Jahrhundert in Naumburg zunächst die städtischen Schulen in der Fischstraße und am Topfmarkt. Außerdem gab es die Moritz- und die Othmarsschule, die beide in unmittelbarer Nähe der jeweiligen Kirche befindlich, 1866 städtisch wurden. Außerdem existierte eine so genannte „freiheitische“ Mädchenschule, die sich in der Freyburger Straße gegenüber dem heutigen Moritzkindergarten befand. Sie wurde 1872 von der Stadt übernommen.
Im Jahre 1889 wurden alle genannten Schulen zu einer Volksschule vereinigt. Die Gebäude, in denen sich die einzelnen Schulteile befanden, waren mehr oder weniger marode, so dass die Errichtung neuer Gebäude dringend erforderlich war. So entstanden 1887 bis 1889 die Marienschule für die Mädchen und 1896 bis 1899 die Georgenschule für die Jungen.
Da von 1870 bis 1905 die Bevölkerungszahl in Naumburg von 15.000 auf fast 25.000 Einwohner gestiegen war, reichten diese beiden Schulneubauten nicht aus. Deshalb errichtete man 1904 noch einen Anbau an das Schulgebäude in der Schulstraße, in dem sich heute die Freie Schule Burgenlandkreis befindet.
Zu den beiden Volksschulen kamen 1932 eine weitere für Jungen, zunächst 3. Volksschule, später Salztorschule genannt, und 1933 eine Schule für Mädchen, zunächst 4. Volksschule dann Hans-Schemm-Schule genannt, hinzu. Letztere hatte ihren Sitz anfangs im Gebäude der heutigen Volkshochschule in der Seminarstraße, später in der Schulstraße.
Weil man in der Naumburger Bürgerschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch eine besondere Schule zwischen der Volksschule und den höheren Schulen haben wollte, wurde 1898 eine schulgeldpflichtige „gehobene Bürgerschule für Knaben und Mädchen“ eingerichtet. Diese auch in der Schulstraße untergebrachte Schule fand schnell großen Zulauf. 1917 wurde sie in eine Mittelschule umgewandelt.
Nach dem Intermezzo einer Lehrerausbildung in Naumburg zwischen 1907 und 1926, stand das eigens dafür errichtete Gebäude in der heutigen Seminarstraße für die Mittelschule ab ca. 1934 zur Verfügung.
Während der Osterferien 1945 kamen der Zusammenbruch des dritten Reiches und damit der Schulschluss. Der Schulbetrieb wurde erst am 1. Oktober 1945 wieder aufgenommen. Zuvor wurde zum 01.08.1945 die Hans- Schemm- Schule in Michaelisschule umbenannt, die Bezeichnung der Oberschule für Jungen als „Walter- Flex- Schule“ fiel erst Anfang 1946 weg.
Die Gebäude in der Schulstraße standen zunächst nicht zur Verfügung, da hier ein Hilfslazarett bzw. eine Flüchtlings-Auffangstätte eingerichtet waren. Auch das Gebäude der Mittelschule, in dem Ende 1944 ein Lazarett eingerichtet worden war, konnte nicht verwendet werden.
Im Frühsommer 1946 wurde das Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule für die Länder der Sowjetischen Besatzungszone verabschiedet. Es brachte ab Herbst 1946 entscheidende Veränderungen: die Grundschulpflicht wurde auf die ersten acht Schuljahre ausgedehnt, die Mittelschule wurde aufgelöst, die Oberschule umfasste von nun an nur noch das neunte bis zwölfte Schuljahr.
Die so verkleinerte Oberschule für Jungen zog mit in das Schulgebäude in der Müntzer- Straße. Durch die Inanspruchnahme dieses Gebäudes seitens der sowjetischen Besatzungsmacht wurde bald ein Umzug in die ehemalige „Kadette“ in der Kösener Straße notwendig, wo der Unterricht bis zum 1.08.1949 fortgeführt wurde. Danach zog die Oberschule in die Müntzerstraße und in das Schulgebäude in die Seilergasse ein.
1947 wurden zwei neue Grundschulen gebildet: die Uta-Schule für Mädchen, die in der Seilergasse unterkam und die Diesterwegschule für Jungen, die umschichtig mit der Salztorschule im Gebäude letzterer betrieben wurde.
Auf Erlass der Landesregierung von Sachsen/Anhalt vom 16.07.1948 wurde das Domgymnasium mit der Oberschule für Jungen vereinigt. Die Schüler des Domgymnasiums wurden als so genannter C-Zug der Oberschule für Jungen noch bis 1950 weiter in den Klassenräumen des Domgymnasiums unterrichtet. Auch der Unterricht in Latein und Griechisch wurde fortgeführt.
Erst mit dem Schuljahr 1949/50 wurde in Naumburg der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen eingeführt. Der Rat der Stadt verkündete damals: Gemeinsamer Unterricht „ist natürlich und gerecht, sparsam vom pädagogischen Standpunkte aus und wohltätig.“
Bleibt abschließend die Frage zu stellen, ob sich der gemeinsame Unterricht von Jungen und Mädchen bewährt hat. Neuere Forschungsergebnisse lassen Zweifel aufkommen. So hat man bei vergleichenden Studien festgestellt, dass abhängig davon, ob gemeinsamer Unterricht stattfand oder nicht auffallende Unterschiede im Verhalten, den Leistungen, den Berufswünschen und dem späteren Einkommen existieren.
Wie soll es also weiter gehen?
Bürgerreporter:in:Gerd Henschel aus Naumburg (Saale) |
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