Schon wieder eine HO Gaststätte
Die Gummibärchentorte
Wie es um die Gehälter der HO- und Konsumangestellten stand, ist ja allgemein bekannt soll aber noch einmal erwähnt werden. Also: Ein ungelernter Kellner verdiente 325 Mark Netto, ein gelernter dagegen 375 Mark Netto. Dazu kam je nach Gaststätte und Jahreszeit eine so genannte Provision die zwischen 100- und ca. 400 Mark anzusiedeln war. Die Summe richtete sich nach dem Umsatz der jeweiligen Gaststätte. Aus dieser Entlohnungsfrage heraus entstand bei den Kollegen immer wieder der Wunsch sich etwas dazu zu verdienen. So war es Mode, an den eigenen Ruhetagen in einer anderen Gaststätte auszuhelfen. Das war nicht schwer, denn bei dem chronischen Arbeitskräftemangel war jeder Kneiper froh wenn er einen Kollegen dazu bekam, vor allem wenn Dieser sein Handwerk einigermaßen verstand. Man ging also zum HO- oder Konsumkreisbetrieb, und meldete sein Interesse an einer Nebenbeiarbeit an. Völlig unbürokratisch wurde man dann an eine „bedürftige“ Gaststätte vermittelt. Hatte sich die Arbeitswilligkeit rumgesprochen, brauchte man den Kreisbetrieb nicht mehr, sondern wurde von dem Gaststättenleiter selbst geordert. Für drei DDR-Mark fünfzig, plus Trinkgelder, schob man dann seine Schicht. Es mag manchem verehrten Leser, vor allem den Altbundesbürgerlichen, eine recht spartanische Endlohnung gewesen zu sein, aber mit Nichten, dieses Geld, unversteuert und im vollen Umfang für den eigenen Geldbeutel war für die damaligen Verhältnisse ein recht gutes Zubrot. Ich möchte das mal mit einem Beispiel veranschaulichen. Wenn Sie damals mit Zehn DDR- Mark in der Tasche, in eine ganz normale durchschnittliche Arbeiterkneipe mit der Preisstufe I gingen, konnten Sie locker fünfzehn kleine Bier trinken und bekamen noch eine Sülze mit einer recht ordentlichen Portion Bratkartoffeln dazu. Machen Sie das bitte heute mal mit Zehn Euro.
Nun gehörte unser Kellner, nennen wir ihn weiter Kalle zu den Menschen, die ihren Lebensstandart nicht nach dem Gehalt, sondern nach ihren Nebeneinkünften ausrichteten. Somit war auch er gezwungen an seinen freien Tagen Nebenbeschäftigungen anzunehmen. Er hatte das Glück mit einem Gaststättenleiterehepaar befreundet zu sein welches ein recht großes Café am Rande einer kleinen Kurstadt betrieben. In der Nähe dieses Cafes war ein Gradierwerk welches für überreichlich Gäste sorgte. Besonders sonntags, wenn das Kurkonzert angesagt war, reichten die Plätze und auch das Personal nicht aus um diesen Andrang zu bewältigen. So konnte er in den Sommermonaten das finanzielle Defizit immer wieder ausgleichen. Wie gesagt, es war ein Café und so wurde neben verschiedenen Imbissangeboten in erster Linie Kuchen und Kaffe verkauft, und das in sehr großen Mengen. Hier wurde auch nicht serviert, sondern der Gast musste sich in einer unendlichen Warteschlange an die Angebotstheken heran warten, seine Wünsche äußern, die Ware auf ein ergattertes Tablett packen und sich wiederum, nun an der Kasse anstellen. Hatte er, der Gast, dann diese Prozedur hinter sich begann der Kampf um einen der eigentlich in großer Menge vorhandenen Sitzplätze.
Egal, Kalle hatte nun dort die Aufgabe Gebäck zu verkaufen. Das Café und auch der Gebäckverkauf waren allerdings eine unlukrative Angelegenheit da man ja durch das Selbstbedienungssystem keine Trinkgelder hatte. Das glich aber der Wirt zum Feierabend aus, indem er auf den regulären Lohn meist noch einen Zwanziger drauf legte. Warum das so einfach ging soll dann an anderer Stelle Erklärung finden. Zum anderen konnte man auch als Kuchenverkäufer recht gut tricksen um etwas „Nebenbeigeld“ in die Taschen zu bekommen. Aber auch darüber soll an anderer Stelle berichtet werden. Nun war in den Sommermonaten und dabei vor allem an den Wochenenden Hektik angesagt. Am Kuchenbüfett standen die Leute in Dreierreihen und Kalle kam mit dem Schneiden und Auflegen kaum noch nach. Vor ihm in der Kühltheke standen so ca. zwanzig verschiedene Torten, links standen die Behälter mit dem Kleingebäck und rechts die Behälter mit heißem Wasser und darin befindlichen Kuchenmessern. Kuchengabeln und Kaffeelöffel mußte der Gast dann an der Kasse nehmen. Hinter Kalle standen mehrere große Kühlschränke die ihrem Inhalt entsprechend, also den Torten, wohl temperiert und gut gefüllt waren. So ein Gebäck war schnell aufgeschnitten und verteilt. Es mußte mit etwas Eile die Unterlage der Verbrauchten entfernt, mit schneller Drehung der Kühlschrank geöffnet und die neue, unverbrauchte Sorte auf die Kühltheke geschoben werden. Und bei so einer Drehung passierte es dann. Kalle nahm wie beschrieben eine Neue aus dem Schrank und wollte sie gerade auf die Verkaufstheke legen als er durch irgend einen Zuruf irritiert, daß tolle Stück fallen ließ. Zum Glück war es eine von den recht billigen Sorten, so ca. achtzig Pfennig das Stück, und trotzdem traf ihn ein vernichtender Blick der Wirtin, die, welch ein Zufall, gerade in der Nähe war. Sie kratzte das verunglückte Etwas zusammen und verschwand damit in der Küche. Etwa zwanzig Minuten später, es war keiner der Gäste die das Mißgeschick beobachtet hatten mehr im Verkaufsraum, als die Wirtin mit einer Torte aus der Küche kam. Diese Sorte hatte Kalle noch nie gesehen und er wunderte sich etwas über die farblichen Eigenarten der Deckcreme. Was ihn aber begeisterte war die Tatsache das auf jedem der vorgezeichneten zwölf Stücken ein Gummibärchen lag, so ein Gummibärchen wie man es aus der Westwerbung kannte. Frau Wirtin stellte mit einem vielsagendem Blick das Gebäck hin, murmelte „Zweizwanzig das Stück“ und verschwand.
Drei Dinge müssen bei dieser kleinen Episode noch genannt werden:
1. Es dauerte keine fünf Minuten da war diese „Gummibärchentorte“ ausverkauft,
2. Eine Woche später wurde eine neue Torte in das Sortiment der HO aufgenommen, nämlich „Gummibärchentorte“,
3. Alle in unserem Städtchen Westgeld besitzenden wunderten sich das es in dem gerade erst eröffneten Intershop keinerlei Produkte mehr von Harribo gab..........
Bürgerreporter:in:Karl Heinz Winkler aus Naumburg (Saale) |
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