Konsumgaststätte "Zur Post" II
Eine weitere Unglaublichkeit war die mehrseitige Speisekarte, die in feines Leder gebunden und auf Mittelalter gemacht, auf jedem Tisch lag. Es war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mode, dass dieses Informationsblatt erst nach Eintreffen des Gastes an den Tisch gebracht wurde. Nun meinten ja viele, im kapitalistischen Ausland lebende Menschen, dass wir damals kurz vor dem Hungertod standen, aber das ist natürlich Legende. Sicher, es gab eine ganze Reihe von Versorgungsproblemen, sodass beispielsweise Rouladen, nur sonntags und höchstens einmal im Monat auf den Mittagstisch des Normalbürgers kamen. Wer natürlich schon damals Beziehungen hatte, konnte dann doch etwas mehr in die Vollen greifen.
In der Gaststätte zur Post hatte nun die Frau Pfeiffer, ihres Amtes Küchenchefin, in Bezug auf das Speisenangebot das letzte Wort. Sie war eine resolute, aber sehr freundliche, ältere Dame, die, wenn es um die Bestellung der Lebensmittel für den Wochenverbrauch ging, doch schon mal unschöne Worte zu gebrauchen wusste. Andererseits konnte sie aber auch durch kleine Geschenke die Fahrer oder Lieferanten auf ihre Seite bringen. Mal eine Schachtel F6, weiß der Geier wo sie die her hatte denn das war bekanntlich „Bück dich - Ware“, mal ein Käffchen oder eine Soljanka brachten die Leute immer wieder dazu ihre Wünsche zu erfüllen. Das war nun auch des Rätsels Lösung, weshalb die Speisenkarten so ungewöhnlich waren, denn wenn man Selbige aufschlug, lachten einem, mitunter mehrere Seiten, gut gefüllt mit Speisenangeboten entgegen. Sage und schreibe waren manche Tage bis zu 40 Essen mit verschiedenen Fleischzubereitungen und auch Fisch im Angebot. Frühstück, Mittagstisch und Abendangebote waren gut aufgelistet und der Gast hatte die Qual der Wahl. Tagsüber, zwischen den Hauptmalzeiten konnte ohne weiteres eine Bockwurst mit Brot oder eine Soljanka bestellt werden. Aber trotz dieser ungewöhnlichen Vielfalt gab es doch immer mal wieder unverbesserliche Gäste, die nach westdeutscher Unart Obst, Joghurt oder Juice zum Frühstück verlangte, (man frage sich wo er das her hatte …?). Diese wurde bitter enttäuscht, konnte aber zum Trost auf ein Gläschen Apfelmost aus der Hennenmosterei zurückgreifen. Allerdings gab es auch schon zu jenen Zeiten überdenkenswerte und wundersame Ausnahmen, denn immer dann, wenn Gäste, die auch nur im entferntesten nach Bundesrepublik aussahen, rochen oder etwas anders sprachen als „Mitteldeutsches sächsisch“, war plötzlich noch ein kleiner Vorrat an edlem Juice vorhanden, von dem keiner mehr was wusste.
Das wahre Wunder waren aber die angebotenen Gemüse, der geneigte Leser möge nun nicht denken das ich lüge, denn man lass neben den herkömmlichen Rot- und Sauerkraut, oder Rosen- beziehungsweise Blumenkohl auch Champignons und Spargel, und das gab es tatsächlich. Zu jedem Essen wurde ein vielfältiger und schmackhafter Salatteller angeboten, dessen Vielfalt aus den Angeboten der Kleingärtner resultierte die gern in der Gaststätten ihre privaten Erzeugnisse verkauften, ohne das sie von Staatsorganen behelligt wurden. Unter der Präsentation aller Gerichte fand der Hungernde noch den Zusatz, dass alle aufgeführten Gerichte auch in angenehmen Kinder- oder Seniorenportionen bestellbar seien und für diese Altersgruppen noch Milchreis, oder Eierkuchen zur Verfügung stünden.
Diese, für damalige Verhältnisse, wir reden hier immerhin von den 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, recht reichhaltigen und preiswerten Angebote war besonders für die Stammesser wichtig, da diese vorwiegend aus Rentnern bestanden und oft der knapp bemessene Geldbeutel und nicht der Appetit bestimmte was auf den Tisch kam. Bemerkenswert ist, dass sich 50 Jahre später, also heutzutage, an diesem Umstand nichts geändert hat.
Bürgerreporter:in:Karl Heinz Winkler aus Naumburg (Saale) |
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