Erich, der Arbeiter- und Bauerndrache

Babs Müller hat diesen Drachen in Wasungen /Thr. mit der Linse eingefangen und mir zugesandt, weil auch sie bei dieser fremdartigen Spezies, wie wir alle auch, auf dem Schlauch steht.

Daher lassen sich nur vage und keinerlei gesicherten Vermutungen anstellen, was Art und Herkunft des Wesens betrifft, das rein äußerlich Ähnlichkeit mit dem erst kürzlich von Bodo von Rühden im Westen unseren Landes entdeckten Moosdrachen besitzt.

So nimmt man an, dass der Drache, nennen wir ihn Erich, in den Wirren des letzten Krieges mit der Roten Armee – vielleicht als Kompaniemaskottchen – aus den Weiten der sibirischen Steppen bis nach Thüringen gelangt war. Nur durch die Einrichtung von Todesstreifen entlang der Demarkationslinie sowie durch den Bau der Berliner Mauer konnte die damalige DDR-Regierung unter Walter Ulbricht verhindern, dass unser Drache bei Nacht und Nebel in den kapitalistischen Westen rüber machte. So fügte er sich in sein Schicksal, passte sich an und genoss das Leben im real existierenden Sozialismus. Vermutlich wurde er von den Genossen sogar als Arbeiter- und Bauerndrachen gehalten in dem ewigen Traum, irgendwann einmal mit seinem Atem in Ostberlin das Olympische Feuer entfachen zu können.

Als nach vierzig Jahren Hoffen und Harren bekanntlich der ganze Spuk wie eine Seifenblase platzte und sich die Genossen quasi über Nacht in Mitbürger wandelten, hatten diese fortan andere Probleme als sich um ihren geliebten Erich, den Arbeiter- und Bauerndrachen zu kümmern. Von seinem Begrüßungsgeld kaufte sich Erich Studentenfutter. Ein goldenes Zeitalter brach auch für ihn an – aber es war nur von kurzer Dauer und wich großer Ernüchterung. Es wurde einsam um ihn und dank einer rührigen Familie, deren Name nicht genannt werden will, verbringt er seinen Lebensabend im stillen Örtchen Wasungen. Die alte Deutsche Demokratische Republik lebt jedoch in Erich weiter fort. Und so begrüßt er noch heute die Besucher am Zaun freudig mit einem sozialistischen Bruderküsschen.

Daher lassen wir ihn wo er ist und gönnen ihm seine Ruhe.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Töpfer aus Marburg

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