Hessische Verfassung: Volksabstimmung am 28. Oktober
Parallel zur Landtagswahl am 28. Oktober werden die Hess_innen über 15 Änderungen der Hessischen Verfassung entscheiden (Alle Einzelheiten dazu hier). Diese Änderungen werden voraussichtlich keine größeren Auswirkungen auf das alltägliche Leben haben. Es wird sich praktisch nicht viel ändern. Trotzdem sind einige Vorschläge für Änderungen gut und andere weniger gut geraten.
Damit die Wähler_innen wissen, worüber Sie abstimmen werden, wurde Ihnen zusammen mit den Wahlunterlagen ein Informationsheft des Landeswahlleiters zugesandt. Da in diesem Heft jedoch lediglich die Gesetzestexte und die Abstimmungsergebnisse im Landtag vermerkt sind, hier einige Anmerkungen zu den vorgeschlagenen Änderungen aus der Sicht der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag.
DIE LINKE kritisiert drei Punkte
• AUFNAHME EINES STAATSZIELBEGRIFFES
Die Überschrift des zur Abstimmung stehenden Vorschlags für den Artikel 26a der Hessischen Verfassung "Aufnahme eines Staatszielbegriffes" ist ein wenig missverständlich. Normalerweise gilt ein Verfassungsartikel und somit auch ein Artikel zu einem „Staatsziel“ uneingeschränkt und ohne Vorbehalt. Das soll in Hessen künftig geändert werden. Mit der neuen Definition eines Staatszieles wird ein Vorbehalt der "Leistungsfähigkeit" eingeführt. Die Staatsziele sind nur dann verbindlich, wenn die Kassen voll sind und das Geld nicht an anderer Stelle gebraucht wird (Gesetzestext hier). Zudem sind Staatsziele - anders als Grundrechte - nicht einklagbar.
DIE LINKE ist daher der Ansicht, Staatsziele - wenn sie denn in der Verfassung verankert werden - sollten uneingeschränkt gelten. Oder man sollte sie erst gar nicht in eine Verfassung schreiben.
Die lange Liste von Staatszielen, die in der Verfassung neu verankert werden sollen, ist wunderschön. Wenn das Ganze jedoch unter Finanzierungsvorbehalt steht und auch vor Gericht nicht einklagbar ist, haben wir einen bunten Strauß von hübschen Absichtserklärungen - ohne jede Substanz.
Dass sich die gesellschaftliche Realität in keiner Weise verändert wird, zeigt auch die Einschätzung der Fraktionen, die die Gesetze eingebracht haben: Sie erwarten keinerlei finanzielle Auswirkungen. Deshalb lehnte DIE LINKE die Staatszieldefinition im Gesetzgebungsverfahren ab und enthielt sich bei den einzelnen Staatszielen (Die Gesetzestexte der Staatsziele hinter den Links Nachhaltigkeit, Förderung der Infrastruktur, Kulturförderung,Förderung Ehrenamt, Förderung Sport)
• ELEKTRONISCHE VERKÜNDUNG VON GESETZEN
Vom Landtag beschlossene Gesetze müssen nach Art. 120 Hessische Verfassung binnen zwei Wochen vom Ministerpräsidenten und den zuständigen Ministern ausgefertigt und im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet werden. Nach der jetzt vorgesehenen Verfassungsänderung soll für die Zukunft die Möglichkeit geschaffen werden, Gesetze nur noch online zu verkünden und gar nicht mehr auf Papier.
DIE LINKE sagt: Neben der elektronischen Verkündung muss auch die Verkündung in Papierform weiter Bestand haben. Ein Änderungsantrag der Fraktion, die elektronische Verkündung zusätzlich zur Papierform zu ermöglichen wurde abgelehnt.
Sinn und Zweck der Verkündung eines Gesetzes ist, dass sich Jede und Jeder möglichst barrierefrei und niedrigschwellig Zugang zum geltenden Recht verschaffen kann. Denn elementarer Teil eines Rechtsstaates ist es, jederzeit leicht herausfinden zu können, welche Gesetze Geltung haben – auch ohne Internetzugang. Ungefähr 10 Prozent der Hessinnen und Hessen haben überhaupt keinen Zugang zum Internet. Dies sind überwiegend Menschen, die entweder alt sind oder die sich einen Zugang zum Internet schlichtweg nicht leisten können.
Diese Menschen werden durch eine rein elektronische Verkündung systematisch ausgeschlossen. Ist das sinnvoll?
• STÄRKUNG DER VOLKSGESETZGEBUNG
Bei diesem Vorhaben (Text hier nachlesen) stimmt schon der Titel nicht und führt in die Irre. Nach Art 116 Abs. 1 Hessische Verfassung wird die Gesetzgebung durch das Volk im Wege des Volksentscheids und durch den Landtag ausgeübt. Vor dem Volksentscheid muss eine Gesetzesinitiative des Volkes, das sogenannte Volksbegehren, zustande kommen.
Bisher kam auf Hessenebene kein einziges Volksbegehren zu Stande, weil 20 Prozent aller stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger unterschreiben müssen, damit das Begehren in den Landtag eingereicht werden kann. Unter "Stärkung der Volksgesetzgebung" ist die Herabsetzung dieser Antragsteller-Quote von 20 Prozent aller Stimmberechtigten auf fünf Prozent vorgesehen. Das ist gut so. Aber: Über dieses Begehren, falls es der Landtag nicht unverändert übernimmt, muss in einem letzten Schritt, bei einer Volksabstimmung, abgestimmt werden.
Hier ist ein Zustimmungs-Quorum von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten vorgesehen. Also ein Viertel aller wahlberechtigten Hessinnen und Hessen müssen zustimmen. Bei den zu erwartenden Abstimmungsbeteiligungen ist das so gut wie nicht zu erreichen. Denn bereits bei vielen Bürgermeisterwahlen wird dieses Quorum nicht erreicht.
Eine Streichung des (Eingangs-)Quorums von 20 Prozent und das Einführen eines (Ausgangs-)Quorums von 25 Prozent stärkt keine Volksgesetzgebung, sondern verschiebt nur die Hürden.
DIE LINKE hatte sich in der Enquetekommission wie im Gesetzgebungsverfahren für eine Absenkung dieses Quorums auf 15 Prozent eingesetzt. Denn nur so hätten Volksabstimmungen eine Aussicht auf Erfolg.
DIE HESSISCHE VERFASSUNG:
MODERN UND FORTSCHRITTLICH
Die Abstimmung über Verfassungsänderungen sollten Sie zum Anlass nehmen, sich unsere Verfassung noch einmal genauer anzuschauen. Sie ist erstaunlich modern und fortschrittlich. Sie schreibt vor, dass die „Anerkennung der Würde und der Persönlichkeit des Menschen Grundlage der Sozial-und Wirtschaftsordnung“ zu sein hat.
Sie gewährt Rechte auf Arbeit und Erholung, auf soziale Gleichheit und Sicherheit. Sie enthält eine Reihe von Bestimmungen, die von der damaligen Erkenntnis geprägt sind, dass es nie wieder Faschismus und Krieg geben dürfe. Dafür stehen die Ächtung des Krieges und das Verbot jeder Kriegsvorbereitung. Die Hessische Verfassung beinhaltet also ein Friedensgebot.
Ebenso das Recht auf Schutz der Gesundheit, auf Bildung und Erziehung, vor allem die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit, sowie das Recht auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Fortschritt. CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP hatten zu Beginn der Diskussionen im November 2015 noch formuliert, dass sie auch diese Teile „in ihrer Gesamtheit überarbeiten und Vorschläge für ihre zukunftsfähige Gestaltung unterbreiten“ wollten.
DIE LINKE befürchtete, dass die kapitalismuskritischen und prosozialistischen Teile der Verfassung in dem Prozess als veraltet oder irrelevant heraus gestrichen werden sollten. Das ist verhindert worden – trotz umfangreicher Vorschläge in diese Richtung – aufgrund der klaren Haltung der LINKEN und der Gewerkschaften.
GUTE INITIATIVEN
DIE LINKE sah ihren Auftrag bei der Erarbeitung der Verfassungsänderungen im Landtag nicht nur darin, die Hessische Verfassung zu verteidigen und zu verhindern, dass sie neoliberal verwässert wird. Sie übernahm auch die Aufgabe die Ideen zu stützen, die die Rechte der Bürgerinnen und Bürger stärken. So arbeitete sie konstruktiv an der Erarbeitung dieser Gesetzentwürfe mit und stimmte im Landtag zu. Hierzu gehören unter anderem die Stärkung der Kinderrechte, die Stärkung und Förderung der Gleichberechtigung von Frau und Mann, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und selbstverständlich die Streichung der Todesstrafe aus dem Text der Verfassung.
Leider wurden nicht alle Ideen, die DIE LINKE unterstützte, weiter verfolgt. Das Recht auf kostenlose Bildung, die Erweiterung des Katalogs der Benachteiligungsverbote, die Umformulierung des Rechts auf Asyl in Anlehnung an die Genfer Flüchtlingskonvention, all dies wurde von der Mehrheit aussortiert.
RECHT AUF WOHNEN
Als Ergänzung der sozialen Rechte in der Hessischen Verfassung brachte DIE LINKE einen Gesetzentwurf in den Landtag ein, der drängende Probleme in Hessen beseitigt hätte, wohl wissend, dass ein eigener Gesetzentwurf nicht verabschiedet wird: Die Einführung eines einklagbaren Grundrechts auf angemessenen Wohnraum, das Recht auf Versorgung mit Wasser und Energie und das Verbot von Räumung, wenn nicht angemessener Ersatzwohnraum vorhanden ist.
Die Verabschiedung dieses Entwurfs wäre eine adäquate Antwort auf die prekäre Lage am Wohnungsmarkt gewesen und hätte tatsächliche neue gute Auswirkungen auf die Lebensrealität der Menschen in Hessen gehabt. Wie erwartet erhielt der Antrag keine Zustimmung. DIE LINKE kämpft trotzdem – wie es die Hessische Verfassung aufträgt – umso motivierter für ein soziales, ökologisches, friedliches und buntes Hessen.
Am 28. Oktober ist auch Landtagswahl.
Nutzen Sie Ihr Wahlrecht!
Alle Vorschläge für die Verfassungsänderungen noch einmal hier nachlesen.
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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