Gregor Gysi: »Macht was draus!«

Bielefeld, 7. Juni 2015

In einer emotionalen und in weiten Strecken sehr persönlichen Rede hat Gregor Gysi angekündigt, dass er im Herbst nicht wieder als Vorsitzender der Bundestagsfraktion DIE LINKE kandidieren wird. Der Bielefelder Parteitag verabschiedete ihn mit minutenlangem stehendem Beifall.

Gregor Gysi sagte, er werde bei der Neuwahl des Fraktionsvorstandes im Herbst 2015 "nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen". Er wird sein Bundestagsmandat bis zum Ende der Wahlperiode wahrnehmen und 2016 über eine erneute Kandidatur für den Bundestag entscheiden. In seiner mit Spannung erwarteten Rede appellierte Gysi an DIE LINKE: "Wir alle haben nicht das Recht, uns vor Schwierigkeiten zu drücken." Und weiter: "Unser Ziel muss es sein, verstanden zu werden."

Rede von Gregor Gysi auf dem Bundesparteitag DIE LINKE (in voller Länge hier nachlesen)

»Macht was draus!«

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
verehrte Gäste,

heute spreche ich letztmalig als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion auf einem unserer Parteitage.

Die Legislaturperiode des Fraktionsvorstandes endet im Herbst 2015, ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen.....

.....In letzter Zeit haben viele angefangen, meine Entscheidung vom Mai 2013 ernst zu nehmen, zumindest noch ernster zu nehmen. Sie haben mit mir gesprochen, um mich zu einer anderen Entscheidung zu bewegen. Noch nie war die Zustimmung zu mir in der Fraktion so groß wie jetzt.

Übrigens hat ein Abgeordneter - das hat mir auch gefallen - zu mir gesagt, dass ich für ihn das kleinere Übel sei und deshalb unbedingt bleiben solle. Ich bin ihm dankbar, denn jetzt weiß ich endlich, was das kleinere Übel ist, nämlich ich.

Und ich weiß auch, dass die Partei und ich in der Gesellschaft einen nicht ganz unbeachtlichen Akzeptanzschub genommen haben. All das freut mich wirklich sehr. Und ich möchte mich bei allen, die mit mir darüber diesbezüglich gesprochen haben, herzlich bedanken, aber ich glaube, dass man gerade in einer solchen Phase und mit 67 Jahren eine solche Verantwortung abgeben sollte und nicht erst, wenn ihr seit geraumer Zeit denkt, wann ich endlich aufhöre.

In den ersten Jahren meiner politischen Tätigkeit begegneten mir fast nur Extreme. Entweder wurde ich geliebt, fast angebetet, oder gehasst. Beides ist sehr anstrengend. Hass deshalb, weil man mit sich selbst nicht klarkommt, ich verstand die Ablehnung nicht. Ich wusste nicht, was ich den Leuten getan hatte. Aber die tiefe Zuneigung war noch schlimmer, weil ich wusste, dass ich die Wünsche der Menschen nicht erfüllen konnte, und es tat mir so weh, sie enttäuschen zu müssen.

Ihr werdet euch wundern, aber damals war es für mich im Westen leichter, obwohl wir dort ziemlich chancenlos waren, vielleicht auch, weil wir dort chancenlos waren.

Trotzdem vergisst man nicht, wer anfangs, damals noch von einem anderen Land, mit einem sprach und wer nicht. Im Januar 1990 besuchten mich Antje Volmer von den Grünen, der inzwischen leider verstorbene Harry Ristock und Egon Bahr, beide Sozialdemokraten. Wir sprachen intensiv miteinander und ich möchte mich heute bei Antje Volmer und Egon Bahr dafür bedanken.
Harry Ristock lud mich übrigens 1990 zu seiner Laubenpieper-Party ein, die er jährlich im Frühjahr durchführte. Er teilte mir dann mit, dass die Hälfte seiner Gäste wegen der Einladung an mich abgesagt hätte. Ich sagte ihm, dass mir das Leid tue und ich ja nicht zu kommen brauche. Er sagte, ich müsse auf jeden Fall kommen, weil die Hälfte, die abgesagt hatte, ihn nicht mehr interessiere. Das hat mir schon imponiert.

Ich habe dann Hass und Ablehnung auch im Bundestag gespürt, ich weiß, welche Journalisten gegen mich ermittelt haben und in jeder Weise gegen mich vorgegangen sind und vorgehen. Ich weiß, wie viele Prozesse ich führen, wie sehr ich um meinen Ruf kämpfen musste. Ich werde die Anhörung im Immunitätsausschuss des Bundestages nie vergessen.

Übrigens hat die FDP trotz gravierender politischer Meinungsunterschiede bei mir für immer einen kleinen Stein im Brett, weil sie neben meiner Fraktion die einzige war, die bei meiner Verurteilung nicht mitmachte.

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Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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