DIE LINKE im Bundestag: Interview der Woche mit Petra Pau
Die Panorama-Chefin Anja Reschke sagte in einem Tagesthemen-Kommentar zur Internet-Hetze gegen Flüchtlinge: „Wenn man also nicht der Meinung ist, dass alle Flüchtlinge Schmarotzer sind, die verjagt, verbrannt oder vergast werden sollten, dann sollte man das ganz deutlich kund tun. Dagegen halten. Mund aufmachen. Haltung zeigen“.
Die Bandbreite der Ablehnung reicht von offener Hetze bis zu versteckten Aversionen. Von "Ausländer raus" bis "nichts gegen Flüchtlinge, aber...". Und von "Die Scheiß-Ausländer kriegen alles, wenn sie hierher kommen (Geld, Klamotten, Wohnung, Warmes Essen, das neueste Handy) bis "Asylantenpack. Einfach anzünden". Und beiläufig wird erwähnt, die gewonnene Energie könne in einem Heizkraftwerk verwendet werden.
An diesem Punkt sollte sich jeder zweimal überlegen, in welches Horn er stößt. Das gilt für Politiker_innen, Medienschaffende und die Nutzer_innen auf myheimat gleichermaßen. Das heißt nicht, die bestehenden Probleme kleinzureden. Sondern das heißt: Mit Augenmaß die bestehenden Probleme ansprechen, analysieren und lösen. Und den Balken im eigenen Auge genauso Ernst nehmen, wie den Splitter im Auge des Gegenüber.
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau (DIE LINKE), fordert daher anstelle des von der Bundesregierung für September geplanten Flüchtlingsgipfels einen Rassismusgipfel. Denn: Das eigentliche Problem seien nicht die Flüchtlinge.
»Die Gesellschaft droht zu kippen«
Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entladen sich immer enthemmter. Petra Pau registriert “mit Wut, dass Verantwortliche - ob Politiker oder Medien - derartige Stimmungen aufnehmen, bedienen und aufladen”.
Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, steigt rasant, die Zahl der Überfälle auf Asylsuchende beziehungsweise deren Unterkünfte ebenso.
Petra Pau: Wobei das Erste mit dem Zweiten nichts zu tun hat und es schon gar nicht legitimiert. Wir erleben, dass Rassismus eskaliert, und der wird nicht von Flüchtlingen befeuert.
Sondern?
Die Gesellschaft droht zu kippen. Mit Sorge beobachte ich, wie Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sich immer enthemmter entladen. Und mit Wut registriere ich, dass Verantwortliche - ob Politiker oder Medien - derartige Stimmungen aufnehmen, bedienen und aufladen.
Ein hartes Urteil.
Es werden Stimmungen geschürt: gegen Russen, gegen Griechen und wieder gegen Sinti und Roma. Jüdinnen und Juden werden im Alltag offen angefeindet. Über Muslime schwebt ein zunehmender Generalverdacht. Es läuft etwas total falsch. Und bei Flüchtlingen vom Balkan wird über Sonderlager nachgedacht, nachdem ihre Fluchtgründe politisch wegbeschlossen werden.
Das erinnert alles sehr an die fremdenfeindliche Stimmung Anfang der 1990er Jahre - Stichworte Mölln, Rostock-Lichtenhagen und so weiter.
Ja und Nein. Ja, denn rassistisch motivierte Attacken sind seit 2013 rasant angestiegen, allemal 2015. Nein, denn zugleich gibt es mehr engagierte Bündnisse als damals, die sich dagegen stellen und Flüchtlingen helfen.
Die Bundesregierung plant nun für September einen Flüchtlingsgipfel.
Ich will das nicht vorab kritisieren. Dass zu vieles unkoordiniert oder komplett falsch läuft, ist ja unübersehbar. Aber meine Kopfschmerzen beginnen schon beim Namen. Er suggeriert schon wieder, dass die Flüchtlinge das eigentliche Problem seien. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Der staatliche Umgang mit sehr vielen Flüchtlingen spricht Artikel 1 Grundgesetz Hohn: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Aller Menschen!
Ihr Gegenvorschlag?
Wir brauchen das, was die Türkische Gemeinde seit 2011 - seit dem Auffliegen des NSU-Nazi-Mord-Desasters - fordert: einen Rassismusgipfel.
Was sollte der bringen?
Erstens, dass Rassismus als gesellschaftliches Problem endlich eingestanden wird. Zweitens, dass alle gesellschaftlichen Potentiale dagegen gestärkt und vernetzt werden. Und drittens, dass einschlägige wissenschaftliche Befunde zum Thema endlich ernst genommen werden.
Zum Beispiel?
Seit nunmehr dreieinhalb Jahren liegt die Langzeitstudie von Professor Heitmeyer & Team über „Deutsche Zustände“ vor. Sie warnt: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nimmt zu. Zugleich wächst die Bereitschaft, Gewalt als Politikersatz zu tolerieren.”
Und beides bricht sich aktuell Bahn?
Es ist ein Erklärungsmuster für Pegida und all die anderen Idas in Ost und West. Zumal Heitmeyer & Team auch auf lang und tief wirkende Ursachen verweisen.
Kurzfassung: Das Soziale wird ökonomisiert, die Demokratie entleert.
Richtig! Und Heitmeyer & Team beschreiben nicht etwa den rechten Rand, sondern die Mitte der Gesellschaft. Spätestens da müsste ein ambitionierter Gipfel ansetzen, die technische oder organisatorische Ebene sprengen und politisch werden. Genau dafür ist es höchste Zeit.
Interview: Rainer Brandt
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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