Pekings 12-Punkte-Plan
Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise
„Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise“ – So müsste die korrekte Übersetzung des offiziellen Dokuments des chinesischen Außenministeriums „China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis“ lauten. Den Anspruch eines „Friedensplanes“, wie das Dokument in vielen Medien bezeichnet wird, hat die chinesische Positionierung nicht. Trotzdem lohnt es sich natürlich, sich inhaltlich und vor allem sachlich mit dem Dokument auseinanderzusetzen. Denn dieses Dokument ist ein ernst zu nehmender Ansatz, diesen Krieg zu beenden, und sollte vom Westen nicht voreilig abgewertet werden.
- Respekt für die Souveränität aller Staaten: Das allgemein anerkannte internationale Recht sowie die Charta der Vereinten Nationen gelte es "strikt" einzuhalten.
- Kalte-Krieg-Mentalität aufgeben: Sicherheit eines Landes solle nicht angestrebt werden auf Kosten anderer.
- Feindseligkeiten einstellen: Alle Parteien sollen "rational bleiben und Zurückhaltung üben" und nicht den Konflikt befeuern.
- Wiederaufnahme von Friedensgesprächen: Dialog und Verhandlungen seien die einzige gangbare Lösung für die Ukraine-Krise.
- Die humanitäre Krise lösen: Alle Maßnahmen, die zur Linderung der humanitären Krise beitrügen, "müssen ermutigt und unterstützt werden".
- Zivilisten und Kriegsgefangene schützen: Alle Parteien im Konflikt sollten sich an das internationale Recht halten und Angriffe auf Zivilisten vermeiden, ebenso wie auf zivile Infrastruktur.
- Atomkraftwerke sichern: China lehne bewaffnete Angriffe gegen AKW ab.
- Strategische Risiken reduzieren: Nuklearwaffen dürften nicht eingesetzt werden und Atomkriege dürften nicht gekämpft werden.
- Getreideexporte erleichtern: Alle Parteien sollten das Schwarzmeer-Abkommen umsetzen.
- Stopp der einseitigen Sanktionen: Einseitige Sanktionen und maximaler Druck könnten das Problem nicht lösen, diese erzeugten nur neue Probleme.
- Lieferketten stabilisieren: Alle Parteien sollten das existierende Welthandelssystem bewahren und die Weltwirtschaft nicht als Waffe für politische Zwecke einsetzen.
- Wiederaufbaupläne: Die internationale Gemeinschaft solle Maßnahmen ergreifen, um nach dem Konflikt in den betroffenen Zonen Wiederaufbau zu leisten.
Versuch einer Bewertung des chinesischen Papiers von Jürgen Hübchen auf den NachDenkSeiten:
Chinas Position zu der politischen Beilegung der Ukraine Krise – ein ernst zu nehmender Ansatz oder lediglich ein „politischer Versuchsballon“? – Versuch einer Bewertung
Zu allererst ist festzuhalten, dass jeder Vorschlag, wie man diesen Krieg beenden könnte, grundsätzlich positiv zu bewerten ist, vor allem dann, wenn man selbst überhaupt keine tragfähige Alternative oder ein politisches Konzept anzubieten hat. Wenn man dieses Dokument sorgfältig gelesen hat, ist es nicht nachvollziehbar, dieses als „substanzlos“ zu bezeichnen, wie es z. B. der s.g. Sicherheitsexperte Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel, in der Ausgabe der Westfälischen Nachrichten vom 25. Februar 2023 getan hat. Es ist auch nicht zielführend, dieses Dokument quasi sofort zu einem „non paper“ zu erklären, weil es von China verfasst wurde, das den russischen Krieg expressis verbis bislang nicht verurteilt hat und ihn in diesem Dokument lediglich als „Ukrainekrise“ bezeichnet.
Wer China vorwirft, in dieser 12-Punkte-Erklärung, die aus chinesischer Sicht nicht den Anspruch eines Friedensplanes erhebt, keine konkreten Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert zu haben, hat schlicht und einfach ein grundlegendes Prinzip von Diplomatie nicht verstanden. Vorbedingungen und Diplomatie schließen sich nämlich im Grunde ebenso aus wie Schuldzuweisungen oder persönliche Verurteilungen von politischen Entscheidungsträgern. Mit dem Hinweis auf das internationale Völkerrecht und der Forderung, die Souveränität und Integrität eines jeden Landes zu achten, hat Peking den russischen Krieg eindeutig verurteilt. Die Forderung an beide Kriegsparteien, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, nimmt doch auch den russischen Präsidenten in die Pflicht. Dass solche Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgenommen werden müssen, kann man nur unterstreichen und dass zuvor die Waffen schweigen müssen, kann doch auch von niemandem bestritten werden.
Die Ablehnung des Einsatzes von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen ist uneingeschränkt zu unterstützen und sollte nicht mit dem Hinweis abgewertet werden, dass dies ja nichts Neues sei. Der Forderung, keine Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen durchzuführen, muss man ebenfalls beipflichten. Dazu ist es nicht erforderlich, Russland in diesem Zusammenhang beim Namen zu nennen, weil das in Moskau auch so verstanden wird. Der Aufruf, das Getreideabkommen weiterhin umzusetzen und sich insgesamt für eine Lösung der globalen Nahrungsmittelkrise einzusetzen, ist eindeutig positiv zu bewerten.
Es gibt in dem gesamten Dokument lediglich einen Passus, in dem eine separate Forderung an die Unterstützer der Ukraine gestellt wird, nämlich die Aufhebung der Sanktionen. Das muss man als Parteinahme für Russland einordnen, obwohl China damit nicht nur die Sanktionen gegen Russland gemeint hat, sondern sich generell gegen solche Maßnahmen ausgesprochen hat, falls diese nicht von den Vereinten Nationen beschlossen wurden. Diese Tatsache reicht aus meiner Sicht aber bei weitem nicht aus, dieses Dokument als „pro-russisch“ zu bezeichnen, auch wenn noch eine Reihe von Formulierungen sich eindeutig an die Adresse der USA richten. Dafür muss Moskau aus diesem Dokument klipp und klar zur Kenntnis nehmen, dass die Aussage von Chinas Präsident Xi Jinping, seinem russischen Kollegen „grenzenlose Freundschaft“ zu schwören, nicht automatisch bedeutet, das Vorgehen Russlands in der Ukraine gutzuheißen.
Die Positionierung Pekings ist ein möglicher Ansatz, die gegenwärtige Spirale der Gewalt zu stoppen. Dafür ist es allerdings nicht ausreichend, Präsident Putin davon zu überzeugen, dass Verhandlungen die einzige Lösung zur Beendigung dieses Krieges sind, sondern das muss auch Präsident Biden einsehen und vor allem seinen Einfluss auf Präsident Selensky geltend machen, dass auch dieser Verhandlungen nicht mehr kategorisch ablehnt und von Vorbedingungen abhängig macht, die für Russland unannehmbar sind. Dieses Dokument ist ein ernst zu nehmender Ansatz, diesen Krieg zu beenden, und sollte nicht voreilig als politischer Versuchsballon abgewertet werden.
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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