Bundesregierung schaut Finanzbetrug tatenlos zu
Die Wirtschaftskriminalität (White-Collar-Crime) ist eine Wachstumsbranche. Finanzbetrug scheint sich vor allem in großem Stil zu lohnen. Zumal die öffentlichen Maßstäbe sehr unterschiedlich sind. Eine Verkäuferin oder Putzfrau kann wegen eines unterschlagenen Pfandbons oder einer nicht mehr verkäuflichen Semmel schon mal ihre Existenzgrundlage verlieren. Angehörige von Bankhäusern und Rechtsanwaltskanzleien, die in die Entwicklung von betrügerischen Finanzprodukten verstrickt sind, können dagegen neuerdings sogar CDU-Vorsitzende werden.
Zum Beispiel: Cum-Cum und Cum-Ex
Es war die perfekte Anleitung zur Selbstbedienung aus der Steuerkasse. Ein Netzwerk aus Banken, Anwälten und Superreichen bestahl mit Hilfe des sogenannten Dividenenstrippings jahrelang die Staatskassenin Deutschland und Europa. Im Finanzjargon heißen die Geschäfte Cum-Ex oder Cum-Cum-Deals. Der Schaden beträgt nach aktuellen Recherchen mehrerer Medien mehr als 55 Milliarden Euro.
Bei den Cum-Ex-Geschäften wurden Wertpapiere rund um den Dividendenstichtag, an dem die Ausschüttung festgelegt wird, teilweise mehrfach hin und her geschoben. Banken stellten für jeden Besitzerwechsel Bescheinigungen über Kapitalertragsteuern aus, obwohl diese nie gezahlt wurden. Beim Fiskus wurde eine Erstattung dennoch eingefordert. Im Fall von Cum-Cum-Deals schiebt ein Investor aus dem Ausland, der in Deutschland kein Recht auf die Erstattung der Kapitalertragssteuer hat, seine Wertpapiere am Stichtag gegen eine Gebühr zu einer inländischen Bank. Diese lässt sich die Kapitalertragssteuer auf die Dividenden erstatten. Hinterher werden die Aktien wieder zurückgekauft.
Bundesregierung schaute tatenlos zu
Zum Skandal gehört, dass der Steuerbetrug der Politik jahrelang bekannt war und sie dennoch nicht einschritt. In einem Schreiben aus dem Jahr 2002 wies der Bankenverband das Bundesfinanzministerium auf die Gefahren der Cum-Ex-Praxis hin – vor allem, weil ein Haftungsrisiko für Banken ausgeschlossen werden sollte. Erst 2007 reagierte die Politik und machte dabei alles falsch. Der Formulierungsvorschlag für ein neues Gesetz wurde direkt vom Bankenverband übernommen. Das Schlupfloch wurde nicht geschlossen, es sah nur anders aus. Der Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislatur, der auch auf Betreiben der Fraktion DIE LINKE eingesetzt wurde, belegt die kalte Abzocke.
Erst 2012 dämmte die Politik die Cum-Ex-Geschäfte ein und erschwerte 2016 Cum-Cum-Geschäfte. Doch damit scheint die Masche der Steuerbetrüger noch nicht aus der Welt zu sein. Glaubt man der Rechercheuren des Mediennetzwerks um die Cum-Ex-Files, werden immer noch krumme Deals mit Aktien am Dividenstichtag betrieben. Deshalb forderte Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, in einem Beitrag in der Frankfurter Rundschau endlich entschiedenes Handeln: "Das Bundeszentralamt für Steuern muss personell aufgestockt und auf die Aufklärung großer Steuer- und Wirtschaftsverbrechen hin ausgerichtet werden. Banken, die Beihilfe zu solchen Verbrechen leisten, sollte die Lizenz entzogen werden."
Größter Finanzdiebstahl aller Zeiten
Der bisher entstandene Schaden ist allein für Deutschland enorm. Nach den Berechnungen des Steuerprofessors Christoph Spengel von der Universität Mannheim beläuft er sich in den Jahren zwischen 2001 und 2016 auf 31,8 Milliarden Euro. Spengel spricht vom „größten Steuerraub in der Geschichte Europas“. Demnach sind in Frankreich mindestens 17 Milliarden, in Italien 4,5 Milliarden, in Dänemark 1,7 Milliarden und in Belgien 201 Millionen zu unrecht erstattet worden.
Cum-Fake: Immer dreistere Wirtschaftsverbrechen
Jahrelang haben kriminelle Bankster und Rechtsanwälte die öffentlichen Kassen ausgeplündert - und die Bundesregierung stand Schmiere. Doch damit nicht genug: Selbst nachdem die Cum-Ex und die Cum-Cum Skandale in die Öffentlichkeit gelangten, weigerte sich die Große Koalition Verantwortung wahr zu nehmen und politische Konsequenzen zu ziehen. DIE LINKE im Bundestag verlangte Aufklärung und Transparenz. Vertreter der Regierungsparteien reagierten mit genervter und desinteressierter Ignoranz.
Inzwischen stellt sich heraus: Cum-Ex und Cum-Cum waren noch längst nicht alles, dreister waren die Finanzbetrügereien mit Cum-Fake.
Cum-Fake – Blamage für Olaf Scholz
Fabio De Masi, stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag erklärt zu Cum-Fake: "Die Bundesregierung hat uns kürzlich noch Phantomschmerzen unterstellt, weil wir die Cum-Ex-Files im Bundestag skandalisiert haben. Die Enthüllungen rund um Cum-Fake-Deals mit American Depositary Receipts sind daher eine Blamage für den Finanzminister. Wieso müssen Journalisten die Arbeit des Ministers und der Steuerverwaltung machen?
Die Abzocke mit Kapitalertragsteuern geht weiter und ist offenbar noch dreister als Cum-Ex, da es um Wertpapiere geht, die es gar nicht gibt. Cum-Fake zeigt das Staatsversagen und die organisierte Kriminalität von deutschen Banken bei der Erstattung von Kapitalertragssteuern.
Gemeinsam mit den Grünen haben wir Olaf Scholz wegen der Cum-Ex-Files in den Finanzausschuss einbestellt. Das lohnt sich jetzt doppelt: Der Bundesfinanzminister muss beantworten, wann sein Ministerium von den Cum-Fake-Deals im Zuge einer Betriebsprüfung einer deutschen Bank erfahren hat. Weiter ist zu klären, warum das Finanzministerium noch vor wenigen Tagen unsere Forderung nach einer systematischen Analyse der Erstattungen von Kapitalertragsteuern rund um den Dividendenstichtag durch die BaFin und das Bundeszentralamt für Steuern als überflüssig abgetan hat.
Wir brauchen jetzt die Kavallerie: Gesetzeslücken sind zu identifizieren und zu schließen, und wir brauchen eine Task-Force gegen Cum-Deals. Ein Unternehmensstrafrecht ist überfällig, um die kriminelle Kultur aus den Vorstandsetagen zu verbannen und geraubte Steuergelder lückenlos einzutreiben.“
Fabio de Masi erklärt in dem folgenden Video, was sich hinter Cum-Fake verbirgt und wie es dazu kommen konnte.
Bürgerreporter:in:Hajo Zeller aus Marburg |
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