Mein Märchen des Monats August: Rumpelstilzchen

Für eine moderen Frau von heute wäre diese Geschichte ein Alptraum:
Erst lügt der Vater den König an und überlässt die Tochter ihrem Schicksal, dann wird sie vom König und vom grauen Männlein erpresst und soll auch noch ihr Kind hergeben. Soviel Druck und Hilflosigkeit - wer hält das aus?!
Eine moderne Frau würde da vielleicht antworten:" Wenn ich so viel Gold spinnen könnte, würde ich Unternehmerin werden oder auf eine warme Insel reisen und mir eine Villa kaufen und - König hin, König her - mir meinen Mann lieber selber suchen." Und zum grauen Männlein würde sie wahrscheinlich sagen:" Mein Kind gehört mir. Basta!"
Genau deshalb sind die Märchen da - wir kommen mit dem Realitätsdenken, dem nüchternen Verstand und unserem Alltagshandeln nicht weiter bei ihnen. Wie verwirrend! Unsere eigene Welt ist doch so überschaubar, meinen wir.
Es ist sehr einfach zu erklären: Der verführerische Traum vom schnellen Geld, vom sozialen Aufstieg und vom grossen Gewinn ohne Arbeit, wer kennt ihn nicht? Die Börse, Aktionäre oder Unternehmer, die sich völlig verspekulieren, sind gut bekannte Beispiele dafür. Und vielleicht auch die Lotto-Spieler?
"Es wird schon gutgehen, ein bisschen zocken gehört dazu!" Ob so die Müllerstochter auch dachte?
Ein Versprechen hat sie abgeben, ohne die Folgen zu bedenken, das kennt wohl auch jeder. Und plötzlich ist der "Zahltag" da!
Die dann folgenden Gefühle wie Angst, Reue, Hilf- und Ratlosigkeit werden gerne weit weg geschoben. Und dann kommt in der grössten Not ein Wink, es ist die Rettung, und zwar gerade noch rechtzeitig.
Es ist fast ein Wunder, dass diese Geschichte doch noch gut ausgeht. Aber so sind sie nun einmal, die Märchen. Sie erzählen uns von inneren Begebenheiten, Erfahrungen, Nöten und Wandlungen. Deshalb ist auch diese Geschichte alt und wohlbekannt und wird auch so schnell nicht aus der Mode kommen, glaube ich.
Übrigens: In einer Urfassung fliegt das Männlein zum Schluss auf einem Kochlöffel aus dem Fenster. Was für ein witziges Bild!

Bürgerreporter:in:

Karin Kirchhain aus Marburg

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