GELIEBTES SPANIEN, TEIL 1: COCA
Spanien, das von den Vulkanen der Kanarischen Inseln über die endlosen Mittelmeerstrände, den hohen Sierras im Westen, dem riesigen Hochland Kastiliens, den grünen Auen der Nordküste bis zu den gewaltigen Pyrenäen reicht, hat eine bewegte Geschichte und eine faszinierende Multi-Kultur. Phönizier, Vasconen, Iberer, Römer, Westgoten, Mauren und Juden hinterließen ihre noch heute sichtbaren Spuren.Von all diesem Reichtum möchte ich hier in allwöchentlicher Abfolge berichten, um dem geneigten Leser meine Wahlheimat näher zu bringen. Ich lade sie zu einer Reise durch die Landschaften, Städte und Geschichte Spaniens ein.
In einer kleinen, unregelmäßigen Serie möchte ich hier eine Reihe von spanischen Orten und Attraktionen vorstellen, die selbst die weiteste Anreise aus dem Ausland lohnen. Ich beginne heute mit der mittelalterlichen Stadt Coca, gelegen in der Nähe der Stadt Valladolid, Provinz Segovia, Region Castillas y León.
Bereits vor Christus hatten sich die Römer in „Cauca“ niedergelassen. Der spätere römische Kaiser Flavio Teodosio wurde hier im Jahre 345 geboren. Später kamen die Westgoten, die bereits um 700 Anno Domini von den Muselmanen abgelöst wurden. Nach deren Abzug begann die mächtige Familie Fonseca mit dem Bau eines Kastells im Stil der Mudéjar-Gothik, das später an die mächtige Alba-Sippe überging. In dieser steinarmen Gegend wurde der gesamte riesige Bau aus gebrannten Ziegelsteinen errichtet und verputzt. Vom Putz sind heute nur noch wenige Fragmente zu sehen. Seit 1954 ist die Festung Eigentum des Ministeriums für Landwirtschaft. Ein Teil des Kastells beherbergt heute eine Fachschule für Förster, während der Hauptteil zur Besichtigung frei ist.
Besonders reizvoll ist, dass dem Besucher im größten Teil der Burg, der nicht als Schule genutzt wird, alle Räume und Galerien offen stehen. Selbst schwierig begehbare Abschnitte wurden noch nicht vom modernen Sicherheitswahn des Ministeriums für Tourismus erfasst. Geradezu abenteuerlich kann man sich in allen Winkeln, Verließen und Galerien bewegen. Erinnerungen an den unschuldigen noch nicht perfekten Tourismus der 50-er und 60-er Jahre kommen auf.
Das imposante Erscheinungsbild der Festung, die im Mudéjar Stil errichtet wurde, bilden vier mächtige poligonale Wachtürme und ein atemberaubender Burggraben. Im Hauptturm (Torre del Homenaje) befindet sich die Burgkapelle, darüber zwei gut bestückte Waffensäle. Mehrere Galerien schließen sich an. Über enge, oft dunkle Wendeltreppen erreicht der Besucher den Burgfried mit seiner Aussichtsplattform, die einen fantastischen Rundblick über den Ort Coca und die nahen Pinienwälder bietet. Der Saal der Geheimnisse verblüfft mit einer beeindruckenden Akustik. Steht man sich in der Saalmitte gegenüber, so kommt die Stimme des Gesprächpartners von hinten. Außerdem versteht man deutlich, was im gegenüber liegenden Winkel gesprochen wird. In diesem Raum befinden sich in symbolischer Eintracht ein Halbmond (Islam), ein Kreuz (Christentum) und der Stern Davids (Judentum). Im anschließenden Saal stößt man auf eine runde Öffnung im Fußboden, die zu einem Verließ führt, das nur einen einzigen Eingang durch die Decke besitzt.
Viele Räume sind mit Malereien und sevillanischen Kachelwänden verziert. Selbst zwei Ölgemälde der Flämischen Schule und viele Gebrauchsgegenstände (maurischer Stuhl, hölzerner Sekretär) sind bestens erhalten. Hier kann der Besucher für einen geringen Obolus ungestört und unkontrolliert auf eine mittelalterliche Entdeckungstour gehen.
Im mittelalterlich anmutenden Ort, der am Ufer des malerischen Flusses Eresma liegt, zeugen zahlreiche Überreste antiker Gebäude von der großen römischen Vergangenheit wie eine von den Römern gefasste Quelle, die noch heute bestes Quellwasser liefert, sowie ein gut erhaltener Abwasserkanal aus jenen Tagen. Zu den bedeutendsten Kirchen zählt die gotische Santa Maria la Mayor mit ihrer rosa getünchten Gotikdecke, sowie die Eremitage Santa Rosalia. Weithin sichtbar ist auch die imposante Erscheinung des klobigen Maurenturms (Torre Mudéjar) von San Nicolás.
Coca ist umgeben von riesigen Pinienwäldern. Ähnlich wie bei der Kautschuk-Gewinnung in Südamerika wird in diesen Wäldern noch heute das Harz der Bäume abgezapft und gesammelt. Es findet Verwendung in hochwertigen Farben und Lacken.
Alles in Allem bietet Coca eine Zeitreise über zwei Jahrtausende. Diese Kleinstadt ist eine Perle, die immer noch im Dornröschenschlaf liegt und darauf wartet, touristisch wach geküsst zu werden. Sie ist zumindest einen Besuch wert.
Bürgerreporter:in:Hans-Rudolf König aus Marburg |
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