9. Teil - Kinder- und Jugendjahre im Schatten des Nationalsozialismus. (Erinnerungen der 89-jährigen Zeitzeugin Maria Bengtsson Stier)
….später wurden in der Schule unsere schönen Lesebücher eingesammelt und verbrannt. Wir Kinder wurden angewiesen unsere Lieblingsbücher von zu Hause mitzubringen. Angeblich sollten wir diese Bücher zum Lesen miteinander austauschen. In meinem Elternhaus hatten wir recht „zahme Bücher“ wie zum Beispiel „Der Kinder Gebet“ – das handelte um zwei Geschwister, deren Gebet sie vor dem Überfall eines Räubers geschützt hatte, oder „Das braune Lenchen“, das war ein Zigeunerkind, das von einer Kaufmannsfamilie aufgenommen und erzogen wurde usw. Aber sehr „lesebegierig“ wie ich war, las ich auch alle Detektiv- und Abenteuerromane meiner älteren Brüder. „ Sherlock Holmes“, „Tom Mix“, „Tom Shark“ usw., obwohl mir mein Vater diese Literatur verboten hatte. Doch ein Buch hatte ich von meinem älteren Bruder geerbt, das war auch von Seiten meines Vaters zugelassen: „Robinson Crusoe“ von dem weltbekannten englischen Schriftsteller Daniel Defoe (1661 – 1731). Das war mein Lieblingsbuch. Ich hatte es schon sehr oft gelesen und fand es trotzdem immer wieder spannend und interessant.
Stolz packte ich also dieses Buch in meinen Schulranzen und legte es in der Schule vor. Der Lehrer nahm das Buch auf, blätterte darin und nickte. Sicher kannte er es auch. Dann legte er es langsam auf mein Schreibpult zurück und schüttelte den Kopf. „Nein Mariechen, dieses Buch ist schon ein wenig alt“, sagte er.
Ich glaubte er meinte, es sei abgegriffen, also alt im Aussehen. „Aber das ist sehr interessant und spannend“ sagte ich stolz „Es ist ja noch einwandfrei lesbar.“
Der Lehrer nickte verlegen. Dann sagte er: „Nnjaja, gewiss, gewiss aber diese Buch ist zu alt zum Ausleihen.“ Ich packte beleidigt mein schönes Buch wieder ein. Wahrscheinlich wurde nun meine Vorliebe für ausländische Literatur an eine „Höhere Stelle“ weiter gemeldet, was vermutlich der wahre Anlass dieser Aktion war.
Eines Tages wurde uns empfohlen Hitlers Buch „Mein Kampf“ zu kaufen und zu lesen. Gekauft habe ich es nie, habe es also nie besessen. Aber ich hatte es mir einmal von einem Mitschüler geliehen. Ja, ich hatte sogar mehrmals angefangen es zu lesen, fand aber den Stil und auch den ganzen Inhalt so langweilig, sodass ich es nie fertiggelesen habe, nein – nicht bis zum heutigen Tage habe ich es gelesen!
Auch die Tageszeitungen änderten ihren Charakter. Und neben den Tageszeitungen gab es nun plötzlich ganz neue, nationalsozialistische Zeitungen, wie zum Beispiel „Der Stürmer“, worin immer wieder richtige Hetzkampagnen gegen das „Weltjudentum“ losgelassen wurden nach dem Motto: „steter Tropfen höhlt den Stein“.
Auch alle Briefmarken wurden anders. Sie trugen plötzlich Heldenbilder mit „Sportkanonen“, die starke, sportgestählte Körper aufwiesen.
Ja, und so wurde schließlich der „Jugendtag“, der Sportsamstag eingeführt, um die ganze deutsche Jugend zu „Sportkanonen“ zu erziehen, nach Hitlers Wahlspruch: „Hart wie Kruppstahl und flink wie die Windhunde“. Anstatt zum Unterricht wurde nun jeder Samstag zum Sport auf dem Stadion verwendet. Da gab es Leistungsprüfungen und Wettkämpfe im Langlauf, Hochsprung, Weitsprung, Kugelstoßen und Wettlauf usw., usw. Es gab Siegernadeln und Zeugnisse. Und es gab Sportfeste, wo wir gegen andere Schulen und andere Städte kämpfen mussten.
Das war für mich gar kein Problem, denn im Sport war ich weitaus besser als in der Politik. Ich gehörte sogar zu den Besten. Aber es gab auch Mitschüler, denen der Leistungssport sehr, sehr schwer fiel. Doch da half gar nichts, sie mussten „etwas leisten“.
Ja und da waren Hitlers Reden!
Jedes Mal, wenn eine Rede Hitlers angekündigt war, wurden alle Schulklassen in der Turnhalle der Schule versammelt, um diesem „heiligen Vermächtnis“ zu lauschen. Stundenlang mussten wir uns diese bombastischen Reden Hitlers anhören. Ich fand das so überaus langweilig, dass ich am liebsten davon gelaufen wäre. Nein, es interessierte mich wirklich nicht, was Hitler da alles vorbrachte. Vieles davon haben wir Kinder auch gar nicht begriffen. Das Schlimme aber war, dass wir später im Unterricht inhaltlich erzählen mussten, was Hitler alles gesagt hatte. Das bedeutete, dass man trotz dem mangelnden Interesse sehr aufmerksam und intensiv zuhören musste. Huuu – mir gruselt es noch heute bei dem Gedanken.
Und plötzlich waren Auslandsreisen total verboten! Auch der Schriftverkehr mit Angehörigen in Amerika oder überhaupt irgendwo im Ausland wurde genauestens überwacht, um Spionage zu verhindern. Überall leuchteten den Bürgern Plakate entgegen mit der Aufschrift „Achtung – Feind hört mit!“
Doch in unserem Wohnviertel war beinahe alles wie früher. Unsere harmonische Gemeinschaft war nicht gestört – noch nicht! So konnte man wenigstens zu Hause dem ganzen politischen Zwang einmal den Rücken kehren. – Wir sangen nach wie vor mehrstimmig unsere Heimatlieder, oder spielten unsere gemeinsamen Spiele wie Dame, Mühle usw., usw. Aber auch das änderte sich, denn bald wurde unsere Freizeit noch viel mehr „beschnitten“……
Fortsetzung folgt…..http://www.myheimat.de/linz-am-rhein/gedanken/10-t...
Bürgerreporter:in:Gisela Görgens aus Quedlinburg |
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