"Herakles"- der Neue im Haus

"Herakles" der neue Kleiderschrank
  • "Herakles" der neue Kleiderschrank
  • hochgeladen von Helene Tyls

Seit ein paar Tagen versperren in unserem Arbeitszimmer sechs unterschiedlich große Pakete den Durchgang zum Schreibtisch.
„Das ist Herakles“ stellt mir mein Mann das Chaos vor.
„Hä? Wie jetzt, Herakles?“ Völlig verständnislos betrachte ich das Durcheinander.
„Na ja“, erklärt er, „mein neuer Kleiderschrank! Der alte wäre demnächst sowieso zusammengebrochen und beim „Finnischen Schränkeschuppen “ im Industriegebiet gab es den hier im Angebot. Er heißt Herakles.“ Eifrig zuppelt er das Angebotsprospekt aus der hinteren Hosentasche.

Und was soll ich sagen: Der Name ist Programm!

Herakles besteht aus massiver Eiche, besticht durch eine schlichte Eleganz in gelaugt/geöltem Outfit und stellt, allein durch seine imposante Größe, jedes wackelige Kiefernholzfurnierschränckchen in den Schatten.
„Schick, herzlichen Glückwunsch“, kommentiere ich den Kauf.
Kurz darauf wird Herakles von seinem Pappmantel befreit und erblickt das Licht des Arbeitszimmers. Ich erblicke als erstes die Aufbauanleitung, die mit stolzen 35 Seiten an eine abendfüllende Lektüre erinnert. Und nein, der Aufbau ist nicht in Englisch, Französisch und Chinesisch erklärt. Man muss dafür nicht einmal lesen können. Alle 35 Seiten zieren viele anschauliche Bilder. Im Gegensatz zum Mitkonkurrenten aus Schweden, bei dem ein Inbusschlüssel und maximal zwei Personen völlig ausreichen, verlangt „Herakles“ nach mindestens vier gut gelaunten menschlichen Möbelbauern, einem Schraubendreher und einem Hammer. Unter diesen Voraussetzungen sei er im null Komma nix in circa viereinhalb Stunden einsatzfähig.
Na prima!
„Ochneeneh“, jammert mein Gatte angesichts des „verbauten“ Wochenendes und überlegt ernsthaft, ob er diesen Bretter- und Schraubenhaufen nicht doch lieber wieder ins Industriegebiet verbannen soll.
Nicht wirklich bedacht haben wir auch, dass das Ungetüm zunächst im Liegen zusammengebastelt werden soll. Das Doppelbett und der alte Schrank müssen deshalb weichen. Auch das noch!
„So, vorsichtig, langsam… weiter …“, stöhnt mein Mann vom anderen Ende des maroden Schrankes. KLONG! Nichts geht mehr.
Der hübsch/hässliche Aufsatz auf dem alten Ding verhindert ein elegantes und einfaches Verschieben durch die Tür ins Nachbarzimmer. Schweißtreibende, minutenlange Zentimeterarbeit in gekipptem Schwebezustand bringt uns unserem Ziel näher. Na bitte, geht doch!
Wann wollten wir eine Pause einlegen? Ich habe sie jetzt schon nötig.

Jetzt kann‘s losgehen!

Schwitzend sitzen wir wenig später inmitten von Brettern und Schräubchen, drehen uns die Finger wund und tüfteln an Schubladenschienen und Türaufhängungen.
„Okay, Bretter 24, 25 und 26 mit Schrauben B in Vorbohrungen X. Ist doch ganz einfach!“ nuschelt mein Baupartner mit einem halben Dutzend Nägeln im Mund. Herakles‘ Schrankskelett ist langsam erkennbar und er schöpft wieder Hoffnung.
Jetzt noch die Schubladen …
„Hm, hier stimmt was nicht … irgendwie schief.“ Betrübt betrachte ich mir die zwei Zentimeter Differenz.
„Geht ja gar nicht!“ Meine Laune hat nun den Tiefpunkt erreicht. „Ich brauche erst mal einen starken Kaffee.“ Mit der Bauanleitung unterm Arm verschwinde ich in der Küche.
„Die Schubladenschienen sind schuld, du hast die Schrauben „K“ in Vorbohrung „Z“ geschraubt, statt in „Y“. Also auf ein Neues!

Zwei Stunden später…

Die Rückwand wartet auf schlappe 120 Nägelchen, die rundherum reingehauen werden müssen. Keine leichte Aufgabe!
Zwischen Wand und Kleiderschrank eingepfercht, die wackelige Rückwand auf dem Fuß balancierend versuche ich mit beginnender Altersweitsichtigkeit im Halbdunkel die winzigen Nägel auf den Punkt zu versenken. Geschafft!
Grübelnd steht mein Mann vor unserem halbfertigen Werk.
„Ganz schön massiv, das Ding … hm, bin gleich wieder da.“
Spricht’s und verschwindet ins Erdgeschoss. Eine Viertelstunde später finde ich ihn stirnrunzelnd vorm Computer. Die aktuelle Seite hat folgende Überschrift: „Maximale Belastung bzw. Auslastung einer Holzbalkendecke in älteren Bauten.“
„Vergiss es“, begehre ich auf, „ich baue das Ding auf gar keinen Fall wieder ab.“
„Nee, nee ich wollte mich nur kurz rückversichern, alles paletti“, verteidigt er sich ein wenig zu schnell und lässig. „Wird schon schief gehen.“

Ende gut, alles gut!

Draußen wird es schon dunkel, als wir endlich die letzte Tür einhängen und unser Werk voller Stolz betrachten.
Bleibt zu hoffen, dass der „gewichtige Herakles“ brav an Ort und Stelle bleibt und uns die Holzbalkenstatik unseres alten Hauses nicht im Stich lässt. ☺

Bürgerreporter:in:

Helene Tyls aus Korbach

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