Jugenderinnerungen: Maibaumaufstellen in Österreich
Kapitel 23.: Feuerwehrheuriger
29. April 1994
Ich betrat die Fahrzeughalle der Retzer Feuerwehr am Stadtrand neben den Bahngleisen. Links, in der Westhälfte der Halle, standen die Einsatzfahrzeuge der Wehr in einer Reihe. Der Rest des Raumes war ausgefüllt mit den obligatorischen Heurigenbänken und –tischen.
Ich warf einen Blick auf eine der Speisekarten auf dem Tisch direkt neben mir. Kesselgulasch wurde darauf angepriesen. Rostbratwürstchen. Frankfurter Würstchen. Bier. Belegte und bestrichene Brote mit allem Möglichen. Verschiedene Weine von den Weinbauern aus der Gegend. Gespritzte Säfte. Selbstgemachte Kuchen. Kaffee.
Zwischendurch, als es mal etwas ruhiger zuging, hatte Feuerwehrkommandant Beyer sämtliche anwesenden Helferinnen und Helfer in einen Nebenraum der Halle zusammengeholt. Ich schoss das obligatorische Gruppenbild.
Kommandant Beyer bat mich dann noch, besonders hervorzuheben, dass ohne die tatkräftige Unterstützung der Frauen und Freundinnen der Feuerwehrkameraden die Durchführung des Events nicht möglich gewesen wäre, was ich auch gerne tat.
Kapitel 24.: Erster Mai in Retz
30. April 1994
Kapitel 24. 1.: Auf dem Weg zum Maibaumaufstellen
Ich kam an einem Holztor vorbei. An ihm hing abermals eine jener unzähligen Maitafeln, wie sie seit dem frühen Morgen in der ganzen Stadt zu sehen waren. Auf den Rändern der Oberfläche verziert von kleinen, halbierten, sich an den Enden überlappenden Birkenästchen. "Ein dreifaches Hoch unserem Herrn Gemeinderat samt Familie" wurde auf ihr gewünscht.
Nur zwei Häuser weiter folgte bereits wieder eine Tafel dieser Art. Sie war an den Rändern anders als die vorhergehende mit Tannengrün umgeben. Rote und weiße Papierblüten steckten darin. Außerdem hingen bunte Papierbänder von dem Tannengrün herunter. "Ein dreifaches Hoch unserem Herrn Obmann" lautete der Text in der Mitte.
Auf dem Boden kam kurz darauf ein Maisteigspruch in Sicht. Dem Verwitterungsgrad nach zu urteilen, stammte er noch aus dem letzten Jahr oder einem der Jahre zuvor. Über die gesamte Breite des Fußweges erstreckten sich die mit Kalkfarbe aufgetragenen Buchstaben. Außerdem waren die Buchstaben zur Straße hin ausgerichtet. Ich trat daher vom Fußweg herunter, um den Spruch erfassen zu können. "Jeder Rowdy fährt 'nen Audi", lautete er. Jetzt werden bestimmt in einigen Häusern schon wieder die Farbkübel für die kommende Nacht bereitgestellt, dachte ich während des Weitergehens.
Kapitel 24. 2.: Der Baum kommt
Ich hatte bereits ungefähr eine halbe Stunde am Ende der "Schlecker"-Filiale bei der Kreuzung Kremserstraße/Bahnhofstraße gewartet. Plötzlich war aus dem hinteren Teil der Kremserstraße beim Ortsende Richtung Obernalb Blasmusik zu hören. Einen Augenblick später tauchte an der Straßenverschwenkung auf der Höhe Tankstelle ein Kleinbus der Feuerwehr auf. Im Schritttempo näherte er sich der Kreuzung. Gleich dahinter kam die Retzer Stadtkapelle zum Vorschein. Wenige Augenblicke, nachdem sie auf der Bildfläche erschienen war, nahmen die Blechbläser unter ihnen die Instrumente ab. Zeitgleich begannen die Trommler einen Rhythmus zu schlagen.
Der Kapelle folgte in einem gewissen Abstand ein Traktor mit vorgebauter Schaufel. Diese war bis zum Anschlag hochgefahren. Eine etwa ein Meter mal eineinhalb Meter breite, an den Rändern mit Tannengrün geschmückte Holztafel hing daran. Auf ihrer weißen Oberfläche stand irgendetwas mit brauner Farbe geschrieben.
Der Traktor erreichte das Mehrzweckgebäude mit den Verwaltungen der SPÖ-Stadtorganisation, der Volkshilfe und der Gebietskrankenkasse. In diesem Moment wurde schließlich auch das Hauptstück des Aufmarsches sichtbar: der Maibaum. Es handelte sich dabei um eine Fichte. Von Ästen und Zweigen weitestgehend befreit, bis kurz vor die Spitze kahl geschält worden war der lange Stamm. Auf irgendeine Weise hatte man ihn an der Rückfront des Traktors verankert. Mit seiner Spitze lag er ungefähr zehn Meter weiter hinten auf einem flachen Autoanhänger auf. Insgesamt etwa 30 Männer der örtlichen Feuerwehr liefen zu beiden Seiten des Baumes nebenher und sorgten dafür, dass er nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ihr Anblick erinnerte mich spontan ein wenig an die Geschichte von den Sieben Schwaben aus dem Märchenbuch der Gebrüder Grimm. Zahlreiche lange, farbige Bänder hingen von der Spitze herunter.
Der Zug kam an der kleinen Verkehrsinsel in der Mitte der Kreuzung an, auf der ein ganzes Meer roter Tulpen blühte. Ich begann, nach Bekannten unter den Feuerwehrleuten Ausschau zu halten. Gleich wenige Meter nach dem Traktor fiel mir Tischlermeister und Gemeinderat Drohmer auf. Ein paar Schritte hinter ihm ging Jugendgemeinderat Christian Staudinger, neben ihm Stadtamtsmitarbeiter Wilhelm Laurenz.
Währenddessen war der Traktor nahe genug herangerückt, dass ich den Text auf der Tafel entziffern konnte. Es handelte sich um eines jener mehr oder weniger geglückten Gedichte in Versform, wie sie üblicherweise bei Geburtstagsfeiern und Ehrungen als Hymne auf die im Mittelpunkt der Feier stehende Person vorgetragen wurden. Gewidmet war die Tafel mitsamt dem Baum, an dem sie befestigt werden würde, einem ehemaligen Mitglied der Retzer Feuerwehr. Es feierte seinen 70. Geburtstag, wie aus dem Text hervorging.
In der Stadtkapelle übernahmen inzwischen wieder die Blechbläser mit dem "Ohne Rast"-Marsch. Das Ensemble betrat in dem Moment den gleich vor dem Drogeriemarkt beginnenden Stadtpark. Nur wenige Meter hinter dem Kleinbus. Am Ende der Formation ging ein kleiner Junge, welcher die im Vergleich zu ihm riesengroße Pauke vor ihm schlug.
Millimeter für Millimeter schwenkte im Anschluss der Traktor auf denselben Kurs ein.
Irgendwann hatte der Transport sein umständliches Manöver bewältigt. Ich schloss mich dem Aufmarsch als Letzter an.
Bald darauf kam auf der linken Seite der Beginn des Schlosses Gatterburg in Sicht, welches bis zur Ecke die ganze Weglänge für sich in Anspruch nahm. Bäume und Sträucher blühten in dem schmalen, parkähnlichen Gelände entlang der Südwand und der Ostwand des Gebäudes.
Die Stelle war erreicht, an der die Parkpromenade, die in diesem Bereich das historische Stadtviertel abgrenzte, rasch an Höhe gewann. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bahnhofstraße, unterhalb der Promenade, zogen zeitgleich die beiden weinroten Blockbauten vorbei. Aus etlichen ihrer Fenster hingen bereits rot-weiß-rote 82 Fahnen für den bevorstehenden 1. Mai.
"Stopp!!!" rief Feuerwehrkommandant Beyer und riss den Arm hoch. Der Traktor war an der Ecke des Schlosses Gatterburg angekommen. Gegenüber, auf der anderen Seite des Weges, tauchte die kleine, halbrunde Sitzecke an der Ecke des Stadtparks auf. Wie immer erinnerte sie mich ein wenig an eine Terrasse, so hoch wie sie über dem Niveau der darunterliegenden Kreuzung Bahnhofstraße/Wallstraße/Verderberstraße lag.
Die Stadtkapelle befand sich bereits am Beginn des rechtwinklig nach links abbiegenden Weges. Dort spielte sie in der Standposition weiter.
Zwei der Feuerwehrmänner begannen die Ketten zu lösen, mit denen der Stamm mit dem Traktor verbunden war. Klirrend fielen sie zu Boden. Ein paar unverständliche Kommandos wurden gegeben. Die Männer stemmten daraufhin den Baum in die Höhe, um ihn auf den Schultern weiter zu transportieren.
Kapitel 24. 3.: Der Baum wird eingesetzt
Der Zug erreichte schließlich jene Parkhälfte, die mit dem Weg zwischen Lehengasse und Wallstraße begann und mit der Schmiedgasse endete. Die Rückfronten der Gärten der Lehengasse tauchten auf, die den Abschnitt des Parks nach Westen hin begrenzten. In der Mitte des Parkweges, auf der Anhöhe des Grundstücks vom Jubilar, hatte sich schon ein kleiner Auflauf gebildet. Unter den Zuschauern befand sich auch wieder Hermann Neumayr vom Stadtamt, welcher ebenfalls fotografierte.
Wenige Augenblicke später traf auch die Kapelle ein. Sie nahm auf der Grünfläche vor dem Garten Aufstellung. Ein paar Meter davor war an der Stelle, an der der Baum aufgestellt werden sollte, bereits ein Loch in den Rasen gegraben worden.
Schließlich kamen auch die Männer mit dem Stamm auf den Schultern an der Stelle an. Aufgrund seiner Länge bereitete es ihnen zunächst einige Schwierigkeiten, ihn mit seinem Ende in Richtung des Lochs zu dirigieren. Als er sich ungefähr in der gewünschten Position befand, drehten sich alle auf ein mir nicht verständliches Kommando um. Danach gingen sie ein paar Schritte und drehten sich wieder auf Kommando um.
Ich stellte meine Tasche auf den Boden, öffnete sie, entnahm die Kamera und machte sie betriebsbereit. Die Männer hatten inzwischen von irgendwoher Gabeln in unterschiedlicher Länge gereicht bekommen. Diese setzten sie immer paarweise links und rechts an einer Stelle des Stammes an. Die kürzesten Gabeln kamen im untersten Bereich des Baumes zum Einsatz. Je länger sie wurden, an einer umso höheren Stelle wurden sie angesetzt.
Wenige Augenblicke später gab einer der Beteiligten das Kommando: "Fertig! Schub!"
Ruckartig wurde der Baum ein Stück in die Höhe befördert. In einem Winkel von 20, 25 Grad schwebte er von den Gabeln gehalten in der Luft. Während des Stemmens hatte ich so viele Bilder gemacht, wie ich kriegen konnte.
Am Boden wurde unterdessen etwas Erde in das Loch geschüttet. Nach diesem Schritt wurden zusätzlich noch ein paar lange, spitze Steine darin verankert. Von der Form her erinnerten mich diese ein wenig an die Hinkelsteine aus den "Asterix und Obelix"-Heften.
Wieder kam das Kommando: "Fertig! Schub!" Als sich der Baum danach abermals ein Stück weiter in der Höhe befand, wurde am Boden ebenfalls wieder etwas Erde nachgefüllt. Ebenso wurden wieder Steine in das Loch geschoben.
Der Vorgang wiederholte sich noch dutzende Male. Schließlich stand der Baum schon fast senkrecht. Dabei erwies es sich als schwierig, ihn durch die ineinanderragenden Kronen der übrigen Bäume des Parks zu kriegen, da er etwas länger als sie war. Gleichzeitig wurden zu Füßen des Baumes spitz zugeschnittene Holzkeile zur Verankerung in das Erdloch gesteckt. Einige der Feuerwehrleute, die nicht unmittelbar an dem Aufstellvorgang beteiligt waren, teilten daraufhin an ihre Kameraden rings um den Baum Vorschlaghämmer aus. Es krachte gewaltig, als die Männer mit wuchtigen Hieben die Keile in den Boden trieben.
Der Baum stand. Eine Leiter wurde an seinen Stamm herangetragen. Einer der Männer stieg mit einem Hammer in der Hand bis zu ihrer Mitte. Zwei seiner Feuerwehrkameraden nahmen die hölzerne Glückwunschtafel. Sie trugen sie an den Stamm heran und hielten sie in jene Höhe, in der sie angebracht werden sollte. Währenddessen ging ein Mann mit einem Tablett voller Weingläser herum. Auch ich nahm mir eins, als er bei mir vorbeikam.
Der Mann auf der Leiter hatte sein Werk beendet und stieg wieder herunter. Beifall erklang von allen Seiten. Die Kapelle, die während des gesamten Aufstellvorgangs gespielt und
während des Tafelanbringens einmal kurz Pause gemacht hatte, setzte noch einmal an.
Kapitel 24. 4.: Das Werk ist vollbracht
Unmerklich war die Abenddämmerung über dem Park hereingebrochen. Nur noch vereinzelt schimmerte die Sonne zwischen den Bäumen hindurch. Unter welchen es bereits etwas dunkler geworden war als außerhalb des Parks. Die Stadtkapelle hatte inzwischen im Garten des Jubilars Aufstellung genommen. Dort hatte sie nach einer längeren Pause ihr Spiel fortgesetzt. Auch ein Großteil der Anwesenden, welche das Baumaufstellen verfolgt hatten, war vom Hausherrn mittlerweile auf das Gartengelände gebeten worden. Weingläser klirrten an etlichen Stellen.
Ich nahm die Kamera vom Hals, verstaute sie in der offenen Tasche neben mir, zog den Reisverschluss an ihr zu und trat den Weg nach Hause an.
Kapitel 24. 5.: Maikundgebung
Am Tag darauf fand auf dem Hauptplatz direkt vor dem Rathaus die traditionelle Mai-Kundgebung der SPÖ statt. Die Partei tourte wieder durch ÖVP-Stammland.
Lokale und regionale Vertreter der Partei hielten Reden.
Hinterher fand dann bei den aufgestellten Heurigentischen und –bänken Volksfest statt. Mit Brathähnchen, Würstchen, Aufstrichbroten, Bier, Wein und Saft. Im Hintergrund spielte das "Windmühlenecho".
Nachdem ich die Tätigkeit bei der Zeitung aufgenommen hatte, war ich irgendwie stillschweigend ganz automatisch zum Presseverbindungsmann der Schule ernannt worden. So bekam ich von Lehrern immer mal wieder Sachverhalte, über die ich etwas schreiben sollte.
Ich begann daher, gleich nachdem ich das Bratwürstchen zu Ende gegessen hatte, mit dem Artikel über die französischen Austauschschüler.
Volkshilfe: Nicht auf Gewinn ausgerichteter, personell und ressourcenmäßig der SPÖ nahestehender gemeinnütziger Verein, welcher auf dem freien Markt soziale Dienstleistungen für Angehörige aller Altersgruppen anbietet. Unterhält einen Landesverband in jedem der neun österreichischen Bundesländer, die wiederum zahlreiche Untervereine auf regionaler oder kommunaler Ebene betreiben.
Bürgerreporter:in:Christoph Altrogge aus Kölleda |
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