Palmsonntag in Österreich
Eine weitere meiner Jugenderinnerungen aus den Neunziger Jahren:
Kapitel 21.: Palmsonntag in Retz
März 1994
Kapitel 21. 1.: Hinweg zur Dominikanerkirche
Ich sah kurz auf die Armbanduhr, während ich mit dem Palmsonntagssträußchen in der Hand die Klostergasse emporhastete. Wenige Minuten vor um Neun.
Ein kalter Wind blies, welcher die Wolkendecke aufriss. Streckenweise trat so blauer Himmel hervor. Grelles Sonnenlicht fiel durch die Lücke, unterstrich die barocke Architektur der Straße.
Die Kirche war bereits überfüllt, als ich sie betrat. Sogar die Stehplätze im Eingangsbereich waren schon knapp geworden. Alle von den Umstehenden trugen ebenfalls ihr Palmsonntagssträußchen bei sich. Der Machart nach sahen viele von ihnen aus, als würden sie ebenfalls aus dem Bauernladen in der Kremserstraße stammen.
Ich bekreuzigte mich mit dem Wasser und machte den Kniefall. Danach stellte ich mich in die Ecke neben dem Altar gleich links. Über ihm hing in etwa zwei Metern Höhe der Glassarg mit der skelettierten Leiche des Heiligen Plazidus.
Kapitel 21. 2.: Palmweihe in der Dominikanerkirche
Nachdem der Dominikanerpriester nach dem Ende seiner Messe den Altarraum verlassen hatte, hielt sich dort eine ganze Weile niemand auf. Ab und zu warf der Vorsitzende der örtlichen Katholischen Männerbewegung aus der Sakristei heraus einen Blick in die Kirche. Dazwischen immer jeweils ein anderer der Ministranten.
Irgendwann betraten schließlich die Mitglieder des Gemischten Chores des Männergesangsvereines nacheinander den Altarraum und postierten sich in der Apsis. Ihnen folgten auf den Fuß die Stadt- und Gemeinderäte. Jeder mit einem langen, einstieligen Weidenzweig in der Hand. Nachdem sie an der Seite Aufstellung genommen hatten, erschien der Ministrant, der das mit allerhand Blumen geschmückte Kreuz trug. Hinter ihm in einer Reihe die ganzen anderen Ministranten in ihren langen, weißen Kleidern. Ganz zum Schluss betrat Pfarrer Groll im erdbeerroten Gewand den Raum. Er trat an den Altartisch und zündete die vier Kerzen darauf an. Nachdem sie alle brannten, stimmte der Chor "Hosanna in der Höhe" an.
Das Gebäude verfügte über eine beachtliche Akustik, wie sich bereits nach den ersten Liedzeilen zeigte. Fast so, als würde der Chor in einem riesigen Dom auftreten, wurde der Gesang von der Halle wiedergegeben.
Kurz nachdem der Chor mit seinem Gesangsstück einsetzte, hatten sich die Ministranten im Mittelgang zu verteilen begonnen. Dort gaben sie an jeder Sitzreihe einen kleinen Stapel Zettel ab, welche sich dann automatisch weiterverteilten.
Wenige Minuten später bekam ich einen der Stapel von der Seite gereicht. Ich nahm mir mit der einen Hand ein Blatt. Mit der anderen gab ich die restlichen Blätter an meinen Vordermann weiter. Es handelte sich um Liedtexte, wie ich gleich darauf feststellte.
Die Ministranten hatten sich inzwischen wieder an der Seite des Pfarrers eingefunden.
Das Eröffnungsklingeln ertönte. Pfarrer Groll trat näher an den Altartisch heran und verkündete: "Wir beginnen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."
"Amen", antwortete das Auditorium.
"Jesus Christus, der Friedenskönig, sei mit Euch."
"Und mit deinem Geiste."
Danach begann er mit einer Predigt, die an diesem Tage klarerweise den Einzug Jesu in Jerusalem zum Inhalt hatte.
Kapitel 21. 3.: Palmprozession
Nach dem Ende der Messe verließen als Erstes die Stadt- und Gemeinderäte durch den Mittelgang das Kirchenschiff. Pfarrer Groll dirigierte nach ihnen die Ministranten in den Mittelgang und folgte ihnen selbst als Letzter.
Schließlich erhoben sich auch die Messeteilnehmer von ihren Plätzen und bewegten sich in Richtung Ausgang. Wie der Pfarrer gebeten hatte, wurde während des gesamten Auszuges von dem Zettel, den die Ministranten zu Beginn der Feier ausgeteilt hatten, das Lied "Lobe den Herrn" gesungen.
Ich musste beim Kniefall ein wenig Acht geben, nicht umgestoßen zu werden. Ringsherum war bereits überall Gedränge entstanden.
Auch am Ausgang hatte sich ein kleiner Stau gebildet. Gleich etliche der Anwesenden steckten ihre Finger in das Weihwassergefäß.
Die Gespräche der draußen Stehenden drangen zur Tür herein. Dort vermischten sie sich mit der Orgelmusik im Inneren und dem Läuten der Glocken an der Turmspitze.
Ich blieb zunächst gleich rechts neben der Tür stehen. Neben mir erstreckte sich der Wandteil mit den verblichenen Kreuzwegmalereien und den zwei Parkbänken davor.
Nach einigen Minuten hatten sich der Pfarrer, die Ministranten und die Gemeindevertreter vorn am Beginn des Weges eingefunden. Die Prozession setzte sich in Gang. Pfarrer Groll begann in liturgischem Gesang die erste Prozessionsbitte vorzutragen. Worauf die Teilnehmer im Chor "Christus, wir rufen zu dir" antworteten.
Der Haupteingang der Kirche zog vorbei. Eingeschlossen zwischen zwei der zahlreichen Stützpfeiler, die sich über die gesamte Nordseite verteilten. Gleich darauf folgte der gewaltigste der Pfeiler. Hinter ihm die Wandnische mit der steinernen Landschaft und der religiösen Figurengruppe darin.
Die Prozession erreichte die Stelle, wo das schmale Gelände zwischen Kirchenschiffnordwand und Nachbargrundstücksmauer endete. Senkrecht stieß der Weg auf die horizontale Nahtstelle von Klostergasse und Vinzenziplatz.
Der Strom der Prozessionsteilnehmer teilte sich auf. Einige stiegen die Treppe aus grob behauenen Natursteinen hinunter, die um die Kirchenapsis herum in die Klostergasse führte. Die andere Hälfte durchschritt den riesigen, freistehenden, barocken Glockengiebel-Torbogen. Von dort aus ging sie hinter der kleinen Bruchsteinmauer zwischen Natursteintreppe und Vinzenziplatz entlang.
Ich selbst ging in Richtung des Barocktores, welches in einer Linie Bruchsteinmauer und benachbartes Privatgrundstück verband.
Rechts, zwischen Weg und Treppe, an der Innenseite des Tores, tauchte das kleine, abgemauerte, dreieckige Beet auf. Lila und orange Krokusse blühten darin.
Gleich daneben bemerkte ich, kurz bevor es zum Tor hinausging, wieder mal eine dieser Abflussrinnen aus den alten Schattauer Ziegeln. Sie erstreckte sich quer über den Weg.
Der Zug bewegte sich schließlich in die Klostergasse hinein. Rechts tauchte das schmale, dreistöckige, altorange Gebäude auf. Wieder einmal erinnerte es mich vom Äußeren her ein wenig an das Verderberhaus auf dem Hauptplatz.
Links zogen währenddessen gleich etliche Fenster vorbei, in denen sich Grünsträuße mit gefärbten und verzierten Eiern befanden.
Kapitel 21. 4.: Passionslesung in der Stadtpfarrkirche
Der Zug bog von der Znaimerstraße in die Kirchenstraße ein. Bereits von Weitem hörte man schon die Glocken der Stadtpfarrkirche schlagen.
Es dauerte nicht lange, bis die Prozession den "Goldenen Hirschen" und die Volksschule auf der linken Seite hinter sich gelassen hatte. Nur wenige Sekunden später zog sie zwischen den Statuen vom Heiligen Laurentius und dem Heiligen Stephanus in den Kirchenpark ein.
Zwischen den Bäumen tauchte das von der übrigen Straße aus nicht sichtbare Kirchenschiff auf. Aus dem Inneren des Gebäudes war bereits von Weiten Orgelmusik zu hören.
Vor dem Haupteingang bildete sich wieder ein kleiner Auflauf. Mittendrin entdeckte ich plötzlich meinen Banknachbar Georg. Wahrscheinlich war er mir aufgrund seiner Körpergröße bisher nicht aufgefallen, ging es mir durch den Kopf. Ich dachte daran, wie uns Wilhelm in Anlehnung an den kleinsten und den größten der Ganovenbrüder Dalton aus den "Lucky Luke"-Heften immer "Joe und Averall" nannte, wenn wir in der Schule nebeneinander standen.
Stück für Stück bewegte sich der Strom durch den Vorraum im Erdgeschoss des Turmes in das Kirchenschiff hinein. Vorn im Chorraum stand bereits der Pfarrer hinter dem Altartisch. Rings um ihn herum die Ministranten. Sämtliche Altarbilder dahinter waren mit lila Tuch verhängt worden.
Ich stieg die drei Stufen hinab und machte das Weihwasserkreuz. Danach lief ich ungefähr bis zur Mitte des Gangs. Ich machte wieder den Kniefall und setzte mich an den Rand einer freien Bank in der rechten Hälfte.
Bürgerreporter:in:Christoph Altrogge aus Kölleda |
4 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.