Kirchhain: Renaturierung der Wohra und ihrer Aue schafft neue Lebensräume
Seit dem Frühjahr 2011 ist die Renaturierung eines rund 2,7 Kilometer langen Abschnittes der Wohra zwischen dem ehemaligen Wohra-Sandfang bei Kirchhain und der Mündung an der Ohm abgeschlossen. Nun erobern Tiere und Pflanzen die neu geschaffenen Lebensräume.
Renaturierung kostet 2,01 Millionen Euro
Der Spatenstich für das ungewöhnliche Projekt an der Wohra erfolgte am 13. September 2010. In den folgenden Monaten verwandelte sich die großflächig als Ackerland bewirtschaftete Aue am Sandfang und an der Ohm in eine Großbaustelle, auf der schwere Baumaschinen die Regie übernahmen. Was zunächst wie die Erschließung eines Gewerbegebietes oder der Bau einer Straße aussah, entwickelte sich zu einem in vielen Windungen geschwungenen Flusslauf, einer neuen Flussmündung und ökologisch aufgewerteten Flussstrecken am Wohra-Flutgraben. Die Fließstrecke hat sich durch die neu geschaffenen Windungen von 700 auf 2.200 Meter verlängert. Zudem sind bei der Neuanlage der Wasserläufe rund 18.000m³ Bodenmaterial entnommen worden. Durch die Verzögerung des Abflusses von Hochwasserspitzen und die Entstehung zusätzlicher Rückhalteflächen ist der Hochwasserschutz verbessert worden. Die umfangreiche Renaturierungsmaßnahme hat 2,01 Millionen Euro gekostet.
Gewässerrenaturierung besteht aus mehreren Teilmaßnahmen
Die Wohra-Renaturierung gliedert sich in mehrere Einzelmaßnahmen. Neben der Neuanlage des Gewässerbettes am Sandfang und der Neugestaltung der Wohra-Mündung sind zahlreiche kleinere Maßnahmen umgesetzt worden, mit denen Abschnitte des begradigten und naturfern gestalteten Wohra-Flutgrabens ökologisch aufgewertet worden sind:
* Aufteilung der Wohra: Oberhalb des Wohra-Sandfanges wird die Wohra aufgeteilt: Der neue Flusslauf wird im Westen um die Wasserfläche am Sandfang geführt und an den Flutgraben angebunden. Der Sandfang und die am Ortsrand Kirchhain gelegene Mühlen-Wohra werden nun über einen Seitenschluss mit Wasser versorgt. Eine neu gebaute Schützanlage regelt die Wasserzuführung für den Sandfang und die Mühlen-Wohra.
* Umgestaltung des Wohra-Sandfanges. Die am Südrand des Beckens gelegenen Hochwasser-Überläufe und Abflussgräben sind mit Erde und Steinen verfüllt worden.
* Im Bereich zwischen dem Sandfang und der Straßenbrücke an der Landesstraße 3037 hat die Wohra einen naturnahen Flusslauf mit zahlreichen Windungen, flachen Uferbereichen, kleinen Gewässeraufspaltungen und unterschiedlichen Sohlsubstraten (Kies, Steine, Erde) erhalten. Der naturfern begradigte Flutgraben wurde nach der Herstellung des naturnahen Flusslaufes verfüllt.
* Eindeichung der Gewerbeflächen: Die an der Landesstraße 3067 gelegenen und an die Wohra angrenzenden Gewerbeflächen werden durch einen neu gebauten Damm vor Hochwasser geschützt.
* Beseitigung von Barrieren: Im Bereich zwischen der Main-Weser-Bahn und der B62 sind zwei Absturzbauwerke in raue Gleiten umgewandelt worden. Durch diese Maßnahme wird die Wohra für Fische und andere wassergebundene Organismen durchgängig.
* An den südlich der Main-Weser-Bahn gelegenen begradigten Bachabschnitten sind kleinräumige Maßnahmen zur Strukturverbesserung vorgenommen worden. Zu diesen Maßnahmen gehören die Aufweitung des Bachbettes, die Abflachung von Uferböschungen sowie das Einbringen unterschiedlicher Sohlsubstrate wie Blöcke, Steine und Kies. Durch die eingebrachten Steine und Blöcke sind Lebensräume und Bereiche mit unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten entstanden, auf die zahlreiche wassergebundene Organismen angewiesen sind.
* An der B 62 (Kraftfahrstraße) ist unter dem Brückenbauwerk durch Steinsetzungen ein relativ naturnahes Flussbett hergestellt worden. Durch diese Maßnahme ist ein weiteres Hindernis für wassergebundene Organismen beseitigt worden.
Am Ohm-Wehr an der Wohra-Mündung (Absturz- und Vereinigungsbauwerk Wohra-Ohm) ist ein naturnahes Umgehungsgerinne entstanden, das den Fluss für Fische und andere wassergebundene Organismen wieder durchgängig macht. Der renaturierte Wohralauf ist ebenfalls an das Umgehungsgerinne angebunden.
Rückblick auf die Geschichte des Wohra-Sandfanges
Der Wohra-Sandfang wurde im Jahr 1959 im Zusammenhang mit dem Bau des Hochwasserrückhaltebeckens an der Ohm errichtet. Der rund 200 Meter lange und 95 Meter breite Sandfang sollte die Ablagerung von Sand und Kies im Rückhaltebecken verhindern. Die Beseitigung der jährlich anfallenden 3.000 bis 4.000m³ Ablagerungen verursachte jedoch hohe Kosten. Daher wurde die Räumung des Sandfanges eingestellt. Die Wasserfläche bleibt jedoch erhalten, da sich das Becken in den vergangenen Jahren zu einem hochwertigen Biotop und Vogellebensraum entwickelt hat.
Bedeutung für den Naturschutz
Teilflächen des Maßnahmegebietes und der Wohra-Sandfang sind Bestandteil des FFH-Gebietes „Wohraaue zwischen Kirchhain und Gemünden“. Die naturnahen Flussstrecken der Wohra und ihrer Nebenbäche beherbergen hessenweit bedeutsamen Vorkommen der beiden Fischarten Groppe (Cottus gobio) und Bachneunauge (Lampetra planeri). Beide Fischarten und weitere Wasserorganismen profitieren von der Beseitigung von Wanderhindernissen im Unterlauf der Wohra. Mit der Renaturierungsmaßnahme werden auch Forderungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie erfüllt, die einen guten ökologischen Zustand der Flüsse und Bäche fordert.
In den neu angelegten Flussstrecken am Sandfang und dem renaturierten Flutgraben konnten bereits wenige Wochen nach dem Ende der Baumaßnahme Jungfische beobachtet werden. Die umgestalteten Uferbereiche und Böschungen sind im Lauf des Sommers von den ersten Pflanzen besiedelt worden. Einjährige Kräuter wie Kamillen werden in den folgenden Jahren von gewässertypischen Staudensäumen und Ufergehölzen mit Schwarz-Erlen und Weiden-Arten abgelöst.
Ausflugstipp: Zu Fuß und mit dem Rad zur Wohrauae
Die renaturierte Wohra-Aue ist einen Ausflug wert und durch zahlreiche gut ausgebaute Wirtschaftswege gut erreichbar. Am Wohra-Sandfang befinden sich zahlreiche asphaltierte Wege, auf denen ganzjährig Rundwanderungen und Spaziergänge zwischen Kirchhain und Stausebach möglich sind. Der naturnahe Bachlauf am Sandfang ist von den Wegen gut einsehbar und bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Naturbeobachtung.
Die Besichtigung der südlich der Main-Weser-Bahn gelegenen Bachstrecken lässt sich mit einem Rundgang durch das NSG „Brießelserlen“ verbinden.
Radwanderer erreichen den Wohra-Sandfang bei Kirchhain über den hessischen Radfernweg R6, der zwischen Kirchhain und der Gemeinde Wohra im Wohratal verläuft. Der durch das Ohmtal führende Radfernweg R2 verläuft am NSG „Brießelserlen“ neben der Wohra.
Weitere Informationen
Buch: Nitsche, S. & L. Nitsche; 2009; Naturschutzgebiete in Hessen, Band 5 Landkreis Marburg Biedenkopf, Lahn-Dill-Kreis, Landkreis Gießen
Festschrift 50 Jahre Wasserverband Lahn-Ohm (1960-2010) mit umfangreichem Text und zahlreichen aktuellen und historischen Fotos: http://www.zmw.de
Informationen zu Wander- und Radwegen / Luftbilder: http://www.radroutenplaner.hessen.de
Informationen zur Wohra in der wikipedia
Schrägluftbilder von der renaturierten Auenlandschaft am Wohra-Sandfang (Peter Gnau)
Sandfang mit neuen Flussauen
Gesamtblick über Wohrasandfang, Kirchhain in Richtung Amöneburg
Bürgerreporter:in:Leif-Erik Zaschke aus Stadtallendorf |
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