Das arme Dorfschulmeisterlein

Ein Foto aus dem Jahr 1912 - Schule, Kirche, Stall (gehörte zur Schule), alte Post - v. links nach rechts. Im Vordergrund die Viehwaage.
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  • Ein Foto aus dem Jahr 1912 - Schule, Kirche, Stall (gehörte zur Schule), alte Post - v. links nach rechts. Im Vordergrund die Viehwaage.
  • hochgeladen von Hans-Christoph Nahrgang

In Anzefahr haben die Kinder nach wie vor noch die Möglichkeit die ortsansässige Grundschule zu besuchen. Dies ist sicher nicht mehr in allen Gemeinden möglich.

Da in den letzten Wochen viele Einschulungsfotos und Geschichten hier in MyHeimat veröffentlicht wurden, habe ich mir die Frage gestellt: "Wann hat die schulische Ausbildung überhaupt begonnen ?". Zur Klärung dieser Frage für Anzefahr habe ich folgende Unterlagen benutzt:
"Amöneburger Blätter" - Heft 4 v. 1999 und Heft 1 v. 2000 von Dr. Alfred Schneider
"Dorfchronik" des MGV 1903 Cäcilia Anzefahr
"Schulchronik" der Grundschule Anzefahr.

Erst seit Anfang des 17. Jahrhunderts findet sich in den Gemeinden des Amtes Amöneburg (zudem auch Anzefahr gehörte) vereinzelte Hinweise über die schulische Unterweisung der ländlichen Bevölkerung. Sie werden verschiedentlich als "Schulmeister", "Schuldiener" oder auch als "Opfermänner" bezeichnet und beziehen Einkünfte aus dem Kirchenkasten, von der jeweiligen Gemeinde, bestimmten Grundstücken und auch von den Eltern der Schulkinder.
Zum Aufgabengebiet zählten vornehmlich kirchliche Tätigkeiten (Küster, Vorsänger, Vorbeter) sowie in der politischen Gemeinde u. a. das Amt des Gemeindeschreibers. Die "Schulmeister"-Tätigkeit stand nicht im Vordergrund und bezog sich zumeist auf das Üben und Vertiefen der Katechismusinhalte, der wichtigsten Gebete und Bibeltexte sowie der lateinischen und "teutschen" Gesänge.

Wie war es um die Ausbildung der damaligen "Schulmeister" bestellt ?
Nur wenige der dörflichen Schulmeister waren hinreichend qualifiziert und hatten die unteren bis mittleren Klassen eines Seminars hinter sich gebracht. So finden sich unter den 14 dörflichen Schulmeistern der Ämter Amöneburg und Neustadt um 1663/64 lediglich zwei, die die 3. Klasse des fünfstufigen Seminars besucht hatten und als ehemalige Syntaxisten bezeichnet werden. Der größere Teil der dörflichen Schulmeister übte dagegen bodenständige Berufe aus, war aber darüber hinaus "im teutschen Singen und Schreiben" etwas oder auch "ziemblich versiret", in "Cantu choralis" (im Chorgesang) aber größtenteils "unerfahren".
Die seit dem Jahre 1631 vorliegenden Kastenrechnungen des Dorfes melden bis 1654 lediglich einen Opfermann, der järhliche Einkünfte aus dem Opfergarten und der Opferwiese erhielt; 1636 war dies Hans Hedderich, der nur dieses Jahr genannt wird. Erst 1655 wird die Anstellung eines Schulmeisters mitgeteilt, denn die Kastenrechnung vermerkt eine Ausgabe von 10 1/2 albs. "vor bier, als der Schulmeister ist angenohmen worden"; sein Name wird allerdings nicht mitgeteilt. Aus der nachfolgenden Schulbeschreibung von 1663/64 geht hervor, dass dies Heinrich Döll war, der "...aus Embsd (gemeint ist Imst in Tirol westlich von Innsbruck) gebürdig, ein man von dreyßig acht jahren, seines handtwercks ein Schneider, im Teutschen Singen undt Schreiben etwas versiret, versiehet den daselbstigen Schueldienst nuhn 11 Jahr lang; fecit professionem fidei Catholicae (hat das katholische Treuegelöbnis abgelegt); hat zur besoldtung alß folget:..." In der Schulbeschreibung werden nun die Einkünfte des Schulmeisters bei Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen usw. aufgeführt.

Heinrich Döll, der in den Amtsrechnungen bisweilen auch als Heinrich Diel erscheint, stand dem Anzefahrer Schuldienst noch 1686 vor; er starb etwa 80-jährig am 3. Aug. 1690. Ihm folgte im gleichen Jahr dessen Sohn Siegfried Döll, der um 1662 geboren war und sich am 13. Nov. 1685 mit Margarethe Bonnfort aus Anzefahr verheiratete. Nach deren Tod am 1. Jan. 1695 heiratete er im selben Jahre Gertraud Kilber (Kölber). Er findet sich noch im Oktober des Jahres 1715 als Lehrer in Anzefahr; hier starb er am 28. März 1750. Wie lange er dem Schuldienst vorstand, ist nicht bekannt. Jedenfalls folgte ihm später sein am 2.4.1703 geborener Sohn Konrad (Curt) Döll, der schon am 4.12.1735 starb, worauf man am 22.12.1735 den aus Rüdigheim stammenden Johannes Wetzer anstellte.

In der Schulchronik finden wir folgende Eintragung von Lehrer Josef Weitzel:
"Die Blätter der bei meinem Dienstantritt vorliegenden Schulchronik sind gefüllt. Sie beginnen mit dem Jahre 1881. Drei Lehrer waren bis zu meinen Tagen hier tätig: vom 1.4.1830 bis 1.12.1886 Volpert Jüngst. Er stammte aus Anzefahr und war wohl der erste ausgebildete Lehrer des Dorfes. (2 1/2 Jahre im Seminar zu Marburg). 1.2.1887 bis 1.4.1923 Heinrich Lotz - er ging in Pension. Vom 1.4.1923 bis 17.1.1934 Joseph Höck - er ist hier gestorben und beerdigt worden." Herr Josef Weitzel war vom 1.5.1934 bis 30.9.1952 als Lehrer an der Schule in Anzefahr tätig.

Zur weiteren Entwicklung der Anzefahrer Schule lesen wir in der Schulchronik:
"In der Sitzung der Gemeindevertretung vom 20.6.1958 wurde der Entschluß gefasst eine neue Schule zu bauen. Nach langen Verhandlungen bekam die Gemeinde am 4. Juni 1964 die Genehmigung zum Bau einer dorfeigenen Grundschule. Am 1.7.1963 erfolgte der erste Spatenstich für die neue Schule. Nach dem Plan besteht die Schule aus 1 Klassenraum, 1 Jugendraum (er soll bis zum Bau einer Mittelpunktschule als 2. Klassenraum benutzt werden), 1 Lehrmittelraum, sanitären Anlagen und Heizungskeller. Wir zogen am 17.9.1965 in die neue Schule ein. Da die Anlage der Gebäudeumgebung noch nicht fertig war, wurde die Einweihung verschoben. Sie fand am 4.12.1965 statt."

Einige Seiten später erfahren wir folgendes aus der Schulchronik:
"Durch Beschluß des Kreistages vom 16.7.1971 wurden ab dem 1.8.1971 in Anzefahr nur noch die Schuljahre 1-4 unterrichtet. Der Kreisausschuss beschloss ab dem 1.8.1972 die 3. Schuljahre aus den Stadtteilen Niederwald und Anzefahr in der Grundschule Niederwald, die 4. Schuljahre aus beiden Stadtteilen in der Grundschule Anzefahr zu unterrichten. Die 1. und 2. Schuljahre verbleiben am jeweiligen Ort und werden zu einer Kombinationsklasse zusammgefaßt."

Soweit die Auszüge aus der Anzefahrer Schulchronik.

Wie wir aus den Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert sehen, steckt in dem Gedicht von Samuel Friedrich Sauter "Das arme Dorfschulmeisterlein" doch einiges an Wahrheit. Es heißt hier u.a.: " Am Sonntag ist er Organist, am Montag fährt er seinen Mist, am Dienstag hütet er die Schwein ..." usw. usw. Übrigens Samuel Friedrich Sauter (1766-1846) war ebenfalls Dorfschullehrer.

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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