Die erschreckende Realität der Wohnungslosen
Ein Beispielbericht, der auch auf Deutschland passt.

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Ich finde diesen rnd-HAZ-Beitrag so interessant, dass ich ihn hier veröffentliche.

Gesendet: Mittwoch, 12. Juli 2023 um 20:02 Uhr
Von: "HAZ | What's up America?"
An: Francis Bee

Liebe Leserinnen und Leser,
dass ein Politiker schlecht über die eigene Arbeit spricht, ist selten, und so gut wie nie tut er das in einem Interview mit jemandem aus dem gegnerischen politischen Lager. Trotzdem saß Gavin Newsom, Gouverneur von Kalifornien, kürzlich bei Sean Hannity und sagte: „Das ist eine Schande. Schändlich! Das ist unsere Schuld, ich bin nicht hier, das zu verteidigen.“

Der 55-Jährige, der durchaus das Ego zum Präsidenten hätte, meinte den Umgang mit Wohnungslosen in Kalifornien.
Es ist kaum zu glauben, dass im superreichen Techmekka San Francisco oder in der Innenstadt der Glitzermetropole Los Angeles Zehntausende Menschen auf der Straße übernachten – und doch leben rund 30 Prozent aller Wohnungslosen in den USA in Kalifornien.
Das Problem schwelt aber seit Jahren auch in vielen anderen Teilen des Landes. Und von dort sage ich aus New York City:
Herzlich Willkommen zur neuen Ausgabe von „What‘s up, America?“!
Einfache Lösungen für die Wohnungskrise gibt es keine. Es steht ohne Zweifel, dass es besonders in Großstädten zu wenig erschwinglichen Wohnraum gibt, und Newsom hat auch recht, wenn er sagt, dass zu viele Nachbarschaftsinitiativen gegen Neubauten und günstige Apartments kämpfen.
Fest steht aber auch, dass die Politik kaum Antworten auf die Krise findet und dass auslaufende Pandemiehilfen in diesen Wochen die Probleme noch zusätzlich verstärken werden.

Neu ist aber, dass es jetzt immerhin verlässliche Daten gibt, denn vor wenigen Tagen wurde zum ersten Mal seit fast 30 Jahren eine große neue Erhebung zur Lage der Wohnungslosen veröffentlicht.
Die „California Statewide Study of People Experiencing Homelessness“ (CASPEH) haben 3200 Menschen in dem Bundesstaat beantwortet. 365 lange Gespräche flossen ebenfalls in die Analyse der Wissenschaftler ein.
Eine Pionierstudie mit mehr als 3200 Befragten bringt bedrückende Ergebnisse
Die Selbstauskünfte der Wohnungslosen zeichnen ein erschreckendes Bild vom Leben auf der Straße, „Vox“ zitiert einige wichtige Zahlen: Ein Viertel der Befragten gibt an, nicht ausreichend medizinisch versorgt zu sein, die Hälfte beschreibt ihren eigenen Gesundheitszustand nur als „ausreichend“ oder gar als „schlecht“. Ebenfalls die Hälfte bekennt sich zu Depressionen oder Angstzuständen. Etwa ein Drittel war laut eigenen Angaben in ihrer aktuellen Wohnungslosigkeit schon einmal für mindestens eine Nacht im Gefängnis. Und 62 Prozent sagten, schon einmal in ihrem Leben eine Phase mit hohem Alkoholkonsum gehabt zu haben, schreibt zudem das „Time Magazine“.
Besonders schockiert hat die Wissenschaftler auch eine Zahl zu den Frauen im gebärfähigen Alter: Rund 26 Prozent von ihnen sagten, sie seien in ihrer derzeitigen Wohnungslosigkeitsphase schwanger gewesen, 8 Prozent waren es laut eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Befragung.

Die Betroffenen fühlen sich allein gelassen

In der weit überwiegenden Zahl der Fälle sind diese Lebensumstände nicht freiwillig gewählt, denn fast alle Befragten wünschten sich eine feste Wohnung. Weniger als die Hälfte hat dafür aber eine Unterstützung von offizieller Seite erhalten.

Das liegt neben fehlenden Angeboten oft auch an einem Zeitproblem, denn die Kulanzfristen bis zur Zwangsräumung sind oft erschreckend kurz. Wer wohnungslos wird, bekommt zwar häufig über Monate Mitteilungen zu Zahlungsrückständen, doch am Ende geht es vergleichsweise schnell. Diejenigen mit ordnungsgemäßem Mietvertrag vor der Wohnungslosigkeit sagten durchschnittlich, dass zwischen Mitteilung über die Räumung und ihrem Rauswurf nur zehn Tage lagen.
Die allermeisten CASPEH-Befragten glauben zudem, dass ihnen bereits vergleichsweise wenig Geld geholfen hätte. Sie sagten, dass einige Monate Mietzuschuss zwischen 300 Dollar und 500 Dollar oder Einmalzahlungen von 5000 Dollar genügt hätten, um die Wohnungslosigkeit zu vermeiden – in den Innenstädten von New York oder Los Angeles entspricht das gerade einmal der Monatsmiete für eine Zweizimmerwohnung.

Experten fordern deutlich mehr Geld vom Staat

Zugegeben: Solche mutmaßlichen „Freifahrten“ widersprechen dem in den USA stark verbreiteten Gedanken der Eigenverantwortung, und Millionen Wählerinnen und Wähler lehnen zusätzliche Sozialhilfen aus Angst vor ungerechtfertigten Beziehern ab. Die Forscher betonen aber, wie gut dieses präventiv ausgegebene Geld investiert wäre. Wenn eine Person erst einmal ihre Wohnung verloren hat, wird es deutlich teurer. Allein Los Angeles hat 2022 für die kommenden fünf Jahre insgesamt 3 Milliarden US-Dollar für die Wohnungslosen im Stadtbudget veranschlagt, schreibt „NBC News“.
Die Wissenschaftler fordern aber auch mehr Hilfen aus Washington und von den Bundesstaaten für akut Betroffene und das Vermeiden von Räumungen, beispielsweise in Form von Rechtsberatung, Finanzierung von Häusern für Opfer häuslicher Gewalt oder für die Gesundheitsversorgung ärmerer Menschen.

Viele Bundesstaaten diskutieren über den Umgang mit Wohnungslosen

Kalifornien ist dabei nicht der einzige Bundesstaat, der über bessere Wege im Umgang mit Wohnungslosen diskutiert, doch die Probleme unterscheiden sich von Staat zu Staat. In Kalifornien leben besonders viele Leute auf der Straße, die plötzlich aus ihrer Wohnung geworfen wurden, in Vermont im Nordosten gibt es laut „Washington Post“ viele Menschen, die akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind, weil bald Covid-Hilfen auslaufen. Der Staat hatte Hotelzimmer zur Unterbringung bezahlt und so vielen Menschen eine Zuflucht bieten können, doch diese Unterstützung läuft nun aus.

Auch der Bundesstaat New York und die Millionenmetropole New York City kämpfen mit zu wenig Wohnraum für zu viele Bedürftige, kürzlich wurde die Grenze von 100.000 Wohnungslosen überschritten. Unter ihnen sind Zehntausende, die seit Anfang des Jahres im Süden des Landes über die Grenze gekommen sind und von Politikern dort in Busse Richtung Norden gesetzt wurden.
Diese Geflüchteten kommen häufiger mit ihren Familien und brauchen außerdem häufiger Hilfe auf dem Arbeitsmarkt oder für die Schule ihrer Kinder, während sie sich durch die komplizierten und teils Jahre dauernden Asylverfahren der USA kämpfen, für New York gut erklärt bei der „Times Union“.
Auf absehbare Zeit wird sich diese Lage kaum ändern, gerade erst hat New Yorks Bürgermeister Eric Adams die von seinem Stadtparlament beschlossene Ausweitung des Berechtigtenkreises für städtische Wohnungen mit einem Veto blockiert. Er fand, dass diese Entscheidung die Befugnisse des Stadtrats überschritten habe – das jüngste Zeichen für politisches Geschachere mit dem Schicksal vieler Menschen.

Text: Christian Fahrenbach
Fotos:
Fotocollage rnd / HAZ
 Ein Obdachloser geht mit einer dicken Decke über die Straße in Los Angeles.
© Quelle: Jae C. Hong/AP/dpa
Ein Obdachlosenlager steht an der Beaudry Avenue in der Innenstadt von Los Angeles (Archivbild).
Menschen erhalten in einem Restaurant in Kansas kostenlose Mahlzeiten (Archivbild). © Quelle: Mark J. Terrill/AP/dpa  © Quelle: Charlie Riedel/AP/dpa
und 1 Foto von mir: Aufnahme vor dem KAUFHOF in der Bahnhofstraße im Dezember 2022 © Francis Bee

Mein Text an
Sehr geehrter Herr Fahrenbach,
Sehr geehrtes HAZ-Redakteur-Team,

der Bericht wundert mich schon, denn wir haben selbst genug Obdachlose, die laut Grundgesetz ein Recht auf ein Dach über den Kopf hätten, was in der Verfassung der USA nicht unbedingt in der Art zu finden sein dürfte.
Es ist eine Schande, wie unsere Regierung/en - und zwar die vergangenen politischen Parteien ohne Ausnahme - nicht in der Lage waren und sind unseren Obdachlosen im eigenen Land endlich eine Unterkunft zu zugestehen und weitere Wohnungsräumungen und behördlich gemachte Obdachlosigkeit per Gesetz zu verhindern.
Selbst Asylanten, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten (UkrainerInnen ausgenommen) finden dieses Vorgehen merkwürdig und fragen: "Wieso bekomme ich eine Wohnung oder ein Zimmer auf Staatskosten, wenn es so viele Obdachlose gibt?"
Tatsächlich geschehen in einer Unterkunft für Flüchtlinge aus Syrien in Hannover-Süd.

Per Gesetz steht jedem Bundesbürger die Grundsicherung zu. Ist aber jemand obdachlos und hat keine feste Adresse mehr, verfällt die Zahlung. Ist das der Grund, warum Obdachlose derart mies behandelt werden?
Es werden immer mehr und es kommen ganze Familien in diese Situation und damit sind wir beim Kinderschutz gelandet. Familien erhalten neben der Grundsicherung, Wohngeld und Kindergeld. Klar ist das knapp, aber das darf nicht zur Wohnungskündigung führen. Da muss gesetzlich nachgebessert werden. Immer mehr Familien oder Alleinerziehende werden gepfändet und werden obdachlos. Damit sind auch Kinder immer häufiger obdachlos.
Vermietern, die die Lage ihrer finanziell benachteiligten MieterInnen ausnutzen, müssen endlich per Gesetz zur Kasse gebeten werden. Nutzt das nicht, sollten diese Familien in keinem Fall auf der Straße landen.

Also mich wundert es, dass ein Journalist erst in die USA fliegt, um über Obdachlose zu berichten.

Ich war 1992 in New York und 1993 in San Francisco und habe in beiden Städten Obdachlose getroffen und auch gesprochen.
Die Obdachlosen in New York waren durchweg nett, die im warmen Kalifornien eher das Gegenteil. Sicher nicht die Regel, aber meine Familie, bei der ich in Richmond / Berkeley wohnte, erklärte, dass das am Klima läge. In Kalifornien leiden die Obdachlosen nicht so sehr, in New York erfrieren sie im Winter reihenweise und sind daher schon anders drauf. Konnte ich nicht überprüfen.
Die Bestätigung, dass sich seit den 90er Jahren auch in den USA nichts geändert hat, zeigt mir daher Ihr Bericht mehr als deutlich.

Das Thema ist bedrückend, aber es sind erneut in jüngster Zeit Kinder (natürlich meist mit ihren Eltern oder einem Elternteil zusammen) obdachlos geworden.
Das Amt hat pfänden lassen, geblieben ist den Menschen nur das, was sie tragen konnten.
Die Rückkehr in ein normales Leben, für die Kinder in ein lebenwürdiges Umfeld, ist versperrt und die wenigsten schaffen den Sprung zurück in die Normalheit.
Wir haben in den letzten Wochen immer mal wieder das Thema Kinderarmut gehört ... und das etwas dagegen getan werde.
Gut, wenn damit die Verhinderung der Obdachlosigkeit einherginge.
Ich wünschte, es möge so kommen.

Mich macht das gegenwärtige Obdachlosenthema traurig - auch im Hinblick darauf, dass es mir hätte jeden Augenblick ebenso gehen konnte.
Es muss schnellstens ein Gesetz her, dass die Pfändung mit dem Wohnungsverlust einhergeht. Es darf niemand mehr in die Obdachlosigkeit entlassen werden!

... von der gerade-nochmal-davon-gekommenen Francis.

Bürgerreporter:in:

Francis Bee aus Hannover-Südstadt

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