Fritz Ahrberg – ein Schneidersohn wird „Wurstkönig“
In Herrschaftshäusern ist in der Regel ja schon frühzeitig klar, wer einmal König werden soll. Sehr viel schwerer war es für den Schlachtergesellen aus Egestorf/Deister, der 1896 in Linden-Süd, Deisterstraße 63, sein erstes Fleischerei-Fachgeschäft eröffnete und ein Jahr später seinen Meister baute, dieses Privileg zu erlangen. Erst einmal musste er den Platzhirsch Emil Vollrath vertreiben, der 1905 in Hannover doppelt so viele Filialen hatte und noch 1912 mit: „Emil Vollrath, Hannover – Erste hannoversche Wurst-, Aufschnittwaren- und Fleischkonservenfabrik, bedeutendstes Platz- und Versandgeschäft“, Calenberger Straße 36 (später noch Asternstraße 2-4) warb. 1914 gab es einen Inhaberwechsel. Kaufmann Max Vollrath übernahm die Betriebsführung. Danach, auch bedingt durch Kriegseinflüsse, ging es mit der Fabrik stetig bergab. Die Insolvenz war unvermeidlich.
Nach dem 1. Weltkrieg gab es für Fritz Ahrberg nur noch einen Konkurrenten, den er ernst nehmen musste. Johann Weishäupl, ein ehemaliger Vollrath-Mitarbeiter, machte sich bereits 1912 selbstständig und betrieb einen ähnlich agressiven Expansionskurs wie Ahrberg.
Doch wie schaffte es Fritz Ahrberg dennoch, Hannovers "Wurstkönig" zu werden? Einer kann darüber Auskunft geben. Es ist der 85-jährige Lindener Butjer Horst Deuker. Er stellte am 27. Mai 2016 im AWO-Tagungszentrum am Deisterplatz sein neues Buch „Fritz Ahrberg Fabrikant-Mäzen-Förderer“ vor. Herausgeber der Publikation ist Quartier e. V. unter besonderer Mitwirkung von Jonny Peter.
Zu der Buchvorstellung kamen knapp 90 Teilnehmer, eine stattliche Anzahl. Quartier-Chef Jonny Peter hieß die Gäste willkommen und übergab dann den „Redestab“ an Horst Deuker, der das Quartier rings um Ahrberg sehr gut kennt, hatten doch seine Eltern in unmittelbarer Nähe der Wurstfabrik ein Blumengeschäft. Dieser Laden, den Deuker 1955 von seinen Eltern übernahm und bis 1972 weiter führte, lag strategisch sehr günstig. Hanomag und Ahrberg direkt vor der Ladentür, da war der Erfolg vorprogrammiert. Autor Deuker gibt eine Anekdote zum Besten: „Eines Tages kam der Betriebsleiter Fritz Ahrberg jr. In unser Geschäft. Er ging gleich durch den Verkaufsraum in den Arbeitsraum, setzte sich auf den Bindetisch und orderte einen Blumenstrauß, den meine Mutter Josefine, von den Kunden liebevoll 'Fienchen' genannt, auch sofort fertigte“.
Breiten Raum widmet Deuker dem Firmengründer Fritz Ahrberg (*18.5.1866 ϯ1.4.1959) und seinen geschäftlichen und privaten Aktivitäten, ein Auszug:
> Ausbau der Fabrik, laut Eigenwerbung zur bedeutendsten Wurst-, Aufschnittwaren- und Fleischkonservenfabrik Deutschlands.
> Optimierung des Versandgeschäfts und Erschließung neuer Filialen. Nach dem 1. Weltkrieg und 2. Weltkrieg größtes Filialnetz für Fleischprodukte in Hannover
> 1920 wird die Premium-Marke „Bouillonwurst“ vorgestellt und danach intensiv vermarktet.
> Präsenz bei Schützenfesten und Sportveranstaltungen.
Und privat? Fritz Ahrberg sen. war sehr sozial eingestellt und förderte viele Projekte, so Deuker. Er nennt:
> Unterstützung der Lindener Vereine.
> Zions- bzw. Erlösergemeinde: Geldspende zum Erwerb neuer Kirchenglocken, die während des 2. Weltkrieges eingeschmolzen wurden.
> Spenden an seine Heimatgemeinde Egestorf für neue Kirchenglocken, Bau einer Halle, die man nach dem Sponsor benennt und finanzielle Hilfe bei der Neugestaltung des Friedhofs.
Auch auf die Themen Zwangsarbeit und Entnazifizierung geht Horst Deuker ein: Ja, auch bei Ahrberg gab es während des Krieges die Beschäftigung von ausländischen Zwangsarbeitern. Es galt Lücken zu schließen, die durch den Kriegseinsatz deutscher Facharbeiter entstanden waren. Genannt werden 146-150 Zwangsarbeiter, die man zwischen 1939-1945 rekrutierte.
Entnazifizierung: Wurde Familie Ahrberg belastet bzw. entlastet? Die britische Militärregierung befand, so Deuker, dass Fritz sen. und Fritz jun. Ahrberg nach Zeugenaussagen Mitläufer gewesen seien und somit keine Repressalien zu befürchten hätten.
Fritz Ahrberg wird schnell wieder aktiv, lässt Kriegsschäden beseitigen und baut mit seinen Brüdern August und Heinrich die Fabrik weiter aus, ordnet Versandgeschäft und Filialen neu.
1959 stirbt der Firmengründer Fritz Ahrberg, der sich bis zuletzt um die Geschicke seiner Firma gekümmert hatte. Neffe Fritz Ahrberg jun. übernimmt die Verantwortung.
Im Jahr 1992 ändern sich die Besitzverhältnisse erneut. Ahrberg wird an die Fleischfabrik Hans Höll verkauft. Der Firmenname bleibt jedoch erhalten.
1997 erwirbt die Landschlachterei Gramann die Markenrechte und führt die Filialen unter "Ahrberg" weiter. So bleibt der alte Markenname sehr zur Freude der traditionsbewussten Hannoveraner erhalten. Produktionsstandort wird Pattensen.
Nach gut einer Stunde beendete Horst Deuker seinen Vortrag. Lang anhaltender Beifall war ihm sicher.
Ein weiterer Höhepunkt wartete aber noch: Die Landschlachterei Gramann spendierte Original-Ahrberg-Bouillonwürstchen.
Wer das Buch kaufen möchte: es kostet nur 20 Euro und ist bei Quartier e. V. http://www.quartier-ev.de/ und/oder nach Absprache beim Autor zu beziehen.
Bürgerreporter:in:Bernd Sperlich aus Hannover-Bothfeld |
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