Siegertexte im Schreibwettbewerb: Nur ein kleines Unwetterchen (von Paulina Sophie Westing)
Beim Schreibwettbewerb des Kunstkreises Laatzen zusammen mit dem Calenberger Autorenkreis hat Paulina Sophie Westing (14) aus Hannover mit diesem Text in der Altersklasse "Klasse 9 bis 13" den zweiten Preis gewonnen:
Nur ein kleines Unwetterchen
Thema: Fukushima und andere Katastrophen
Die Luft stand still, an diesem 25. August 2005. Es war morgens, acht Uhr in der Früh, und doch schon über 20° Celsius in diesem abgelegenen Haus, zehn Kilometer entfernt vom nächsten Ort.
Meggie merkte schon früh, dass es ein sehr heißer Tag werden würde, stickig. Sie war aufgeregt. Heute würde endlich wieder der Milchmann vorbeikommen, um ihr den neusten Klatsch und Tratsch aus dem Dorf mitzubringen. Meggie kam zwar nicht mehr richtig mit, seitdem sie dort nicht mehr zur Schule ging, aber ein wenig Aufregung konnte nicht schaden, wenn man alleine mit seiner Oma in der Natur Amerikas lebte.
Um Punkt halb neun klopfte es an ihrem Wohnwagen. Ihre Oma schnarchte noch, also schlich Meggie leise an die Tür, öffnete sie und schloss sie wieder. Leider knartschte die Tür, so dass ihre Oma sich umdrehte und ein verärgertes Schnarchen von sich gab. "Sorry Oma!", flüsterte Maggie und ging schnell nach draußen. "Hey Jonny! Was gibts Neues in town?"
"Meggie, ihr müsst Euch sofort in Sicherheit bringen! Ihr habt nicht mehr viel Zeit und ich auch nicht! In wenigen Stunden kommt ein riesiger Hurrikan hier lang. Es tut mir leid dass ich nicht früher da war, aber es ging nicht. Meine Frau und meine Kinder habe ich schon in Sicherheit gebracht, unser Flugzeug fliegt gleich. Ich muss wieder weg, aber Meggie, bringt Euch in Sicherheit!"
Meggies Augen wurden groß und ihre Kinnlade klappte nach unten. "Wir... Hurrikan? Sicherheit? Jonny wie soll ich das machen? Wir haben einen Wohnwagen- aber kein Auto. Wir haben keinen Führerschein- weder Oma noch ich. Erinnerst Du Dich noch wie Du unseren Wohnwagen damals hier hingeschleppt hast? Was sollen wir machen? Wie sollen wir das schaffen? Wie, Jonnny?"
"Ich weiß es nicht, Meggie. Geht in die Stadt, kommt jetzt und ich nehme Euch mit. Weck Agnes auf, sie soll sich beeilen."
Schnell rannte das Mädchen rein um ihre Oma aufzuwecken. "Oma schnell! Ein Hurrikan kommt, beeil Dich! Wir haben nicht mehr viel Zeit."
Agnes schnellte hoch und sie brauchte keine fünf Sekunden, um ihre Fassung wiederzugewinnen. "Wir bleiben hier. Kein Sturm der Welt bringt mich von hier weg, hier bin ich geboren und hier werde ich sterben. Meine Mutter, Meggie, hat auch überlebt. Vor vielen Jahren war schon mal solch ein Unwetter und wir haben alle überlebt. Ohne sichtbare Folgen, schau mich an!"
Jonny war hereingekommen. Verschwitzt schaute er sich um, Klamotten lagen ordentlich zusammengefaltet in den wenigen Regalen des Wohnwagens. "Agnes! Hör mir zu, Du schaffst das nicht! Du bist nicht mehr so jung wie früher und dieser Hurrikan ist kein normaler Hurrikan! Es soll einer der schwersten in der Geschichte Amerikas werden, das überlebt ihr nie! Denk an Meggie! Ihre Eltern hätten es nicht gewollt."
"Erwähn nicht Lilly und Tom. Ich habe das Sorgerecht für Meggie und ich entscheide, was sie macht und wo sie hingeht. Noch ist sie nicht 18, nicht volljährig."
"Agnes, Du setzt Euer Leben aufs Spiel! Lass doch wenigstens Meggie mit mir mitkommen!"
"Meggie bleibt hier. Und jetzt geh und verlass meinen Wohnwagen, Du bringst Schande über uns. Geh und bring Dich in Sicherheit vor dem großen Sturm, haha!"
Jonny schüttelte den Kopf, drehte sich um und sagte: "Du machst einen Fehler Agnes. Einen riesengroßen Fehler..." Mit diesen Worten verließ Jonny den Wagen ohne sich noch einmal umzudrehen.
"Oma und du meinst, das war die richtige Entscheidung?"
"Glaub mir, mein Kind, das war sicherlich die richtige Entscheidung. Ich geh wieder schlafen."
Meggie konnte es nicht fassen. Ihre Oma ging einfach wieder ins Bett? Geschockt verließ sie den Wohnwagen. Mittlerweile war es fast halb elf, und schon ziemlich warm: Das Thermometer war bis auf 25, 5° Celsius hochgeklettert und Meggie fing an zu schwitzen. Stirnrunzelnd sah sie hinauf zum Himmel. Strahlend blauer Himmel wölbte sich wie eine Käseglocke über ihr. Um sie rum war nichts außer ein paar Pflanzen und Stille. Ausnahmslose Stille. Nichts von einem Sturm oder gar Hurrikan zu sehen. Noch nicht?
Eine halbe Stunde später merkte Meggie, wie es windig wurde. Ein paar Wolken durchstrichen den Himmel und die Pflanzen wogen sich im Wind. Beunruhigt schaute das Mädchen sich um, doch nicht viel hatte sich verändert. Es war noch wärmer geworden, 28° Celsius. Die Luft war ziemlich stickig, unangenehm schwül.
Eine Viertelstunde später war es noch windiger und heißer geworden, 30° Celsius waren es mittlerweile. Meggie war kurz davor, ihre Oma wieder aufzuwecken, doch sie ahnte, dass das nur wieder Streit geben würde. Also setzte sie sich in den Schatten des Wohnwagens.
Um 11:30 Uhr wurde es noch windiger, aber trotzdem heißer, auch wenn es Meggie aufgrund des Windes nicht so vorkam. Sie ging rein, um sich eine Jacke zu holen, die sie dann auch gleich anzog. Dann ging sie wieder nach draußen, um dem Sturm weiterzuzugucken. Ihre Oma schlief noch immer, was Meggie wunderte. Sonst schlief Agnes immer nur bis halb elf, wenn überhaupt.
Der Wind wurde immer stärker und kurz darauf setzte ein heftiger Regen ein.
"Wow! Es hat noch nie so stark geregnet wie jetzt! Naja. Es wird schon nichts passieren. Notfalls kann ich ja auch einfach in den Wohnwagen gehen." Sie versuchte sich Mut zuzusprechen, obwohl sie wusste, dass der Wohnwagen in einer Notsituation auf keinen Fall sicher wäre. Es regnete so heftig, dass Meggie bald einsehen musste, dass es am besten wäre, reinzugehen. Als sie den warmen Wohnwagen betrat, wurde ihr bewusst, wie kalt es draußen gewesen sein musste. Zitternd holte sie sich ihre Bettdecke und setzte sich an das Fenster. Pflanzen wurden von der Kraft des Sturmes hin- und hergerissen. Wenn sie doch nur wüsste, woher sie erfahren könnte, wie stark der Hurrikan werden sollte! Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie Jonny vorhin nicht gefragt hatte.
Große Pfützen hatten sich bereits auf dem Boden ausgebreitet, das Gras schien zu schwimmen. Der Wind pfiff um den Wohnwagen und er schien hin- und her zuwanken. Meggie entschloss, doch ihrer Oma Bescheid zu sagen, denn sie bekam es langsam aber sicher mit der Angst zu tun.
„Oma? Wach auf! Der Sturm wird immer stärker! Wir müssen irgendwas machen! Wach auf!“
Ihre Oma brummte mal wieder, rieb sich die Augen und stand auf. Dann ging sie zum Fenster und ihre Augen wurden groß. „Oh mein Gott! Ich dachte das sei ein kleines Unwetterchen, aber das… so… Wir, warum, warum haben wir Jonny nicht gesagt er solle uns mitnehmen? Naja, wir werden schon nicht sterben, glaub mir mein Kind.“
Meggie wurde noch unruhiger. Ihre Oma hatte sonst nie Angst! Vor nichts und niemandem. Und jetzt? Jetzt auf einmal?
Meggie schaute nochmal aus dem Fenster. Alles stürmte und stand schon unter Wasser. Der Wohnwagen wackelte und schien zu schwimmen.
„Ich hab Angst Oma!“, rief das Mädchen laut, als plötzlich die Tür aufging. Ein heftiger Windstoß kam und Agnes und Maggie wurden an die Wand geschleudert. Meggie hörte, wie ihre Oma schrie, ein lauter, qualvoller Schrei, dann sah sie, wie Agnes sich aufrappelte und merkte, wie ihre Oma sie packte. Blut tropfte aus der Stirn von Agnes und sie zitterte. Doch ihre Augen strahlten Kampfgeist aus. Meggie wusste, sie würde nicht leicht aufgeben.
Agnes und Meggie rannten auf das Bett zu und warfen sich unter die Decke, doch schnell merkten sie, dass das nicht brachte, denn die Bettdecke wurde weggeschleudert.
„Was sollen wir machen?“, rief Meggie verzweifelt.
„Wir gehen raus!“
„Raus? Wir werden sterben!“ Doch ihre Oma hörte nicht. Sie griff wieder nach Meggies Handgelenk und zerrte sie nach draußen. Die beiden rannten unter einen Baum, der allerdings ziemlich weit entfernt war.
„Schneller Meggie, beeil Dich!“, rief Agnes verzweifelt.
„Oma, ich kann nicht mehr!“
„Lauf weiter, Du schaffst das, ich weiß es!“
„Ich kann nicht.“ Doch trotzdem rappelte Meggie sich noch einmal auf. Sie und Agnes wurden immer wieder hin- und her geschleudert, oft fielen sie hin.
Endlich kamen sie an. Meggie wollte sich ihren Schweiß abwischen, als sie merkte, dass sie blutete. Ihre Hand war dunkelrot und nass. Ihr wurde übel und sie wendete sich ab. Auch Agnes war nicht ohne Wunden geblieben: Ihr Bein blutete stark und sie hatte eine Klaffwunde am Arm.
„Komm her!“, schrie ihre Oma gegen den Wind an. Meggie versuchte, näher an sie heranzukommen und nach einigen Versuchen klappte es auch. Die beiden wendeten sich wieder ihrem Wohnwagen zu und da geschah etwas Unglaubliches: Meggie sah, wie ihr Wohnwagen sich in die Luft erhob, sie sah wie ihr liebstes Kuscheltier aus dem Auto herauskamen, ihre Bettdecke und ihre Klamotten. Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen und sie drehte sich um, um nach ihrer Oma zu sehen. Doch die war nicht mehr da.
„Oma? Oma wo bist Du? Oma!“, brüllte sie und schaute sich verzweifelt um. Doch die war nirgendwo zu sehen. Am Boden zerstört richtete sie sich auf, mit allen Kräften versucht, gegen den heftigen Wind und den Regen anzukommen. Sie schleppte sich vom Baum weg.
Sie wusste nicht wieso, doch wie von einer unsichtbaren Macht gezwungen, drehte sie sich um. Im gleichen Moment duckte sie sich instinktiv und sie sah wie in Trance, in Zeitlupe, wie es unglaublich hell wurde um sie rum. Der Baum fing an zu schwanken, dann krachte es laut und sagenhaft langsam, so schien es, kam er immer näher, immer näher. Meggie hörte noch ihren eigenen Schrei, das Geräusch des auf den Boden aufprallenden Baums und dann wurde ihr schwarz vor Augen. Sie merkte nichts mehr, doch dann wurde sie glücklich. Eine tiefe Stille und Ruhe kehrte in ihr ein. Sie sah alles das, was in ihrem Leben passierte; sie bei ihrer Einschulung, wie sie ihren ersten Kuss bekam, wie ihr Opa stirbt, wie sie ihre erste sechs schreibt. Sie sieht sich wie sie lacht, weint und sich verkleidet. Sie sieht sich bei der Beerdigung. Zum Schluss sieht sie ihre Eltern, ihre Schwester. Sie alle stehen vor dem Wohnwagen und lachen. Sie ist nicht da, hat das Foto schließlich geschossen. Dann wird alles schwarz und ihr Herz schlägt immer langsamer…
Von Paulina Sophie Westing
Bürgerreporter:in:Robin Jantos aus Hannover-Mitte |
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