Fotorecht: Pressefotos bei Polizeieinsätzen

In der einen hand die Kamera, in der anderen das Gesetzbuch: Fotografen müssen sich auch im Paragraphen-Dschungel auskennen.
  • In der einen hand die Kamera, in der anderen das Gesetzbuch: Fotografen müssen sich auch im Paragraphen-Dschungel auskennen.
  • hochgeladen von Jens Schade

Wir myheimat-User verstehen uns ja als Bürgerreporter, sind als Hobby-Journalisten oft mit dem Fotoapparat unterwegs. Manchmal wollen wir auch über „Blaulicht“-Themen berichten. Da stellt sich die Frage, können Polizeibeamte sich eigentlich dagegen wehren, bei ihren Einsätzen von Journalisten abgelichtet zu werden? Ich bin jetzt auf ein etwas älteres Urteil von Ende 2008 gestoßen, indem sich die Richter des Verwaltungsgerichts (VG) Stuttgart mit dieser Frage beschäftigen mussten.

Der zu Grunde liegende Sachverhalt zählt zu den etwas ungewöhnlicheren Fällen. Es geht um keinen Verkehrsunfall und um keine Demonstration. Ein Gefangener - Mitglied einer in Deutschland ihren dunklen Geschäften nachgehenden russischen Mafiagruppe - musste aus einer baden-württembergischen Justizvollzugsanstalt einem Arzt vorgeführt werden. Da die Justiz einen Befreiungsversuch durch Kumpane des Gefangenen befürchtete, geschah dies unter strenger Polizeibewachung. Auch vor der Arztpraxis wartete Polizisten des SEK in Zivil in einem normalen Auto, ihre Waffen notdürftig unter Mänteln und Jacken verborgen. Doch die Maschinenpistolen lugten unter dem Stoff hervor und fielen zwei Journalisten auf, die gleich eine Story witterten und die Kamera zückten. Der Einsatzleiter der Polizei verbat sich jede Aufnahme und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung die Beschlagnahme der Kameras an. Die beiden Reporter gaben zunächst klein bei, klagten aber später vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Stuttgart auf die Feststellung, dass der Polizeibeamte rechtswidrig gehandelt habe und er ihnen das Fotografieren nicht hätte verbieten dürfen.

Um es vorweg zu nehmen. Die Verwaltungsrichter wiesen diese Klage mit Urteil vom 18.12.2008 (Aktenzeichen 1 K 5415/07) ab und gaben der Polizei Recht. Rechtsgrundlage für das Verbot der Polizei soll die - in jedem Bundesland mehr oder weniger ähnlich formulierte - polizeiliche Generalklausel in den Gefahrenabwehrgesetzen sein, die der Polizei gestattet, zur Erfüllung ihrer Aufgaben „Maßnahmen zu treffen“. So hat nach des baden-württembergischem Polizeigesetzes die Polizei unter anderem die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, d. h. vor allem die vorbeugende Verhütung von Straftaten. Das VG Stuttgart: „Unter polizeilicher Gefahr ist eine solche Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen würde. Maßgebend für die Beurteilung eines Lebenssachverhalts im Hinblick auf die Prognose einer bevorstehenden Gefahr sind die im Zeitpunkt der Entscheidung des Polizeibeamten zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel. Es kommt darauf an, ob die Einschätzung der Lage durch den handelnden Beamten damals – ex ante gesehen – objektiv gerechtfertigt erscheint.“ Dies bejahten die Juristen des Verwaltungsgerichts in dem vorliegenden Fall. Im Urteil heißt es weiter: „Der Beamte ist zum Schutz der Individualrechtsgüter Leben und Gesundheit der am Einsatz beteiligten Polizeibeamten sowie des Angeklagten tätig geworden. Er durfte nach seinem polizeilichen Erkenntnisstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung davon ausgehen, dass in dem Zeitpunkt, als zwei Personen auf ihn zugingen, sich durch Presseausweise auswiesen und die Herstellung von Fotografien mit Nachdruck forderten, die konkrete Gefahr eines Anschlags auf den Angeklagten oder dessen gewalttätige Befreiung durch die russische Mafia am wahrscheinlichsten gewesen war und durch die direkte Anwesenheit der Pressevertreter im Gefahrenbereich und Anfertigung von Fotografien durch diese die Durchführung solcher Aktionen begünstigt würde, mit der Folge, dass die Gefahr für Leben und Gesundheit der am Einsatz beteiligten Polizeibeamten, des Angeklagten, der Pressevertreter und auch Schaulustiger erheblich gestiegen wäre.“

Das Verwaltungsgericht sah aber noch weitere Gefahren: „Der Beamte konnte auch davon ausgehen, dass bereits durch die Anfertigung von Fotografien die Funktionsfähigkeit der Polizei, hier des SEK Baden-Württemberg, konkret gefährdet wird. Der befürchtete Schaden lag darin, dass bereits mittels der angefertigten Fotografien vorliegend konkret zu befürchten war, dass die zur russischen Mafia gehörende Organisation eine Enttarnung der Beamten des SEK BW veranlasst, um gegen diese vorzugehen mit der Folge, dass hierdurch die besonders schwierige und umfangreiche Aufgabenerfüllung des SEK beeinträchtigt wird.“

Soweit könnte man die Entscheidung noch als einen speziellen Einzelfall abtun. Denn wann geraten wir myheimat-Bürgerreporter schon einmal in einer Aktion eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei im Kampf gegen die russische Mafia? Die Stuttgarter Richter machten aber auch Ausführungen, die auf viele andere Polizeieinsätze ebenfalls passen und deshalb für Journalisten aller Art durchaus von Interesse sind. „Der Beamte ist weiter zu Recht auch zum Schutz der Rechte der mutmaßlich abgebildeten Beamten am eigenen Bild tätig geworden, denn auf Grund der konkreten Umstände hätte die Anfertigung und Veröffentlichung von Lichtbildern gegen §§ 22, 23, 33 KunstUrhG (das ist die juristische Abkürzung für Kunsturhebergesetz) verstoßen“, heißt es in dem Urteil weiter.

Zwar, so betonen die Richter und auf diese Passage im Urteil soll auch hier ausdrücklich hingewiesen werden, „ist das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze grundsätzlich zulässig … und stellt das ungehinderte Fotografieren einen Teil der im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG … gewährten Pressefreiheit dar.“ Doch diesem löblichen Satz folgt sogleich die Einschränkung: „ Mit dem Recht der Presse zum Fotografieren korrespondiert aber die Pflicht gegenüber Personen, die ein Recht am eigenen Bild besitzen, das so gewonnene Material auf seine rechtliche Verbreitungsfähigkeit zu prüfen. Nach § 22 Satz 1 KunstUrhG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Ein Bildnis im Sinn dieser Bestimmung ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Erscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt. Es genügt die Erkennbarkeit durch einen begrenzten Personenkreis, etwa durch Bekannte des Betroffenen. Auch bei Verwendung eines schwarzen Balkens vor der Augenpartie oder Pixelung genießt ein Bild den Schutz des § 22 KunstUrhG, wenn sich diese als wirkungslos erweisen, weil sie die Identifikation der abgebildeten Person nicht ausschließen Ein öffentliches Zurschaustellen liegt vor, wenn das Bildnis der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden kann Der Sinn und Zweck des § 22 KunstUrhG besteht darin, die Persönlichkeit davor zu schützen, gegen ihren Willen in Gestalt der Abbildung für andere verfügbar zu werden. Auf Grund des räumlich geringen Abstands der Pressevertreter, insbesondere zum Einsatzleiter, aber auch zu den anderen am Einsatz beteiligten Polizeibeamten, konnte dieser davon ausgehen, dass solche Fotografien gefertigt werden, die eine individuelle Erkennbarkeit der am Einsatz beteiligten Beamten ermöglicht hätten. Er konnte weiter damit rechnen, dass jedenfalls einige dieser Aufnahmen zur Veröffentlichung in der Tageszeitung vorgesehen sind und dass die auf Aktualität ausgerichtete Tageszeitung am nächsten Tag mit einer entsprechenden Aufmachung unter Verbreitung der Bildnisse des zum Augenarzt verbrachten Angeklagten und der handelnden Polizeibeamten berichten wird. Anhaltspunkte für eine vollständig anonymisierte Verbreitung von Bildern bestanden für den Polizeibeamten nicht. Dahingehende Äußerungen haben die Pressevertreter auch nicht gemacht. Eine Einwilligung zu einer Verbreitung von identifizierbaren Bildern bestand nicht.“

Die Stuttgarter Richter sahen auch keine Ausnahme nach dem Kunsturhebergesetz. Das Urteil: „Die Fotografien der Polizeibeamten hätten auch nicht nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG als Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte ohne die nach § 22 KunstUrhG erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden dürfen. Auch Amtsträger können sich, wenn sie bei der Ausübung ihres Amtes in der Öffentlichkeit auftreten, auf das Recht am eignen Bild berufen. Dieser Schutz wird durch die ausgeübte staatliche Funktion nicht eingeschränkt. Nur sofern sich ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Bilddarstellung ergibt, wird auf eine relative Person der Zeitgeschichte geschlossen mit der Folge, dass ihr Recht auf Bildanonymität entfällt. Die Polizeibeamten sind hier keine relativen Personen der Zeitgeschichte.“

Im Rahmen der Serie zum „Fotorecht“ habe ich mich schon früher einmal grundsätzlich mit der Frage beschäftigt, wann dürfen wir andere Menschen fotografieren und gegebenenfalls diese Bilder auch veröffentlichen. Damals hatte ich schon das Thema „Personen der Zeitgeschichte“ angesprochen. Eine relative Person der Zeitgeschichte stellt eine fotogarfierte Person dann dar, wenn der Abgebildete wegen des Zusammenhangs mit einem informationswürdigen Ereignis in den zeitgeschichtlichen Bereich geraten ist. Ob dies der Fall ist, haben im Streitfall die Gerichte unter Abwägung zwischen dem Anonymisierungsinteresse des Einzelnen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu klären. Im Fall des SEK-Einsatzes vor der Augenarztpraxis verneinte das Verwaltungsgericht dies.

„Durch die Art ihrer Einsatzteilnahme und des konkreten Vorgehens der Polizeibeamten bestand hier ein besonderes öffentliches Informationsinteresse an der Bilddarstellung der Polizeibeamten nicht. Die einzelnen Polizeibeamten sind nicht durch ein Ereignis in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses geraten. Dass das konkrete Geschehen es erfordert, dass einzelne oder mehrere Polizeibeamte bildlich dargestellt werden, ist nicht erkennbar“, lauten die weiteren Urteilsgründe.

Fazit: Nach alledem durfte der Einsatzleiter im Rahmen des Polizeigesetzes den Reportern das Fotografieren untersagen. Das VG Stuttgart: „Es ist nicht zu beanstanden, dass der Einsatzleiter auch davon ausging, dass durch die beabsichtigte Fertigung der Lichtbilder die eingesetzten Beamten in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Polizeibeamten wird durch den Umstand, dass die Beamten als Funktionsträger den Einsatz durchgeführt haben, nicht verändert. Aus der öffentlichen Funktion folgt nicht, dass die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Beamten nicht durch das Polizeirecht geschützt werden.“

Das Stuttgarter Urteil ist eine Einzelfallentscheidung. Die aufgeworfenen Fragen müssen nicht von allen Gerichten in anderen Fällen ebenso gesehen werden. Grundsätzlich gilt: die Freiheit der Presse (und die gilt nicht nur für professionelle gedruckte Tageszeitungen) darf nicht durch von der Polizei im Rahmen der Gefahrenabwehr ausgesprochenen Fotografierverbote in ungerechtfertigter - und damit rechtswidriger - Weise beeinträchtigt werden. Denn oft dienen schwammige Begriffe wie "allgemeines Persönlichkeitsrecht" oder die schlichte Berufung auf "Datenschutz" nur dazu, die Fotogarfierfreiheit einzuschränken.

Alle, die sich für Fragen rund um das Fotografieren von Personen interessieren, darf ich auf meinen grundsätzlichen Beitrag zu diesem Thema hinweisen, zu finden unter
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...

Und unter
http://www.myheimat.de/hannover-doehren-wuelfel-mi...
ist noch eine Ergänzung dazu im Hinblick auf eine aktuelle Entscheidung zu Personen der Zeitgeschichte nachzulesen.

Bürgerreporter:in:

Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld

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