Geschichtliches aus Döhren-Wülfel: Im Speisewagen verwöhnte die Üstra ihre Gäste
Am 2. Mai des Jahres 1950 wurde der Stadtteil Mittelfeld Ort eines ganz besonderen Ereignisses. Eine Straßenbahn mit dem "E" im Nummernschild rumpelte vom Bahnhof Glocksee auf den Gleisen in Richtung Süden und zerschnitt ein quer über die Eisenbahnbrücke Garkenburgstraße gespanntes weißes Band. Erstmals nach mehr als 20 Jahren nahm die Üstra damals eine neue Straßenbahnstrecke in Betrieb. Unter den anwesenden Ehrengästen befand sich auch Niedersachsens erster Landesvater, Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf. Schließlich war es ein ganz besonderes Gleisstrang, der dem Verkehr übergeben wurde: die Messelinie ging in Betrieb.
Der Startschuss zu der neuen Strecke fiel erst am 20. Februar 1950. Die Üstra baute in einer Rekordzeit von nur 71 Tagen den drei Kilometer langen Gleisabschnitt zwischen der Hildesheimer Straße und dem Messe-Nordeingang. Damit zeigten die Straßenbahner, dass sie schneller bauen konnten, als das Bauamt die ganze Sache absegnen. Die Baugenehmigung brachte erst Ministerpräsident Kopf als besonderes Präsent zur Einweihung mit. Dabei waren die Bauarbeiten nicht einfach. Schließlich mussten im Zuge der Garkenburgstraße die Eisenbahngleise überwunden werden.
So wurde eine Brücke mit 80 Meter Spannweite und 250 Meter langen Rampen geschaffen. "Es war ein Wettstreit zwischen den Lastwagen, die am Ende des befahrbaren Weges ständig ihre Ladungen herauskippten und dem Greiferbagger, der die Sandmassen kubikmeterweise in die Lücke zwischen der fertigen Aufschüttung und dem Fundament der Brücke warf", heißt es in einem alten Bericht im Üstra-Archiv.
Die Üstra gewann den Wettlauf mit der Zeit. Als am 3. Mai 1950 bei Kaiserwetter die Hannover-Messe ihre Pforten öffnete, konnte die Straßenbahngesellschaft die Gäste aus aller Welt mit einem wohl einmaligen Service verwöhnen. Während die Straßenbahn 26 Minuten lang ihrem Ziel entgegenrumpelte, servierten im gardinenverhangenen Straßenbahn-Speisewagen mit der Nummer 1045 hübsche Hannoveranerinnen mit weißen Häubchen zur Musik vom Plattenteller belegte Brötchen, heiße Würstchen oder kaltes Eis. Bier und Liköre lockten an der Waggon-Bar.
Ursprünglich sollte die Linie 8 nur zur Messezeit bis zum Messegelände fahren. Als regulärer Endpunkt baute die Üstra eine Wendeschleife schräg gegenüber der St. Eugeniuskirche. Später wurde diese Schleife Endpunkt der zweiten Mittelfelder Linie, der "16". Doch auch dies ist heute Vergangenheit. Die Gleisschleife ist verschwunden, geblieben ist von der Wendeanlage nur noch eine Grünfläche.
Die Mittelfelder nahmen die neue Straßenbahnverbindung dankbar an. Noch im Einweihungsjahr 1950 meldete die Üstra: "Einen drängenden Wunsch entsprechend verkehrt die Linie 8 neuerdings bis in die späten Abendstunden, um den Einwohnern der Siedlung Mittelfeld die Gelegenheit zu abendlichen Besuchen in der Stadt zu geben." Allerdings mussten die Mittelfelder Nachtschwärmer auf den Messe-Luxus verzichten und sich mit einfachen Holzbänken begnügen. Und Bier oder Likör wurde erst recht nicht mehr ausgeschenkt.
Bürgerreporter:in:Jens Schade aus Hannover-Döhren-Wülfel-Mittelfeld |
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