Von den Drei Zinnen bis zur Tofane - Bergsteigen in den Dolomiten
Viele Berginteressierte kennen sicherlich die Traumlandschaft der Dolomiten. Und eine solche ist es wirklich. Wer in diesem vielleicht faszinierendsten Felsgebirge der Erde Urlaub gemacht hat, zum Beispiel zum Wandern auf der Seiseralm, zum Beiken über die hohen Pässe, zum Skifahren rund um die Sella oder natürlich zum Bergsteigen an den unzähligen attraktiven Gipfeln, der kann vermutlich bestätigen, dass dieses eine eindrucksvolle und einmalige Berglandschaft ist. Es gibt nicht viele Felslandschaften auf der Erde, die von der Großartigkeit her mit den Dolomiten konkurrieren können. Der Wechsel von bizarren Felsmassiven mit ihren senkrechten Wänden, spitzen Türmen und Zinnen und den sie umgebenen sanften, grünen Tälern ist wohl einzigartig. Auf dichtem Raum hat man verschiedenste Landschaftsformen. Und das ist es eben, was die Dolomiten auszeichnet, was sie so reizvoll macht.
Viele Urlauber dieser Landschaft werden in erster Linie deren westlichen Bereich kennen, wird doch dort Deutsch gesprochen. Hinter dem Brenner beginnt das Eisacktal mit den schönen Städten Brixen und Bozen. Und natürlich den darüber aufragenden Schlern mit der Seiseralm und den Rosengarten. Manch einer wird vielleicht bei einer Dolomiten-Rundfahrt vom Pordoijoch mit der Seilbahn auf die Sella gefahren sein und hat den Piz Boe erklommen. Oder er war vielleicht sogar mit der Seilbahn auf der Punta Rocca der Marmolada, dem höchsten Berg dieses Gebirges mit dem einzig nennenswerten Gletscher in diesem weiten Gebiet. Wenn man von dort oben in die Runde schaut, dann hat man einen Blick, den man so schnell nicht vergessen wird. Er reicht über das gesamte Dolomit-Gebirge. Auf Rosengarten und Langkofel, unter dem Luis Trenker in St. Ulrich seine Heimat hatte. Auf Sella und Geislerspitzen, unter denen Reinhold Messner in Villnöß aufgewachsen ist. Auf Monte Pelmo und Civetta. Weiter entfernt im Westen auf den Ortler und in nordöstliche Richtung auf die Hohen Tauern mit dem Großglockner. Das alles und noch viel mehr beeindruckt. Selbst waren wir dreimal dort oben auf der Punta Penia, dem höchsten Punkt. Zweimal über den Gletscher, unter dessen Oberfläche sich im 1. Weltkrieg die „Eisstadt“ der Österreicher befand und einmal über den Westgrat, eine schöne Kletterei.
Eine solche hatten wir uns nun auch vorgenommen. Aber dieses Mal nicht in diesem Gebiet um Canazei herum, sondern weiter östlich bei Cortina d`Ampezzo. Und auch dieser einstige Olympiaort ist traumhaft gelegen. Umgeben von den drei Tofanegipfeln. Gegenüber Monte Kristallo und Sorapis, und nicht weit entfernt Antelao, Monte Pelmo und auch die Sextener Dolomiten mit dem Wahrzeichen des Gebirges, den Drei Zinnen.
Wir haben uns zunächst den Hausberg von Cortina ausgesucht, den Tofane. 3243 Meter misst dessen höchster Gipfel, der di Mezzo. Wir wollen den Aufstieg über den Südgrat machen und müssen dabei etwa 1600 Höhenmeter ersteigen, oder vielmehr zum Großteil erklettern. An der Straße, die von Cortina zum Falzarego-Pass hinaufführt, starten wir an einem frühen Julimorgen.
Das Wetter ist einigermaßen. Erst am Nachmittag soll Regen aufkommen. Aber dann wollen wir wieder unten sein. Doch schon zu Beginn der Kletterei zieht es sich zu. Alles grau in grau, keine Sicht mehr. Das macht in einer eigentlich herrlichen Landschaft keinen Spaß. Als dann nach drei Stunden Anstrengung, früher als vorhergesagt, auch noch der Regen einsetzt, reicht es uns. Wir kehren um, sind wir doch noch weit vom Gipfel entfernt.
Zwei Tage darauf ist das Wetter so, wie es schöner nicht sein kann. Blauer Himmel und keine üblichen nachmittäglichen Gewitter in Sicht. Was wollen wir mehr.
Schon der 500 Meter hohe Anstieg durch den Lärchen-Fichtenwald macht Freude. Durch Baumlücken haben wir immer wieder fantastische Anblicke. Doch die Freude wird noch größer, als wir den Beginn des wilden Südgrates über der Rifugio Dibona erreichen. Eine 1100 Meter hohe Kletterei über einen anspruchsvollen Klettersteig liegt vor uns. An einem im Fels fixierten Drahtseil können wir uns dabei sichern.
Es geht sofort in steiles Gelände hinein. Aber auf trockenem Fels macht das so richtig Spaß. Schwierigere und leichtere Kletterpassagen wechseln ab. Manchmal ein kurzes Stück Gehgelände, dann wieder Kletterei im 1. und 2. Schwierigkeitsgrad. Das ist nicht gerade viel. Doch es ist oft ausgesetztes Gelände, wo es tief hinuntergeht. Und manches Mal sind die Tiefblicke atemberaubend. Das sind auch bei den kurzen Verschnaufpausen, bei denen die Pulsfrequenz heruntergefahren und das Hecheln nach Sauerstoff beruhigt wird, die Blicke in die Weite der Landschaft, die nun mit zunehmender Höhe immer eindrucksvoller werden. Gegenüber und hintereinander aufgereiht die hohen Felsspitzen von Croda da Lago. Rechts daneben das flache Plateau des Monte Formin. Eine in dieser Kombination seltsame Formation von Dolomitgestein. Wilder wie es nicht geht und so sanft wie eine fast ebene, nur leicht geneigte Tischplatte.
Nach drei Stunden haben wir an der Punta Anna in 2731 Metern Höhe den anspruchsvollsten Teil der Kletterei hinter uns gebracht. Doch noch ist der Tofane-Gipfel weit entfernt. Er liegt noch längst nicht im Blickfeld. Aber das Gelände wird zunächst einfacher. Längere Gehpassagen und nicht mehr ganz so schwieriges Klettern wechseln sich ab. Dann mal eine hohe Eisenleiter, und dann noch eine fordernde Kletterpassage. Sie ist nicht unbedingt schwierig, doch erfordert sie absolute Schwindelfreiheit. Auf einem waagerechten, ausgesetzten und sehr schmalen Felsband, auf dem geradeso die vorderen Stiefelspitzen Halt finden, müssen wir uns an der senkrechten Wand, die tief hinunter abfällt, am Drahtseil hangelnd entlangtasten. Die Armmuskulatur wird dabei ordentlich beansprucht. Das ist für manch einen die Schlüsselstelle der gesamten Tour – dachten wir zumindest.
Doch für uns soll diese erst noch kommen, ist doch bald darauf der Weiterweg unter steilen Schneefeldern verschwunden. Zwar gibt es noch eine zweite Aufstiegsmöglichkeit über Fels, wie wir später feststellen konnten. Doch die haben wir übersehen. Und so muss der Weiterweg in dem wilden Gelände erkundet werden.
Unter der Kante eines senkrechten Felshanges, von dem das Schmelzwasser wie kleine Wasserfälle herunterläuft und uns in den Nacken hinein, erreichen wir das erste Schneefeld. Mit den Stiefelspitzen mit Schwung hineingetreten, so dass kleine Absätze entstehen, dann vorsichtig hineingetreten und hochgestiegen. So auch auf dem nächsten Steilhang. Abrutschen möchte man da nicht unbedingt, geht es doch tief und weit hinunter. Eine Chance zum Stoppen hätte man nicht mehr.
Doch dann wieder leichteres Felsterrain. Und nach einer erneuten nur leicht ansteigenden Passage an senkrechter Wand und einem folgenden Steilaufschwung rückt endlich der Gipfel ins Blickfeld, erkennbar an dem Gebäude der Seilbahnstation, die von Osten, von Cortina aus, heraufkommt. Es sieht nah aus, doch wie immer täuscht es im Gebirge. Immerhin noch zwei Stunden, meist leichter Kletterei, sind es bis dahin.
Doch dann stehen wir nach sieben Stunden auf dem höchsten Punkt neben dem Gipfelkreuz. Wir atmen durch. Erstmal eine längere Pause mit Picknick, die haben wir uns redlich verdient. Aber wir wundern uns. Hatten wir hier oben wegen der Seilbahn einen Massenauflauf erwartet, wie ich es schon einmal vor 35 Jahren erlebt habe, so treffen wir im Gipfelbereich gerade eine Handvoll Leute an. Die große Gondel fährt nicht. Doch das soll uns nur Recht sein, denn so ist ein Naturerlebnis bedeutend schöner, hat man doch das Gefühl von Einsamkeit in weiter Landschaft.
Natürlich blicken wir in sämtliche Richtungen und auf alle Gipfel, auf denen wir irgendwann einmal gestanden haben. Und das sind nicht wenige. Da werden Erinnerungen geweckt. Auch der Antelao, der zweithöchste Dolomitenberg, ist mit seinen diagonalen, glatten Plattenfluchten gut zu sehen. Er sollte eigentlich unser nächster Gipfel sein. Doch wie wir nun leider feststellen müssen, liegt dort im oberen Bereich zu viel Schnee, der einen Aufstieg zu gefährlich machen würde. Reizvoll als Alternative wirkt von der markanten Form her der Monte Pelmo. Oder vielleicht doch die Riesenorgel der Civetta? Wir werden sehen.
Aber nach der Pause ist uns auch hier der normale Abstieg durch zu viel Schnee versperrt. Also wieder denselben Weg zurück, zumindest ein Drittel davon. Dann kommen wir an ein extrem steiles Schotterfeld, das etwa 700 Meter tief hinabführt, um dann auf den normalen Abstiegsweg zu treffen. Eine schwach ausgetretene Pfadspur weist uns den Weg. Es ist eine rutschige Angelegenheit. Doch mit den Teleskopstöckern haben wir genug Halt. Der Rest des Weges gleicht einer Wanderung und geht durch schöne, abwechslungsreiche Landschaft. Nach 12 Stunden und heiß gelaufenen Füßen sind wir wieder am Ausgangspunkt zurück.
Es war eine eindrucksvolle Tour, die zwar anstrengend, aber mit schöner Kletterei und abenteuerlichem Gelände verbunden war. Wer eine einigermaßen gute Kondition hat und schwindelfrei ist, dem kann ich sie empfehlen. Sicher einer der schönsten Klettersteige der Dolomiten.
Am Tag darauf sollten wir zur Erholung eine Wanderung um die Drei Zinnen herum machen. Doch danach sollte das Wetter leider kippen. Touren im Hochgebirge waren dann vorerst nicht mehr möglich. So sind wir anschließend über Venedig an den Gardasee gefahren, wo die Gipfel bekanntlich flacher sind. Bei Riva ragt die Berglandschaft steil empor, und dort kann man schöne Touren machen, auch Klettertouren. Von hoch oben geht der Blick dann direkt auf den tiefliegenden See hinunter, was auf andere Art beeindruckt. Gerade dann, wenn man dort oben am Cima Capi unter freiem Himmel biwakiert, und wenn nach einbrechender Dämmerung das Lichtermeer an den Seeufern zu leuchten beginnt. Von Riva über Torbole bis nach Malcésine hin. Alles schöne Orte. Doch noch eindrucksvoller sind eben die Gipfel der Dolomiten, und deswegen werden wir in dieser traumhaften Gebirgslandschaft immer mal wieder unterwegs sein.
Siehe auch: Bergtouren in den Alpen - Zwischen Marmolada und Montblanc
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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