Fallschirmspringen
Ein Sprung aus den Wolken - Mit 200 km/h dem Erdboden entgegen
Wer aus der älteren Generation erinnert sich an die Fernsehserie „Sprung aus den Wolken“? Unsere Familie hatte damals, im Jahr 1962, den ersten Fernseher bekommen. Immerhin gab es schon zwei Programme, konnten wir doch in Hannover auch Ostfernsehen empfangen. Und natürlich durften wir Kinder auch ab und zu eine Sendung schauen. Dazu gehörte eine amerikanische Serie, in der die beiden Männer Jim und Ted Abenteuer rund ums Fallschirmspringen erlebten. Das hatte mich damals in jungen Jahren sehr fasziniert. Und auch viele Jahre später fragte ich mich noch, wie wohl so ein freier Fall vom Himmel sein könnte? Wie es sich anfühlen würde? Zwar hatte ich über einen Fallschirmsprungkurs nachgedacht, aber ich hatte mich dann für andere Hobbys entschieden. Doch wie das Leben manchmal so spielt, konnte ich es trotzdem in Erfahrung bringen. Vor einigen Jahren, zu einem runden Geburtstag, bekam ich ein schönes Geschenk. Dieses Mal keine Ballonfahrt, über die ich mich auch einmal riesig gefreut hatte. Nein, nun sollte es ein Tandemfallschirmsprung sein, und wieder freute ich mich riesig. Bei einem solchen muss man dieses Metier nicht beherrschen. Man wird dabei einem Profi unter den Bauch geschnallt, muss sich nur fallen lassen und bei der Landung die Beine ausstrecken. Also eigentlich ganz einfach, aber schon sehr spannend. Und wieder fragte ich mich, wie es wohl werden würde.
So fand ich mich also in Begleitung der Schenkenden, die natürlich zugucken wollten, an einem Sommertag auf dem kleinen Flugplatz in Hildesheim ein. Dort wurde ich mit einem anderen Mitspringer in die notwendige Kluft gesteckt, es wurde uns in Bodenübungen von einem Trainer gezeigt, wie wir uns während des Sprunges zu verhalten hatten, und schon konnte es losgehen. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn fünf Personen mussten sich mit sperriger Ausrüstung in das kleine Sportflugzeug quetschen, in dem die Rückbank hinter dem Piloten ausgebaut war, so dass wir auf dem Boden hocken mussten. Aber irgendwie passte es.
Nach dem Start mussten wir ersteinmal an Höhe gewinnen. 4000 Meter sollte es nach oben gehen. Ich hatte schon bei diversen Bergtouren diese Höhe überschritten und dabei gemerkt, wie dünn die Luft dort oben ist und wie anstrengend die körperliche Betätigung dabei war. Nun aber sollte alles ohne jede Anstrengung vor sich gehen, allerdings auch mit ein wenig Aufregung. Und ich wollte es einfach genießen.
Nach 30 Kilometern Flug erreichten wir Hannover, warfen aus der Vogelperspektive einen Blick auf die niedersächsische Metropole und kehrten dann um, um noch einmal 2000 Meter an Höhe zu gewinnen. Aber dann waren wir, der A 7 folgend, wieder bei Hildesheim. Und ohne jede Vorwarnung wurde plötzlich die Tür aufgestoßen, mein Tandempilot drängte mich dazu, die Beine nach draußen auf das Trittbrett zu setzen, so dass ich im Flugwind in der offenen Tür saß, wurde mehr oder weniger von ihm geschubst, und schon befanden wir uns im freien Fall, ohne dass ich über das alles in diesem Moment hätte nachdenken können. Wortwörtlich geschah alles wie im Fluge.
Und was war das für ein Flug! Nein, natürlich ein Fall. Zunächst ein freier. Innerhalb von sechs bis sieben Sekunden beschleunigten wir auf 200 km/h, und das dann etwa 50 Sekunden lang. Um mich herum sauste und brauste es. Die Schutzbrille wurde mir aufs Gesicht gepresst. Meine Gesichtszüge, was ich hinterher erst auf den Filmaufnahmen und Fotos erkennen konnte, entglitten mir. Meine Backen wurden nach hinten gedrückt, wie man das vielleicht schon einmal gesehen hat, wenn sich James Bond oder die Astronauten der Nasa in einer Zentrifuge befanden. Und manch ein Urlauber hat vielleicht schon einmal bei Sturm auf einem Nordseedeich gestanden und sich nach vorne schräg gegen den Wind gelehnt. So ähnlich kann man sich den Windwiderstand im freien Fall vorstellen, nur noch viel, viel stärker, nämlich wie die stärksten Orkanböen. Und darüber hatte ich mir im Vorfeld kaum Gedanken gemacht, sieht es doch in Filmen immer so aus, als wenn Fallschirmspringer fast schwerelos und relativ sanft in die Tiefe schweben. Doch nun war es vollkommen anders. Ich war dem stärksten Gegenwind ausgesetzt, den man sich nur vorstellen kann, bei dem man nicht einmal annähernd die Chance hätte auf den Beinen zu bleiben, bei dem Mensch und Tier durch die Luft gewirbelt werden.
Und wenn der eine oder andere jetzt vielleicht fragt, warum die Beschleunigung, verursacht durch die Erdanziehungskraft, nicht über die 200 km/h hinausgeht, so liegt das am Widerstand der Luft, der sich bei diesem Tempo mit der Gravitation aufhebt und sich so im Gleichgewicht hält. Nur im luftleeren Raum würde man immer schneller werden.
Leider war der Blick dabei nach unten auf den Erdboden nicht frei, befand sich doch, zunächst noch weit unter uns, eine dünnere Wolkenschicht. Aber im Nu hatten wir sie erreicht, waren hindurch und hatten das hildesheimer Land unter uns. Dann, nach etwa zweieinhalb Kilometern Fall, gab es einen Ruck. Der Fallschirm über uns hatte sich geöffnet. Auch darüber denkt man im Vorfeld schon einmal nach, ob er das auch wirklich tut, hat man in der Zeitung doch schon mal Gegenteiliges gelesen. Selbst bei einer Flugschau in den Siebzigerjahren in Hannover/Langenhagen war das vor den Augen zehntausender Zuschauer schon einmal passiert. Doch nun funktionierte alles und langsames Schweben und Gleiten war für die letzten 1500 Meter angesagt. Das war nun trotz der schönen Aussicht nach so viel Action, die gefühlt viel länger war als eine kurze Zeitspanne, schon fast etwas langweilig. Aber mein Pilot gab mir die Schlaufen für die Lenkung des Fallschirmes in die Hand, mit denen ich hoch am Himmel ein paar enge Kreise ziehen konnte. Auch das hatte seinen Reiz. Und bald darauf, nachdem er wieder übernommen hatte, streckte ich die Beine nach vorne aus, und wir setzten über einer weiten Rasenfläche zum Landeanflug an. Dann hatten wir, auf dem Allerwertesten sitzend, wieder festen Boden unter uns.
So ein Fallschirmsprung ist ein eindrucksvolles Erlebnis, auch wenn ich mir naiverweise mehr oder weniger ein Schweben im freien Fall vorgestellt hatte. Doch nun hatte ich erfahren, wie sich ein Gegenwind mit stärksten Orkanböen anfühlt. Und das sich anschließende Schweben ist bei einer Ballonfahrt über irgendeine Landschaft, das ja viel länger dauert, bedeutend schöner. Ein zweites Mal muss ich also einen solchen Sprung nicht haben. Aber trotzdem ist es natürlich toll, diese Erfahrung einmal gemacht zu haben. Ich kann sie weiterempfehlen, denn das Leben ist viel zu kurz, um nicht einmal das eine oder andere Außergewöhnliche gemacht und ausprobiert zu haben, was immer es auch sein mag. Für jeden gibt es das Passende. Und ein freier Fall ist ein solcher Moment.
Auch das macht Spaß: Wie ein Vogel in die Lüfte steigen - Bei einem Tandemgleitschirmflug ist das möglich
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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