Der Mont-Saint-Michel – Eine mittelalterliche Kulisse in Frankreich wie aus dem Bilderbuch
Wer sich für Mittelalterliches interessiert, für Klöster, für Burganlagen und die Architektur aus dieser Zeit. Wer gern Historisches liest wie zum Beispiel „Die Säulen der Erde“ oder Sagenhaftes wie „Der Herr der Ringe“. Für denjenigen gibt es wohl kaum einen schöneren Flecken auf der Erde als die kleine Insel Mont-Saint-Michel. Sie liegt in der größten französischen Bucht, dem Golf von Saint Malo, der an den Ärmelkanal anschließt.
Eingerahmt von den Küstenlinien der Bretagne und der Normandie erhebt sich dort aus dem Meer ein 80 Meter hoher Granitfelsen. Mit der benachbarten Felsinsel Tombelaine stellt er seit der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren eine Besonderheit aus dieser von Meer, Watt und Salzwiesen bestehenden Landschaft dar, deren Zeiten von Ebbe und Flut geprägt und bestimmt werden. Hier gibt es den größten Tidenhub Europas. Doch nie konnte das Meer dem harten Gestein, das einst vor über einer halben Milliarde Jahre aus einem Schiefergebirge, das von der Erosion geschliffen wurde, übrig geblieben ist, etwas anhaben, sooft es auch die Flanken des Inselfelsens bestürmte und bearbeitete. Und weil dieser Granitfels so widerstandfähig ist, hatten vor 1300 Jahren findige Mönche den Einfall, darauf ein Kloster zu errichten. Abgeschieden und nicht leicht erreichbar.
Das war kein einfaches Unterfangen. Doch es wurde durch Bischof Aubert von Avranches, zu Ehren des Erzengels Michael, in die Tat umgesetzt. Der soll Aubert, so die Legende, nachdem sich der Bischof zunächst streubte, dazu gezwungen haben, indem er ihm mit dem Finger ein Loch in den Schädel bohrte. Den angeblichen Totenschädel des Bischofs mit dem Loch darin, kann man heute in der Kirche Saint Gervais in Avranches bestaunen.
Wie dem nun auch sei. Bischof Aubert legte auf der Kuppe des Granitfelsens ein erstes Sanktuarium an, das schnell zu einem heiligen Ort aufstieg. Doch das waren nur die Anfänge. Im Laufe von Jahrhunderten und schließlich von weit über 1000 Jahren, wurde die Anlage erweitert, umgebaut, befestigt, modernisiert und auf diese Weise immer mehr verändert, bis sie endlich das Bild ergeben hat, das wir heute von ihr kennen: Dicke Festungsmauern mit wehrhaften Türmen darin. Darüber die grauen Schieferdächer eines Dorfes. Granitfels mit vielen Rampen und Treppenaufgängen. Und darüber die von mächtigen Strebpfeilern gestützten Mauern der Klosteranlage, über der sich als Höchstes die Abteikirche Saint-Michel erhebt. Ausgestattet mit einer langen Turmspitze die zum Himmel strebt, auf der die vier Meter große vergoldete Bronzestatue des Erzengels Michael, des Bezwingers Satans, in Form eines Drachen dargestellt, thront. Und so ist auch die gesamte Anlage angelegt. Vom Meer aus klettert sie in vielen Ebenen immer höher hinauf, bis sie mit der Spitze den Himmel zu berühren scheint, gleich einer spitz zulaufenden Pyramide. Und was eine solche für Ägypten war, das war für die Gläubigen Christen Europas der Mont-Saint-Michel.
10 Pilgerwege führten im Mittelalter aus ganz Europa dorthin. Und was muss das für die vielen, vielen Pilger ein großartiger und eindrucksvoller Anblick gewesen sein. Das alles wirkte auf sie wie ein Fingerzeig Gottes zum Himmel hinauf. Doch die Wallfahrer, unter denen auch die Kreuzritter waren, für die Jerusalem nun nicht mehr erreichbar war, kamen nicht nur wegen der eindrucksvollen und heiligen Anlage, sondern auch der vielen Reliquien wegen. Was gab es da in Saint-Michel nicht alles zu bewundern und anzubeten. So der durchbohrte Schädel des Bischofs Aubert, dem Begründer der Michaelisverehrung, und auch einen Arm des Bischofs. Einen Finger Johannes des Täufers. Blut des heiligen Benedict. Ein Fragment von der Krippe. Fäden des Schleiers, den Jesus trug. Haare der Jungfrau Maria und auch die des heiligen Franz von Assisi. Dornen von der Dornenkrone, Splitter vom Kreuz und noch andere heilige und wundersame Dinge. Das war nicht wenig, und wir können uns heute nicht wirklich vorstellen, wie ergriffen die Wallfahrer davon waren, zumal diese Reliquien auch zur Heilung von Krankheiten beitrugen. Auch die üblichen Wunder gab es auf der Insel. Und natürlich kamen die Wallfahrer auch deswegen, weil sie an diesem heiligen Ort dem Erzengel Michael besonders nahe sein konnten und damit ihre Seele reinigten. Wohlhabende aus allen Ländern, die selber die lange, beschwerliche Pilgerfahrt nicht auf sich nehmen wollten, schickten oft Untergebene auf die Reise, damit diese das Seelenheil für sie in Empfang nehmen konnten.
Wenn auch heute der Großteil der Besucher und Touristen aus aller Welt der nach dem Eifelturm und Versailles am dritthäufigst frequentierten Sehenswürdigkeit Frankreichs nicht mehr zu den wirklich Gläubigen gehört, so ist doch der Anblick für diese, wenn auch nicht heilig, so doch nicht weniger eindrucksvoll.
Am besten erschließt man sich die Insel von einem Großparkplatz mit 4.000 Stellplätzen aus, der aus Rasenflächen bestehend gut in die sumpfige Landschaft integriert ist, durch eine zweieinhalb Kilometer lange Wanderung. Dann hat man besondere Blicke auf den immer näher rückenden Mont-Saint-Michel. Wer nicht so gut zu Fuß ist, kann einen der bis nachts ständig verkehrenden Pendelbusse nehmen.
Bis vor einem Jahrzehnt gab es zwei Riesenparkplätze mit zusammen 10.000 Stellplätzen direkt am Fuß der Insel. Doch die Deichstraße, die das Festland mit diesem verband, ein Sperrwerk in einer der drei Flussmündungen und die Begradigung der Flüsse trugen zur stetigen und natürlichen Verlandung zusätzlich bei. Die Wellen spülen den Sand zum Ufer hin, nehmen beim Zurücklaufen aber nur zwei Drittel des Sandes wieder mit zurück. Der Klosterfelsen drohte zu einer Halbinsel zu werden. Doch das sollte und durfte nicht sein. Schon gar nicht bei dem ersten Weltkulturerbe der UNESCO Frankreichs, zu dem es 1966 ernannt wurde. Und so wurde für 200 Millionen Euro ein gigantisches Projekt initiiert, um Mont-Saint-Michel als Insel zu erhalten. Neun Jahre wurde daran gearbeitet, und in diesem Jahr soll es abgeschlossen werden. Der Mont-Saint-Michel scheint vorerst als Insel gerettet. Und das ist gut so, denn gerade dieses ist es auch, was seine Einmaligkeit ausmacht.
Wer den Klosterberg von außen ausgiebig bestaunt hat, den vielleicht Tolkien vor Augen hatte, als er Gondors Hauptstadt Minas Tirith in „Der Herr der Ringe“ beschrieben hat und durch das Eingangstor, das Fallgitter über sich, die einzige Straße des kleinen Dorfes betritt, fühlt sich dann irgendwie ein wenig in die Winkelgasse von Harry Potter versetzt. Kleine Geschäfte, Lokalitäten und Souvenirläden zu beiden Seiten. Doch das alles ist keine Errungenschaft der Neuzeit. Auch Souvenirläden gab es bereits im Mittelalter, wollten doch die Pilger von dem Heiligtum etwas mitbringen. So zum Beispiel Wachs von den angeblichen Altarkerzen, Blei- und Zinkfläschchen mit Sand aus der Bucht, Muscheln vom Strand, Gold- oder Silbermedaillen. Wer den Pilgern auf der Rückreise oder dann wieder zu Hause begegnete, zahlte einen Obolus dafür, diese heiligen Dinge berühren zu dürfen.
Und dann steigt man Treppen hinauf. Treppen über Treppen. Die Stufen an einem solchen Tag kann man gar nicht mehr zählen. Sie entsprechen, wenn man sich alles angucken will, einer mittelgroßen Wanderung. Denn es geht auch immer wieder hinab, auch über lange Rampen und dann doch wieder hinauf. Das geht in die Beine, doch gerade das macht uns auch Spaß.
Man steht auf der Festungsmauer oder auf einem der darin integrierten Türme, die bis zu vier Meter dicke Wände haben und die so vorgeschoben sind, dass aus deren Scharten zu drei Seiten geschossen werden konnte – Flankenfeuer, Kreuzfeuer, Rundumfeuer. Und man kann sich dann sehr gut vorstellen, warum diese Klosterfestung nie eingenommen werden konnte. Mehrfach haben es die Engländer versucht, so im Hundertjährigen Krieg. Doch Gezeitenschlick und starke Mauern machten es ihnen unmöglich.
Man steigt weiter hinauf. Schaut auf die mittelalterlichen, grauen Schieferdächer der Häuser, auf denen sich überall Möwen niedergelassen haben. Sie sind die wahren Herrscher der Insel, haben sie vereinnahmt. Sie kennen keine Scheu, setzen sich direkt neben einen auf die Mauer. Verblüfft davon und schnell sind viele Asiaten sofort mit der Kamera zur Hand. Auch über den blauen Himmel segelt das weiße Federvieh, ohne jeden Flügelschlag, scheinbar bewegungslos, oder steht einfach über unseren Köpfen im Wind. Ihre Schreie erfüllen die Luft.
Man geht um die Insel herum, steigt höher hinauf. Hier ein Aussichtspunkt, dort einer. Schaut zu den Salzwiesen des Festlandes hinüber, auf denen die normannischen Schafe grasen. Oder auf die weite Bucht, aus der bei rasend schnell auflaufender Flut noch von Möwen besetzte Sandbänke ragen. Doch nicht mehr lange. Bald steht alles unter Wasser und der Mont Michel ist dann tatsächlich eine Insel. Zweimal täglich wiederholt sich dieses eindrucksvolle Naturschauspiel.
Überall schaut man hin, geht in jeden Winkel und kann doch nicht alles entdecken. Man ist fasziniert von so vielen wunderbaren Anblicken, ob in der Nähe oder in der Weite. Und diese Faszination geht weiter. Irgendwann betritt man das Kloster, das von unten mit seinem hohen, festungsartigen Mauerwerk fast erdrückend und auch groß wirkt, aber gar nicht mal so groß. Doch man täuscht sich. Man betritt ein Labyrinth von verwinkelten, düsteren, mittelalterlichen Gängen, Räumen und Sälen, und das in diversen Ebenen. Und man staunt darüber, hat man das doch nicht erwartet. Manche Treppenaufgänge sind breit, sehr breit. Platz für die Prozessionen im Mittelalter. Und natürlich musste damit auch repräsentiert werden, denn viel Prominenz kam zu Besuch. Kirchenfürsten, weltliche Fürsten, sogar Könige.
Im 12. Jahrhundert erreichte das Glaubens- und Wirtschaftsunternehmen Saint-Michel seine größte Blütezeit. Unter Robert de Torigni gehörten der Abtei viele Bistümer, große Ländereien, Dörfer mit allem was dazu gehört, Salzwerke, Häfen, Fischgründe, Jagdreviere, Weinberge und vieles mehr. Das Gebiet reichte von Cornwall bis zur Mündung der Loire. Das zeigt die Bedeutung dieses kirchlichen Imperiums.
Schließlich gelangen wir auf die den Besuchern des Klosters höchstgelegenste erreichbare Plattform. Auf ihr steht die Klosterkirche, dem Himmel am nächsten. Und über allem thront, wie es höher nicht geht und wie es sich für einen Heiligen gehört, die vergoldete Statue des Erzengels Michael.
Vor dem Portal der Kirche befindet sich eine große Aussichtsterrasse. Von ihr schauen wir über das Meer, sehen in der Ferne die Ufer der Inseln Jersey und Guernsey, die zu England gehören. Und wir schauen auf einen Sonnenuntergang, sehen den roten Ball hinter diffusen Wolkenschichten immer tiefer sinken, der im Wattenmeer für eindrucksvollste Lichtstimmungen sorgt. Was für ein schöner Abschluss.
Doch noch nicht ganz. Als wir die Insel nach Mitternacht und nach sechsstündigem Besuch über die lange Brücke zum Festland hin wieder verlassen, natürlich zu Fuß, drehen wir uns immer wieder um, denn die Szenerie ist nun beleuchtet, die mittelalterlichen Mauern in allerschönstes Licht getaucht. Es war ein beeindruckender Tag.
Wer in Frankreich Urlaub macht, der besucht vielleicht auch den Mont-Saint-Michel. Und auch wenn dieser nicht ganz auf der Strecke liegen sollte, so lohnt sich doch deswegen ein Umweg. Denn ein Besuch des Klosterfelsens im Wattenmeer ist ein unvergessliches Erlebnis.
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Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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