(Kein) Weihnachtstress in Günzburg

Roter Blätterteppich
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Letzte Woche spazierte ich mit einem Korb voller Päcken und Briefe in die Post und bemerkte gegenüber der Angestellten, dass ja heute gar keine Kunden da sind und ich deswegen überrascht bin.
„Ja, da haben sie Glück. Meistens wimmelt es hier von Leuten, und Parkplätze gibt es hier schon gar nicht in dieser stressigen Vorweihnachtszeit!“
Freudig platzte es aus mir heraus, dass ich sofort einen Parkplatz vor dem Gebäude ergattern konnte, und dass sogar noch ein zweiter frei war.
Sie schaute mich verwundert an und ich setzte noch einen drauf:
„Außerdem bin ich schon mit allem fertig!“
„Mit den Nerven?“ konterte sie.
„Nein, mit meinen Weihnachtsvorbereitungen.“
Jetzt hatte ich offene Ohren für die Geschichte über meinen künstlichen Weihnachtsbaum, den ich anfangs Advent aufstelle, für die Geschenke, die verpackt darunter liegen und die wenigen Plätzchen, die in Tupperware verpackt im Keller auf hungrige Schleckermäulchen warten.

Ich erzähle jedem, der mir zuhört, über mein schönes Weihnachten. Angefangen hatte es mit heimeligen, leuchtenden Weihnachtsfesten in der Kindheit und den Traditionen, die sich jede Familie für solche Gelegenheiten schafft und die wir liebten. Aber auf diesen Festtagen lag immer ein Schatten, der sich unerbittlich Eintritt verschaffte in die Kerzen- und „Ihr-Kinderlein-kommet“ -Atmosphäre: Die Überforderung der Festtagsvorbereitungen verlangte ihren Tribut meist in einem handfesten Krach zwischen unseren Eltern. Ich schwor mir schon damals, dass ich alles tun wollte, um diese Situationen zu vermeiden, wenn ich selbst Kinder hätte.

Die erste Tradition, mit der ich brach, war das zeitraubende Aufstellen und Schmücken des Christbaumes am Heiligen Abend. Dabei griffen mir meine Jahre in den USA unter die Arme. Dort wird kein Advent und "Heilige Drei König" gefeiert, aber der Christbaum immer schon einige Wochen vor Weihnachten aufgestellt und am Tag nach Weihnachten abgeräumt. Ich konnte dabei nur gewinnen: Ich feierte Advent und lies den Christbaum mit seinem prachtvollen Schmuck und den unzähligen künstlichen Lichter vier Wochen bis Heilige Drei König stehen. Aus praktischen Gründen stiegen wir vor einigen Jahren auf einen schönen künstlichen Baum um und sparte mir nun auch noch die Zeit für den Christbaumkauf. Die Geschenke besorgte ich bis spätestens November, dann lagen sie dicht verpackt unter dem Weihnachtsbaum und wurden immer mehr und die Augen der Kinder immer größer. Es durfte geschaut werden, wem die Päckchen wohl gehörten, es wurde gerüttelt und geschüttet, aber sie errieten nie, was drin war.
Wieder in Deutschland behielt ich diese Tradition und fand in meiner Familie Nachahmer. Nicht dass sie den Christbaum schon Wochen vor Weihnachten aufstellten, aber zumindest zwei oder drei Tage vorher. Sicherlich, der Zauber des Märchens, dass das Christkind am Heiligen Abend den Christbaum schmückt und die Geschenke bringt, war verflogen. Und ich führte auch keinen Weihnachtsmann ein, der durch den Kamin kommt und die Geschenke bringt. Aber wie oft hatte gerade diese aufwändige Tradition des Baumaufstellens am 24.12. dazu beigetragen, den Schatten heraufzubeschwören!

Es gibt viele Menschen, die sich aus Weihnachten nicht viel machen und den Aufwand zur Zelebrierung des Festes gering halten. Aber gerade in Familien mit Kindern sind Erwartungen da, und überforderte Eltern hetzen durch die Stadt auf der Suche nach Weihnachten und der Weihnachtsstimmung. Man wünscht sich Schnee, wünscht sich Zeit, wünscht sich Ruhe und Harmonie, aber man muss unbedingt noch dies und jenes kaufen, auf dies oder jedes Konzert oder Ballett, denn das gehört dazu und schafft die Stimmung. Und die vielen Weihnachtsfeiern, die unbedingt noch besucht werden sollen. Die Weihnachtsstimmung bleibt versteckt und man rennt hin und her und meint, dies und jenes zu brauchen, um sie zu finden und der Stress wird immer mehr.
In einem Günzburger Drogeriemark unterhielten sich Kundin und Personal:
„Ich bin heute total im Stress.“
„Das geht doch im Moment Allen so.“
„Ja, aber heute hat mein Mann die Weihnachtsfeier von der Firma und ich auch. Und ich muss noch zum Frisör und einkaufen und für die Kinder kochen…und und und“.
Ich habe schon von Leuten gehört, die es auf mehr als fünf oder gar mehr Weihnachtsfeiern in der Adventszeit bringen. Da müssen sich der „Friede“ und die „Ruhe“ ganz schön reinzwängen, um noch ein Plätzchen zu ergattern.
Die Jahreszeit und die Natur selbst mahnen uns zur Ruhe, zum Rückzug, zur Besinnung. Das finden wir nicht auf Christkindelmärkten, Weihnachtsfeiern und übervollen Kaufhäusern. Fragte ich eine Freundin, ob sie Zeit für eine gemütliche Tasse Kaffee hat, kam nur ein gehetztes „Leider, habe noch so viel zu tun…“

Ein Freund klagte über seinen Stress und dass er heute schon wieder auf eine Weihnachtsfeier müsste. Ich schlug ihm vor, doch zuhause zu bleiben und bei einem schönen Buch und einer Kerze einen ruhigen Abend zu verbringen und die Feier einfach sausen zu lassen. Er schaute mich verständnislos an und ging auf die Feier.
Weihnachten ist in unserer Familie zum Fest ohne Schatten, ohne große Erwartungen geworden. Nicht um jeden Preis müssen Traditionen gewahrt werden. Wir sprechen uns schon lange vorher ab, wann bei wem gegessen wird und jeder kommt dran. Geschenke gibt es nur noch für die Kinder und wir verbringen unsere Feiertage mit Faulenzen, schönem Essen und Trinken und einer gemütlichen Gemeinschaft ohne Zwänge. Wer zur Kirche gehen will, geht, wer keine Lust hat, geht spazieren oder schaut die neuesten DVD’s an.

Meine Weihnachtsstimmung gesellt sich zu mir bei meinen Streifzügen durch unsere Natur, sie sich langsam zur Ruhe gelegt hat. Die Stille der modrigen Wälder huscht über rote Blätterteppiche, sandfarbenes Gras schläft in dicken Büscheln am Wegrand und auf feuchten Baumstümpfen kriecht grünes Moos zum Licht. Leere Äste ragen in einen kalten, grauen Himmel und die Frische des Sees huscht in meine Nase und raschelt durch trockenes Schilf. Jetzt bietet mir der Wald seine Schätze an, ich brauche sie nur aufheben und mitnehmen, sehr zum Leidwesen meines Mannes, denn das Auto schaut manchmal ganz schön verbröselt aus. Äste werden zersägt und zu kleinen Wichtelchen verarbeitet, Eicheln, Kastanien und Bucheckern verwandeln sich zu Waldmännchen und leere, weiße Schneckenhäuser wirken besonders gut auf dicken Platten von fettem Moos, das ich sorgfältig aus den tiefsten Wäldern mit Plastiksäcken nach Hause transportiere.
Kerzen brennen und Lichter funkeln und ich habe Zeit.

Ich wünsche vielen Mitbürgern frohe Weihnachten und den Mut, auch mal Nein zu sagen und die Seele baumeln zu lassen und mal was „Unnützes“ wie einen ausgiebigen Waldspaziergang zu unternehmen.

Dann kommt die Weihnachtsstimmung auch ohne den ersehnten Schnee sachte aus ihrem Versteck, zaubert und enthüllt Geheimnisse, von denen ich hier noch nichts verraten will...
…und die Geschichte vom Elefantenfuß im Herrenwald erzähle ich ein anderes Mal.

Bürgerreporter:in:

Karola Wood aus Günzburg

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