Einmal Jakobsweg - (n) immer wieder?
Als mein Mann und ich das erste Mal vom Pilgern auf dem Jakobsweg gehört hatten, waren wir zunächst äußerst skeptisch...
Nicht nur, dass uns die damit verbundenen Strapazen abgeschreckt haben, nein – es kamen auch Bedenken hinzu, wie wohl das persönliche Umfeld ein derartiges Vorhaben beurteilen würde. Wir fürchteten uns durchaus auch davor, verspottet zu werden. Einerseits hatten wir im Vorfeld positives Feedback bekommen, andererseits waren auch abwertende Bemerkungen gefallen, wie „das sind doch alles Spinner“ oder „scheinheilig“, um mal die harmloseren zu nennen.
Mitten in unseren Abwägungen haben dann auf einer Geburtstagsfeier Bekannte von ihren Eindrücken über die Pilgerreise erzählt und uns ein paar Tage später ein Buch von Carmen Rohrbach gebracht, die eine Etappe in Frankreich von Le Puy nach St.-Jean-Pied-de-Port in den Pyrenäen zusammen mit ihrem Esel beschrieben hat. Und dann haben wir uns – zwar immer noch mit gemischten Gefühlen – endlich getraut, eine Etappe mit dem Fahrrad zu planen.
Aus einem Reiseprospekt hatte ich ein paar Seiten rauskopiert und mir außerdem auf einem Zettel die wichtigsten Etappenziele zusammengeschrieben. Mit dem Bewusstsein, der Weg sei gut beschildert und es gäbe in Frankreich ausreichend viele „Gites“ oder „Relais de St. Jacques“ – wie die Pilgerherbergen genannt werden – sind wir dann mit dem Auto und den Rädern im Gepäck nach Le Puy gestartet. Reichlich naiv, wie sich später noch zeigen würde. Die Wege für Fußpilger waren in der Tat gut beschrieben – leider sind sie über weite Strecken mit dem Rad gar nicht passierbar. Und so mussten wir uns mit einer zudem nicht ganz aktuellen Landkarte orientieren und uns selbst fahrradgeeignete Wege in der Nähe des „Chemin de St. Jacques“ (Jakobsweges) heraussuchen. Nun sind die Fahrstraßen in unserer heutigen Zeit in Europa glücklicherweise gut beschildert. Trotzdem haben wir uns so manches Mal verfahren. Einmal waren wir über 40 km nach Süden abgekommen und hatten die Orientierung komplett verloren. Wir waren so weit weg, dass der Ort, an dem wir rauskamen, gar nicht mehr auf unserer Karte zu finden war. Mich hat das an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht und lange Zeit kam keine Menschenseele, die ich hätte fragen können. Der Weg hat durch endlose Wälder und weites Weideland geführt, die wenigen kleinen Gehöfte waren verlassen und nicht in der Karte vermerkt . Ein wortkarger Landwirt schließlich hat unsere Verzweiflung noch verstärkt mit den Worten: „Ah non Madame, c’est très très loin d’ici….plus de quarante kilometre“ (sehr weit weg – mehr als 40 km).
Die anstrengende Rückkehr auf den Pfad der Tugenden war recht bergig und hat 3 Stunden gedauert, teilweise war Fahrrad-schieben angesagt. Mir ist bewusst geworden, dass der Jakobsweg wie ein Sinnbild – eine Metapher – für unseren eigenen Lebensweg ist. Manchmal sind wir sicher, das richtige zu tun und gehen den eingeschlagenen Weg weiter. Oft merken wir erst spät, dass wir uns verrannt – verirrt haben. Nicht immer finden wir gleich jemanden, den wir um Rat fragen können. Und wenn wir den Rat dann hören, so ist es meist eine schmerzliche Erkenntnis und wir – wie auch unsere Umgebung – haben uns durch das Erlebte Blessuren zugezogen. Doch auch hier gilt es, immer wieder neu anzufangen, die Niederlage hinter sich zu lassen und sich erneut aufzumachen, um das Ziel doch noch zu erreichen. Was geht schon glatt im Leben.
Eine der schönen Erfahrung war, wie wildfremde Menschen trotz eigener Probleme gegenseitig für einander Sorge tragen. Eines Abends – wir hatten uns an dem schwülheißen Tag viel vorgenommen – sind wir sehr spät an der einzigen Herberge mitten in den Bergen angekommen und waren nach einem endlosen Anstieg auf einer holprigen Bergstraße fix und alle. So haben wir wohl auch ausgesehen. Bei unserer Frage nach Quartier sagte uns die junge Frau, dass die Gite „complet“ – also ausgebucht sei. In ihren Worten war deutlich das Erbarmen mit uns zu spüren und für mich brach die Welt zusammen. Etwas verschämt flüsterte die Dame uns zu „… auf einem ehemaligen Reiterhof – neben dem Stall – aber es riecht ziemlich streng – ein paar Kilometer außerhalb – da könnten wir wenigstens schlafen. Ob wir denn zu Essen dabei hätten – nein unser Essens- und noch schlimmer Wasservorrat war längst aufgebraucht! Laden gäbe es keinen – aber sie habe Spaghetti für die Gäste in der Herberge gekocht, die Monsieurs/Dames seien gerade zu Tisch gegangen. Dankend nahmen wir an. Das Mahl war wirklich nicht üppig, aber die Menschen dort haben alle miteinander darauf geachtet, dass das wenige auch noch für unsere Teller gereicht hat, obwohl wir uns in die Gesellschaft hineingedrängt hatten. Keiner hat sich den eigenen Teller voll geschlagen und am Ende waren bestimmt alle noch ein klein wenig hungrig.
Ach, wie muss es den Menschen gegangen sein, die den Weg seit über 1000 Jahren schon gegangen sind. Weder hatten Sie unsere Ausrüstung, noch gab es auch nur annähernd eine Wegebeschilderung, ganz zu schweigen von den Gefahren des Mittelalters durch Räuber, Krankheiten…. Wie klein unsere Probleme doch sind. Und wie tröstlich das Bewusstsein, dass auch diese Menschen trotz sehr viel schwierigerer Bedingungen es geschafft hatten. War es Gottvertrauen – Selbstvertrauen – Gelassenheit – Opfer ???
Fortsetzung folgt – für uns ganz bestimmt im nächsten Jahr
Bürgerreporter:in:Angelika Böck aus Günzburg |
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