Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch erzählen Teil 5 Rita Krüger aus Niedersachsen

Elisabeth Keller im Gespräch mit Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch

Hans Georg van Herste, Autor, Schmerztherapeut, Lebensberater, Herausgeber, war selbst Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch, häuslicher Gewalt und Psychoterror. Seit seiner Jugendzeit macht er Übergriffe gegen Opfer von sexuellem Missbrauch und Diskriminierungen gegen Frauen und Homo- und Transsexuelle öffentlich.
Seine Bücher und Dokumentationen schlugen hohe Wellen, da er kein Blatt vor den Mund nimmt, Tathergänge nicht verniedlicht und eine deutliche Sprache spricht. Obendrein hat er die „Insel-Methode“ erdacht, um Opfern und Betroffenen vor Ort zu helfen.
Diese Vorgehensweise hat ihm nicht nur viel Anerkennung eingebracht, sondern auch viel Ärger, da sich Täter und ihre Helfer und Sympathisanten nicht gern auf die Schliche kommen lassen. Neben Beschimpfungen übelster Art wurde auch eine Verleumdungskampagne großen Stils gegen ihn losgetreten, um ihn unglaubwürdig zu machen. Diese Verleumdungsprofis wussten genau, dass die Worte „Sekte, Sex und finanzielle Ausbeutung“ ihr Ziel nicht verfehlen würden.
Trotzdem hat sich Hans Georg van Herste nicht von seinem Weg abbringen lassen. Die Entwicklungen der letzten Zeit haben ganz klar bewiesen, dass „seine“ Opfer nicht allein sind, dass sie keine Märchen erzählen, und dass seine Aussagen zur Häufigkeit und zur Vorgehensweise der Täter absolut der Wahrheit entsprechen.

Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Opfer, die von Hans Georg van Herste begleitet wurden, die keine Angst vor der Öffentlichkeit haben und anderen mit ihrer Aussage Mut machen wollen, zu befragen.

EK Wie alt sind Sie heute?

RK fünfzig Jahre

EK Was machen Sie beruflich?

RK Ich bin Pflegedienstleiterin in einem Senioren- und Pflegeheim

EK Wer waren die Täter?

RK Vater, Opa und viele andere Männer und Frauen

EK Wusste Ihre Mutter davon?

RK Ja, die hat mitgespielt, genau wie meine Oma

EK Was hat man mit Ihnen gemacht?

RK Zuerst hat mich mein Opa auf dem Dachboden und im Keller vergewaltigt. Danach kam mein Vater dran. Er machte es praktisch überall mit mir. Ob wir im Urlaub am Strand waren oder im Ehebett, es ging überall zur Sache. Ich dachte, das gehört sich so. Ich war noch ziemlich klein und kannte es nicht anders. Mit meinen Schwestern wurde das auch gemacht und so war das für uns was ganz Normales.
Später wurde ich an Männer verliehen. Der erste Mann lebte in unserem Haus. Er baute aus Hobby Buddelschiffe. Da ich auch ein Buddelschiff haben wollte und mich obendrein interessierte, wie so ein Schiff in die Flasche kommt, war ich völlig arglos und dachte wirklich, der will mir nur seine Buddelschiffe zeigen.

EK Welche Gefühle hatten Sie dabei?

RK Manchmal Ekel, manchmal musste ich mich erbrechen, manchmal, wenn es zu sehr wehtat, habe ich einfach abgeschaltet und mich in Gedanken auf eine schöne Sommerwiese gelegt. Ich hätte es sonst wohl nicht ausgehalten

EK Wie viele Personen haben sich mit Ihnen auf diese schreckliche Weise vergnügt?

RK Ich kann es nicht mehr sagen. Es waren einfach zu viele. An einige erinnere ich mich noch sehr gut, an andere fast gar nicht mehr. Es war ein Kommen und Gehen und manche trugen ja auch Masken.
Mein Opa ging oft mit mir auf den Rummel in verschiedenen Orten. Leider durfte ich nie Karussell fahren. Er schlenderte mit mir über den Jahrmarkt und hielt Ausschau nach Männern, die ein bestimmtes Abzeichen an der Jacke trugen. Diese Männer sprachen kurz mit ihm und dann musste ich mit den Männern mitgehen. Entweder gingen wir hinter ein Fahrgeschäft oder in einen Klowagen.
Manchmal gingen meine Mutter und ich in einen Zigarrenladen. Dort wurde über meinen Preis verhandelt. Der Inhaber schien so eine Art Zuhälter zu sein, der immer Männer kannte, die auf kleine Mädchen standen. Wie das allerdings alles zusammenhing, kann ich nicht genau sagen, da ich damals noch viel zu klein war, um das zu begreifen.
Ich weiß nur noch, dass ich nach einem solchen Besuch mit meinem Opa zum Hafen gefahren bin. Angeblich wollte er mir ein Schiff zeigen. Als ich allerdings mit einem Matrosen unter Deck war, zeigte er mich nicht das Schiff, sondern seinen steifen Penis.

EK Wie war das mit den Masken?

RK Eines Tages fuhren wir zu einer Kirche. In der musste ich mich ausziehen. Man hatte mir, wie schon zuvor ein paar Mal, etwas zu trinken gegeben, das mich benebelte. Ich kann mich aber genau daran erinnern, dass ich auf den Altar gelegt wurde. Dann kamen plötzlich Priester herein, die Masken trugen. Der eine Priester schien der Chef zu sein. Er schlug einem Huhn den Kopf ab und malte mit dem Blut Symbole auf meinen Körper. Danach wurde ich vergewaltigt und die Männer flüsterten immer wieder, dass ich an irgendwas Schuld sei und dafür büßen müsse. Es war extrem schrecklich.

EK Waren andere Geistliche beteiligt?

RK Ja. Mein Vater wurde aus beruflichen Gründen in die USA versetzt. Dort musste ich nicht nur den Nachbarn zu Willen sein, sondern auch Mönchen, die in einem nahen Kloster lebten.

EK Ist Ihnen das allein passiert?

RK Nein, meistens waren meine Schwestern auch dabei und manchmal auch andere Mädchen.

EK Wie ging es weiter?

RK In einem Krankenhaus in der Nähe von Wilhelmshaven wurde ich dann Stück für Stück konditioniert. Ich wurde auf einen OP-Tisch gebunden und mir wurde eine seltsame Flüssigkeit eingegeben. Danach beugte sich ein Maskenpriester viele Male über mich und flüsterte mit Sätze wie „Du gehörst für immer mir“ oder „Du kannst nicht entkommen“ oder „ich werde dich überall finden“ ins Ohr. Es war schrecklich.

EK Wozu sollte das gut sein?

RK Ich sollte funktionieren und die schlimmsten Dinge mitmachen.

EK Wovon reden Sie?

RK Einmal fuhren wir zu einer Höhle. Dort waren viele Mädchen versammelt. Wir mussten uns alle ausziehen und dann wurden wir in die Höhle geführt. Dort gab es große Steine und Haken an der Decke und überall Felszeichnungen. Die Priester setzten sich auf die Steine und wir mussten uns auf deren steife Penisse setzen. Manche Mädchen wurden auch an den Haken aufgehängt und vergewaltigt. Dabei sind Mädchen gestorben.

EK Das gibt’s doch gar nicht.

RK Ja, die Reaktion kenne ich. So was will keiner glauben. Aber trotzdem ist es passiert.

EK Waren das wirklich Priester?

RK Ein paar wohl schon, aber nicht alle. Es müssen auch Ärzte dabei gewesen sein.

EK Wieso Ärzte?

RK Weil ich irgendwann mal schwanger war und da wurde ich in ein holländische Krankenhaus gebracht, um abzutreiben. Ich sehe noch heute den Fötus vor mir, den sie aus mir rausgeholt haben.

EK Wie alt waren Sie als alles begann?

RK Ich weiß nicht mehr genau, aber ich denke, dass ich so drei oder vier gewesen sein muss.

EK Wann endeten die Übergriffe?

RK Als ich für diese Leute zu alt war, wurde ich in der Stadt vermietet, in deren Nähe wir wohnten. Es gibt Männer, die auf Mädchen zwischen zwölf und fünfzehn stehen. Entweder ich musste Sonntagmorgens mit zum Angeln – dort tauchten dann Männer am Fluss auf, die ich besuchen musste – oder ich musste beim Ausschenken von Getränken helfen, wenn meine Eltern mal wieder eine Bierbude auf dem Rummel hatten. Auch dort kamen dann Männer hin, die mich mitnahmen oder die ich zuhause besuchen musste.

EK Sie gingen zu denen nach Haus?

RK Ja. Das waren Männer mit viel Einfluss. Alle hatten eine Firma und ein großes Haus. Der eine hat mir sogar ein Mofa geschenkt, damit ich nicht immer so abgekämpft bei ihm aufkreuze. Bei dem musste ich immer durch die Hintertür rein. Dann stand ich gleich im Flur zum Schwimmbad. Dann musste ich mich ausziehen und mich betrachten lassen. Er hat mich immer „seine kleine Prinzessin“ genannt und mich dann im Wasser vergewaltigt.

EK Und Sie können sich an diese Männer erinnern?

RK Ja. Es waren reiche Geschäftsleute, die nach außen hin immer ganz wichtig taten.

EK Wenn Sie plaudern würden, könnte das böse Folgen haben.

RK Das stimmt, aber deshalb ist es ja trotzdem passiert. Nur weil diese Leute Geld haben, haben die doch nicht das Recht, kleine Mädchen zu vergewaltigen oder?

EK Haben Sie es jemandem erzählt?

RK Wem hätte ich davon erzählen sollen? Es gab ja keinen Menschen in meiner Umgebung, der nicht in irgendeiner Weise dazugehört hätte. Meine Eltern, meine Verwandten, Ärzte, Priester, Polizisten, Nachbarn, Freunde meiner Eltern, Zöllner, wem hätte ich was erzählen sollen?

EK Zöllner waren auch dabei?

RK Ja. Immer wenn es nach Holland ging, mussten meine Schwestern und ich am Grenzübergang „Zoll“ bezahlen

EK Haben Sie die Täter konfrontiert?

RK Ich habe meine Eltern konfrontiert. Die haben natürlich alles abgestritten. Meine Schwestern wollen nichts mehr damit zutun haben. Die haben furchtbare Angst vor meinem Vater. Der hat Waffen im Haus.

EK Haben Sie Anzeige erstattet?

RK Ja, natürlich habe ich die angezeigt.

EK Was ist daraus geworden?

RK Die Staatsanwältin hat mir erklärt, dass die Fälle alle verjährt seien und obendrein würde man nicht aufgrund meiner Aussage einfach so weiterermitteln. Ich müsste schon noch genauer werden und am besten weitere Opfer bringen. Ich war sehr genau. Weitere Opfer kann ich leider nicht bringen. Ein Opfer hat sich kaufen lassen. Das weiß ich. Und meine Schwestern sind dermaßen gestört, dass sie kaum in der Lage sind, sich überhaupt zu äußern. Und andere werde ich wohl kaum zu einer Aussage bewegen können. Die haben alle Angst. Stellen Sie sich vor, die gehen zur Polizei, Die sagt, alles ist verjährt und teilt das den Tätern mit.

EK Glauben Sie, dass die Täter weitermachen?

RK Davon bin ich überzeugt.

EK Warum sprechen Sie jetzt darüber?

RK Weil es immer noch passiert. Die letzten Wochen haben doch gezeigt, zu was Täter fähig sind. Und obendrein ist jetzt die Tochter eines Täters sehr jung gestorben. Als ich das in der Zeitung las, war mir klar, dass diese Leute niemals aufhören.

EK Haben Sie Ihre Erlebnisse schon einmal öffentlich gemacht?

RK Wir haben es versucht, aber keiner wollte die Geschichte bringen. Entweder wurde mir nicht geglaubt oder der Zeitung war das Thema zu heiß. Eine Lokalzeitung hat vor vielen Jahren mal etwas gebracht. Leider war es das auch. Die Kirche und ihre Helfer streiten die Existenz von rituellem Missbrauch nach wie vor ab. Und wenn die Kirche so etwas als nicht existent, also frei erfunden hält, kann es so etwas auch nicht geben. Ist doch klar, nicht wahr?

EK Vielen Dank, Frau Krüger, für das offene Gespräch.

Buchtipp
Heide Marie Zimmer
Fassetten der Angst
ISBN: 9783837002850
340 Seiten
19,90 Euro
Frauen aus aller Welt erzählen von ihren Erlebnissen. Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund, um auf die nach wie herrschenden Missstände aufmerksam zu machen. Die Palette reicht von sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt bis zur Verstümmelung und Versklavung. Diese teils grausamen Geschichten sind nichts für schwache Nerven.

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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