Was macht eigentlich Lena Birkthal? Elisabeth Keller im Gespräch mit der Autorin Lena Birkthal.
Lena Birkthal, Jahrgang 1961, wächst behütet in großbürgerlichen Verhältnissen in der Nähe von Frankfurt auf. Ihre Mutter ist Richterin, ihr Vater ein bekannter Anwalt. Ihr Vater, der sie vor ihrer Pubertät kaum wahrgenommen hat, entwickelt plötzlich Interesse für seine Tochter und unterzieht sie täglich einem Ritual, dem auch die Mutter beiwohnt.
Lena besucht ein privates Mädchengymnasium und studiert anschließend. Als sie vom plötzlichen Tod ihrer Eltern erfährt, die durch einen Autounfall ums Leben gekommen sind, ist sie anfangs völlig gelähmt.
Das Verhalten der Freunde ihrer Eltern lässt sie stutzig werden und sie beginnt damit, ihr Haus zu durchsuchen. Dabei stößt sie nicht nur auf Waffen, sondern auch auf Fotos. Nun leuchtet ihr das merkwürdige Verhalten der Freunde ein.
Da sie Alleinerbin eines großen Vermögens ist und folglich nicht arbeiten muss, macht sie sich auf den Weg, um Frauen zu treffen, die ähnlichen Ritualen unterzogen worden waren, wie sie selbst. Dabei stößt sie auf eine Feministin, die ihr die Augen öffnet. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, die Geschichte des Matriarchats und damit die Geschichte der Frau zu erforschen.
EK Guten Tag, Frau Birkthal! Schön, dass Sie Zeit für mich haben.
LB Guten Tag, Frau Keller! Ich bin nicht in Eile. Wir können uns ausgiebig unterhalten.
EK Sie kommen gerade aus Thailand zurück. Was haben Sie dort gemacht?
LB Ich war vor vielen Jahren schon einmal dort und habe bei meinen Erkundigungszügen viele Menschen kennen gelernt, die mir geholfen haben. Und die habe ich mal wieder besucht.
EK Wieso gerade Thailand?`
LB Weil es in Thailand noch alte Aufzeichnungen über ein vergangenes Matriarchat gibt und weil die Toleranz der Bevölkerung gegenüber Homo- und Transsexuellen wesentlich größer ist als bei uns in Europa. Ladyboys, wie die TS dort genannt werden, gehören ganz normal zum Leben dazu und keine Mutter macht sich darüber Gedanken, ob sie ihr Kind vielleicht falsch erzogen haben könnte oder so. Die Thais haben – zwar inoffiziell, aber immerhin – das Dritte Geschlecht eingeführt. TS müssen sich nicht operieren lassen, um als Frau anerkannt zu werden. Natürlich steht es ihnen frei, es dennoch zu tun. Die OPs laufen auf einem sehr hohen Niveau ab und sogar Europäerinnen reisen an, um sich dort ohne viel Aufhebens angleichen zu lassen.
EK Um auf Entdeckungstour zu gehen, mussten Sie zuerst ein paar Merkwürdigkeiten verdauen. Wie war das genau?
LB Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem nur Menschen verkehrten, die ich für normale Menschen hielt. Mir wurde immer wieder eingebläut, mich von anderen fernzuhalten. Ich konnte als Kind und als Jugendliche nicht verstehen, warum nicht alle so viel Geld hatten, wie wir. Das mussten alles Versager sein. Unsere Lebensweise war einfach normal für mich und ich bin nie auf die Idee gekommen, das zu hinterfragen.
Meine Freundinnen in Schule und Freizeit lebten in ähnlichen Verhältnissen und wir hatten wirklich nichts Besseres zutun, als uns gegenseitig die neusten Klamotten vorzuführen. Alle schwärmten für irgendwelche Sänger oder Schauspieler und so schwärmte ich mit, auch wenn mir der eine oder andere gar nicht gefiel. Es war einfach in, diese Leute anzuhimmeln.
Dass mein Vater Fotos machte, während meine Mutter mich begutachtete, war für mich so normal, dass ich das nie hinterfragt habe. Auch mit meinen Freundinnen sprach ich nie darüber. Worüber auch? Es war doch klar, dass eine Mutter die Sauberkeit ihrer Tochter überprüfen musste und dass der Vater die Entwicklung seiner Tochter dokumentieren wollte. Beide hatten eben nur Interesse daran, dass es mir gut ging.
EK Und wie war das mit dem Unfall?
LB Meine Eltern hatten Freunde besucht und sind auf dem Rückweg tödlich verunglückt. Das war alles.
EK Die Freunde ihrer Eltern haben sich dann merkwürdig benommen.
LB Ja, die sind um mich herumgewieselt, haben mir die Tür aufgehalten, mich im Auto mitgenommen, äußerst freundlich mit mir geredet. Da sie mich zuvor nur am Rande beachtet hatten, ist mir das aufgefallen. Und mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Die wollten an die Fotos, weil sie Angst hatten, ich könnte sie finden und sie erpressen oder damit an die Öffentlichkeit gehen. Das hätte mit Sicherheit jede Karriere zerstört.
EK Die Fotos waren brisant.
LB Das kann ich Ihnen sagen. Zuerst habe ich meine Fotos gesehen. Das fand ich nicht so spektakulär, da ich ja davon wusste. Aber als ich die anderen gesehen habe, war ich schon im ersten Moment sprachlos. Erst als ich bemerkte, dass die Szenen nur gestellt waren, ging es mir besser.
EK Was hat sie so schockiert?
LB Na ja, schockiert war ich nicht wirklich, aber erstaunt schon. Stellen Sie sich einmal vor, ihre elegante und hoch angesehene Mutter, vor der alle den Hut ziehen, wenn sie vorübergeht, steht da plötzlich unten ohne im Gerichtssaal vor lauter Zuschauerinnen, die ebenfalls alle ihre Röcke ausgezogen haben, und verurteilt eine Angeklagte zur Massenvergewaltigung, die dann von der Richterin sogar noch eingeleitet wird. Da würden Sie auch ein wenig dumm aus der Wäsche schauen.
EK Was ist denn aus den Frauen geworden, die auf den Fotos zu sehen sind?
LB Die leben alle noch, sind natürlich älter geworden. Ich hatte nie vor, die Fotos zu veröffentlichen oder als Druckmittel zu benutzen. Seitdem die Frauen das wissen, lassen sie mich in Ruhe. Hin und wieder hat noch mal die eine oder andere angefragt, aber unternommen haben sie nichts mehr.
EK Wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?
LB Das war gar nicht geplant. Zuerst wollte ich nur ergründen, wie es sein kann, dass sich Frauen dermaßen unterdrücken lassen. Ich verstand das nicht und verstehe es noch immer nicht.
EK Finden Sie, dass sich im Laufe der Zeit nichts zum Positiven gewandelt hat?
LB Ich würde sagen, es ist ein auf und ab. Es hat sich verschoben, ohne dass wirklich Frieden eingekehrt wäre.
EK Wie meinen Sie das?
LB Vor vielen Jahrtausenden gab es große Matriarchatsgebiete in Asien und Afrika. Dort gibt es nur noch winzige Enklaven. Dafür hat sich die Lage der Frauen in Europa wesentlich verbessert. Aber in vielen ehemaligen Matriarchatsgebieten werden Frauen heute geringer geschätzt als Vieh. Sie werden versklavt und verstümmelt und haben keine Rechte.
EK Sie haben viele Geschichten aufgeschrieben. Wie real sind die? Hat es Menui und Madumaty wirklich gegeben?
LB Wissenschaftliche Abhandlungen verschiedener Qualität gibt es zuhauf. Ich wollte mein Wissen den Leserinnen und Lesern so vermitteln, dass anschaulich wird, wie es gewesen ist. Der Inhalt der einzelnen Geschichten setzt sich aus vielen Quellinformationen zusammen. Ich wollte Bilder malen, die verstanden werden. Ich wollte, dass sich die Leserinnen und Leser vorstellen können, wie viel Frauen auf sich genommen haben, um für ihre Freiheit einzutreten. Unter dem Motto, es kann nur besser werden, sind sie durch Wüsten gezogen, haben sich großen Strapazen ausgesetzt. Welche Alternative hätten sie auch gehabt?
Madumaty und Menui sind Namen aus den jeweiligen Epochen. Ob die junge Frau, die gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Freundinnen vor ihrem brutalen Ehemann und den noch brutaleren Lebensumständen durch die Wüste und übers Meer geflohen sind, wirklich so hieß, kann ich nicht sagen. Ich weiß, dass einige wenige Frauen aus diesen Gründen geflohen sind.
Leider haben sie sich immer wieder ihre eigene Lebensgrundlage selbst entzogen. Aber das ist ja auch heute noch der Fall.
EK Wie kommen Sie darauf?
LB Die großen Matriarchatsgebiete sind nicht nur untergegangen, weil sie von Männerheeren bedroht wurden. Viele Kämpfe hätten vermieden werden können, wenn die Frauen wacher gewesen wären. Sie wollten in ihrer Bequemlichkeit nicht sehen, wie sehr die Gefahr angewachsen war.
52% der Weltbevölkerung sind Frauen, also die Mehrheit. Und sie lassen sich immer noch unterbuttern. Sie verdienen weniger als die Männer. Sie haben weniger Besitztümer. Sie haben weniger Geld. Sie lassen sich auch in Europa und Amerika immer noch bevormunden. Sie schweigen lieber, als gegen häusliche Gewalt oder den sexuellen Missbrauch ihrer Töchter vorzugehen. Sie sind unselbstständig und wollen das offenbar auch bleiben. Selbst Lesben heiraten Männer, um versorgt zu sein.
Frauen, die aufstehen, weil sie sich das nicht mehr bieten lassen wollen, werden beneidet oder angefeindet – und das von Frauen.
EK Ist Ihnen das selbst passiert?
LB Dafür, dass ich aus begüterten Verhältnissen stamme, kann ich nichts. Es löst aber bei vielen Sozialneid aus. In einigen Internetforen wird nicht über den Inhalt meines Buches diskutiert, sondern über meinen Reichtum. Dass ich diesen einsetze, um Frauen an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen, um ihnen damit eine Hilfestellung zu geben, wird ausgeblendet. Frauen versuchen, mein Buch schlecht zu machen, obwohl sie es nicht gelesen haben. Ich gehe nicht davon aus, dass allen mein Buch gefällt. Das ist wahrscheinlich sowieso unmöglich, aber das, was das läuft, hat mit dem Buch nicht viel zutun. Anstatt dass wir Frauen zusammenhalten, wird auf die eingehackt, die es wagen, die bestehenden Verhältnisse anzuzweifeln.
EK Der Verkaufserfolg gibt Ihnen doch aber Recht.
LB Natürlich freut mich der Erfolg und ich finde es sehr schön, dass die meisten Kritiken gut ausfallen, aber trotzdem finde ich es schade, dass es immer eine Gruppe von Frauen gibt, die nur abstrafen wollen, anstatt nach vorn zu gehen. Ich denke, dass das Neiderinnen sind, die sich selbst nicht trauen, etwas zu verändern, die lieber unglücklich weiterleben, als aufzustehen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wenn ich mich natürlich nur über Haushalt, Kinder und Arbeitskraft definiere, mich also von äußeren Einflüssen abhängig mache, werde ich nicht einsehen wollen, warum es anders schöner sein kann.
EK Was ist für Sie daran schön, nicht versorgt zu sein?
LB Alles. Ich hatte die Möglichkeit, mich so zu entfalten, wie ich es für richtig hielt. Und das hat nicht nur etwas mit meinem Erbe zutun. Ich habe im Laufe der Jahre viele Frauen getroffen, die sich freigeschwommen hatten. Natürlich war es anfangs oft schwierig, aber zurück wollte keine mehr. Lieber in kleineren Verhältnissen leben und glücklich sein, als unterdrückt zu werden.
EK Sind auch Sie schon zur Versorgerin auserkoren worden?
LB Natürlich. Das gibt es auch bei Lesben. Es gibt auch dort Frauen, die auf die Piste gehen, um sich eine reiche Versorgerin zu suchen. Ich habe für solche Frauen eine Antenne entwickelt und halte Abstand. Das soll nicht heißen, dass ich Frauen in Not nicht unterstütze. Das tue ich gern. Aber wenn ich bemerke, dass eigentlich gar keine Not vorhanden ist und aus eigener Bequemlichkeit nur abgezockt werden soll, kratze ich schnell die Kurve. Ich musste im Laufe der Jahre mein Helfersyndrom immer mehr einschränken, da ich meine Grenze immer höher angesetzt habe. Ich habe die armen Frauen in Afrika und Asien gesehen. Die hatten wirklich Probleme. In Europa machen sich viele welche und hoffen darauf, dass jemand kommt und die eigene Faulheit ausgleicht.
EK Das klingt, als seien Sie durch Erfahrung hart geworden.
LB Ich würde das nicht hart nennen. Ich würde sagen, ich habe die Realität erkannt. Viele meiner Illusionen sind im Laufe der Jahre zerplatzt. Heute weiß ich, dass ich vielen Märchen aufgesessen bin. An Versprechungen, die besagen, wir wollen den Frauen helfen, wir wollen die Gleichberechtigung, glaube ich nicht mehr. Wie oft wurde darüber diskutiert, ohne dass etwas grundlegenes geändert worden wäre. Die Frauen verdienen weniger, haben die meiste Arbeit und werden nach wie vor Opfer von Vergewaltigung und anderer Übergriffe.
EK Wer sollte daran etwas ändern?
LB Zuerst einmal die Frauen selbst. Obendrein – und das haben mich meine Forschungen über das Matriarchat gelehrt –, haben auch die Männer etwas davon. Schließlich sind sie es, die in den Krieg ziehen müssen und erschossen werden. Ich gebe zu bedenken, dass es ihre sind Geschlechtsgenossen sind, die Kriege anzetteln, die vergewaltigen, die versklaven, die rauben oder Internetviren erfinden. Aber scheinbar sind die Männer zu träge, um etwas ändern. Lieber lassen sie sich erschießen, als liebe Gewohnheiten aufzugeben und selbst Wäsche zu waschen.
EK Würden Sie nach ihrem heutigen Wissensstand sagen: das Matriarchat ist die bessere Lebensform?
LB Ich bin fest davon überzeugt. Natürlich würde es ab jetzt mehrere Generationen brauchen, um die alten Regeln auszumerzen, aber dann würde es gut werden.
EK Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück für die Zukunft.
LB Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu plaudern.
Buchtipp
Lena Birkthal
Leben im Matriarchat
Eine Reise durch die Geschichte der Frau
Hartcoverausgabe mit Lesezeichen
ISBN: 9783839120385
136 Seiten
19,90 Euro
Bürgerreporter:in:Elisabeth Keller aus Gnarrenburg |
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