Blutkrebs: Ohne Retter könnten Günther Niehoffs Enkel keinen Opa erleben
Günther Niehoff und Markus Honrath sind ein ungleiches Paar, obwohl sie – laienhaft gesagt – genetische Zwillinge sind. Seit 2010 verbindet die beiden Männer etwas, das mit dem Wort „Freundschaft“ nur unzulänglich beschrieben wäre. Niehoff war damals todkrank. Er hatte Leukämie, nur eine Stammzellspende bot die Chance vielleicht zu überleben. Doch er bekam diese Chance, von einem wildfremden, ihm völlig unbekannten Mann: Markus Honrath aus Gescher. Vor zwei Jahren trafen sich die beiden das erste Mal – bei einem Spender-Patienten-Treffen in Coesfeld. Am Sonntag, 23. August 2015, werden sie wieder zusammensitzen im Stephanus Brauhaus beim Spendertreffen der Stefan-Morsch-Stiftung. Und sie werden sich freuen, dass es den jeweils anderen gibt.
Die Vorgeschichte ist dramatisch und „Eyjafjallajökull“ – ein isländischer Vulkan – spielt dabei auch noch eine Rolle: Günther Niehoff hat 2009 gerade die Frau seines Lebens kennengelernt, als er kurz vor Weihnachten die Diagnose Leukämie erhält. Im ersten Moment nimmt er das auf die leichte Schulter. Doch sehr schnell wird klar: Sein Gesundheitszustand ist mehr als ernst. Heiligabend liegt er im Koma. Die Ärzte erklären, ohne Stammzellspende gibt es keine Chance. In der eigenen Familie gibt es keinen geeigneten Spender. Voraussetzung für eine Transplantation ist, dass ein Spender gefunden wird, dessen HLA-Gewebemerkmale (Humane Leukozyten Antigene) in 10 von 10 Merkmalen mit denen des Patienten überstimmen. Doch die Vielfalt dieser Merkmale ist groß, theoretisch gibt es mehr als 50 Millionen Kombinationen in der Bevölkerung. Für 60 bis 70 Prozent der Leukämiekranken findet sich kein Verwandter, der als Spender in Frage kommt. So bleibt nur die Hoffnung, dass ein nicht-verwandter, freiwilliger Spender gefunden wird.
Und den gibt es: Markus Honrath hat sich zehn Jahre zuvor bei einer Blutspende als Stammzellspender bei der Stefan-Morsch-Stiftung registrieren lassen. Anfang 2010 nimmt die Stiftung Kontakt mit ihm auf: „Für mich war direkt klar, dass ich die Spende mache und auch meine Familie hat mich dabei voll unterstützt“, erzählt der damals 36-Jährige. Günther Niehoff kämpft in dieser Zeit: Chemotherapie, Bestrahlung, Sepsis, Koma: „Es war die Hölle“, sagt er rückblickend. Die Nachricht – Es gibt einen passenden Spender – gibt Hoffnung. Der Tag der Transplantation rückt näher. Markus Honrath fährt in die Entnahmestation der Stiftung nach Birkenfeld (Rheinland-Pfalz). Die Spende verläuft problemlos. Jetzt muss der kleine Beutel mit den Stammzellen „nur“ noch nach Hamburg.
Da kommt der isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen ins Spiel. Er legt den Luftverkehr in Europa lahm und sorgt damit auch für Verkehrschaos auf Schienen und Autobahnen in Deutschland. Doch die Stefan-Morsch-Stiftung und die Uniklinik Hamburg stehen in engem Kontakt und schaffen es, dass das Transplantat noch rechtzeitig zu Günther Niehoff kommt.
Honrath und Niehoff wissen zu dieser Zeit noch nichts voneinander – keinen Namen, keinen Wohnort, nur das Alter und die Nationalität. Der Datenschutz verlangt, dass bis zu einem Ablauf von zwei Jahren beide anonym bleiben müssen.
Dazu die Stiftung: „In Deutschland kann der Spender, soweit der Patient damit einverstanden ist, nach der Stammzelltransplantation über den Zustand des Patienten informiert werden. Leider ist die Gesetzgebung in diesem Bereich von Land zu Land verschieden und eine Kontaktaufnahme zwischen Spender und Empfänger kann nur erfolgen, wenn die nationalen Gesetze der Herkunftsländer dies erlauben.“
2013 ist es soweit: „Wie wird das erste Treffen? Diese Frage habe ich mir vor dem Termin oft gestellt“, erzählt Markus Honrath, Familienvater aus Gescher. „Man trifft jemanden, der einen fremd ist, aber dem man das Leben gerettet hat. Wie reagiert diese Person? Wie ist der erste Eindruck? Worüber spricht man?“ Als „Lebensretter“ als „Held“ fühlt er sich nicht. Er ist ein rationaler Mensch. Er fragt sich, wie gehe ich mit meinen Emotionen um?
Auch Günther Niehoff ist aufgewühlt. Er will unbedingt Danke sagen. Bei der Stefan-Morsch-Stiftung, die solche Treffen mit allen Beteiligten intensiv bespricht, weiß man jedoch: „Man kann versuchen sich vorzubereiten, aber meistens kommt es dann doch anders.“ Markus Honrath erinnert sich: „Die Stiftung hat das erste Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gut organisiert. Man hatte viel Zeit sich kennen zu lernen, die persönlichen und sehr emotionalen Geschichten rund um die Spende auszutauschen. Danach kam die Presse hinzu und stellte ihre Fragen. Auch das wurde von der Stiftung gut organisiert. Der restliche Abend klang dann gemütlich bei ´nem Bier und vielen guten Gesprächen mit Günter Niehoff, Ninette Schumacher und Emil und Hiltrud Morsch aus.“
Inzwischen sind zwei Jahre ins Land gegangen: Die beiden Männer halten Kontakt per Mail und via Facebook. An Feiertagen gehen Glückwunschkarten hin und her. Gelegentlich wird telefoniert und ein Besuch an der Ostsee ist in Planung. Markus Honrath freut sich über jede Nachricht: „Ich haben einen netten Menschen, einen Freund gewonnen.“ In der Familie Niehoff gibt es inzwischen zwei „niedliche“ Enkelkinder, die durch die Spende Gelegenheit bekommen haben, ihren Großvater zu „erleben“. Und „Günni“ wie er liebevoll von seiner Frau genannt wird, ist stolz auf die Kleinen: „Das mitzuerleben ist ein großes Glück. Bevor ich an Leukämie erkrankt bin, war das Leben eine Selbstverständlichkeit.“
Der Rentner nimmt sich nicht viel vor, eine Gebehinderung schränkt ihn ein, aber er will „einfach leben, zusammen sein und sich an den einfachen Dingen gemeinsam freuen. Dieser Wunsch wurde mir durch die erfolgreiche Transplantation erfüllt.“
Wie funktioniert eine Stammzellspende?
Um die Stammzellen beim Spender zu entnehmen, gibt es heute zwei Varianten: Bei der klassischen Methode der Knochenmark-Entnahme entnehmen Mediziner etwa 0,8 bis 1,5 Liter Knochenmark-Blut-Gemisch aus dem Beckenknochen des Spenders – niemals aus dem Rückenmark. Dieser Eingriff dauert zirka eine Stunde. Die zweite Methode ist die Entnahme peripherer Blutstammzellen aus dem Blut – ähnlich wie bei einer Plasmaspende oder Dialyse. Dazu wird dem Spender vorher ein körpereigener Botenstoff verabreicht, der die Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut übergehen lässt. Dieser Botenstoff löst beim Spender im Vorfeld oft grippeähnliche Symptome – wie Kopf- und Gliederschmerzen aus. Diese verschwinden aber mit der Entnahme der Stammzellen.
Ist eine Online-Registrierung möglich?
Über die Homepage der Stefan-Morsch-Stiftung (www.stefan-morsch-stiftung.de) kann man sich jederzeit als Stammzellspender erfassen lassen. Über den Online-Registrierungsbutton auf der Startseite kommt man zur Einverständniserklärung. Dort müssen eine Reihe von Gesundheitsfragen beantwortet werden, deshalb sollte die PDF „Wie werde ich Spender?“ vorab genau gelesen werden. Nach dem Ausfüllen der Einverständniserklärung bekommt man ein Registrierungsset mit genauer Anleitung zugeschickt. Für Spender, die jünger als 40 Jahre sind, entstehen dabei keine Kosten.
Die Stefan-Morsch-Stiftung mit Sitz in Birkenfeld ist die älteste Stammzellspenderdatei Deutschlands. Unter dem Leitmotiv “Hoffen – Helfen – Heilen“ bietet die gemeinnützige Stiftung seit 1986 Hilfe für Leukämie- und Tumorkranke. Hauptziel der Stiftung ist, Menschen zu werben, sich als Stammzellspender registrieren zu lassen. So werden täglich Stammzell- oder Knochenmarkspender aus der stiftungseigenen Spenderdatei von mehr als 400 000 potentiellen Lebensrettern weltweit vermittelt. Die Stiftung ist Mitglied der Stiftung Knochenmark- und Stammzellspende Deutschland (SKD).
Bürgerreporter:in:Annika Zimmer aus Birkenfeld |
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