Diakon Thomas Müller: "Mit der Gewalt in Südafrika haben wir zu leben gelernt"
Garbsens Diakon Thomas Müller hat von 2005 bis 2008 in Südafrika gelebt und dort bei einem Aidsprojekt der Hilfsorganisation Brotherhood of Blessed Gérard mitgearbeitet. Im myheimat-Interview berichtet er von seinem Einsatz.
Herr Müller, vor fast genau fünf Jahren begann Ihre Zeit in Afrika. Für drei Jahre arbeiteten Sie und Ihre Frau dort bei einem Aidsprojekt mit. Wie kam es dazu? Und wo genau waren Sie?
Unsere Kinder wurden erwachsen, und beim Nachdenken darüber, was das für uns als Ehepaar bedeutet, stellten wir fest, dass wir beide gern gemeinsam die Welt noch einmal aus einer anderen Perspektive kennenlernen würden. Über die Missionsbenediktiner bekamen wir Kontakt zu dem Hilfsprojekt in Südafrika. Nahe der Ostküste Südafrikas, etwa 100 Kilometer nördlich von Durban, liegt mitten im Zululand das Dorf Mandeni. Anfang der neunziger Jahre gründeten dort ein Zulu-Ehepaar (Arzt und Krankenschwester), ein englischstämmiges Ehepaar (Unternehmer und Managerin) und ein deutscher Pater die Hilfsorganisation Brotherhood of Blessed Gérard (BBG). Inzwischen hat die BBG weltweit mehr als 2000 Mitglieder und beschäftigt im eigens gebauten und schon mehrfach erweiterten Pflegezentrum rund 90 hauptamtliche Mitarbeiter. Dort waren wir willkommen, mein Bischof ließ mich ziehen, und so packten wir unsere Koffer und flogen im Sommer 2005 nach Afrika.
Was genau haben Sie dort gemacht? Worum ging es bei dem Projekt?
Das Projekt begann als Pflegeeinrichtung, um die katastrophale medizinische Grundversorgung der Zulus und der indischen Bevölkerung als Folge der Apartheid zu verbessern. Als Mitte der neunziger Jahre die Aids-Welle das Land überrollte, gehörte die BBG zu den ersten Einrichtungen im Land, die sich dieser Problematik annahmen. Heute werden alle Bereiche erfasst, die mit Aids zu tun haben. Beispielsweise die Schwangerenberatung – um einen der Hauptinfektionswege zu unterbinden, die Mutter-Kind-Infektion bei der Geburt und beim Stillen. Dazu gehören auch die Ernährungsberatung und die soziale Absicherung der Familien.
Aufklärung in den Dörfern und Fabriken und die Durchführung von HIV-Tests gehören genauso dazu wie die Behandlung und Begleitung HIV-positiver Menschen. Es gibt ein Hospiz mit 40 Plätzen, in dem die Erkrankten gepflegt und behandelt werden, und wo sie, wenn das Virus siegt, menschenwürdig sterben dürfen. Ein anderer wichtiger Bereich ist ein Kinderheim für Aids-Waisen und Aids-kranke Kinder. Die Aufgaben, die meiner Frau und mir zufielen, waren so vielfältig wie das ganze Projekt. Als erfahrene Autofahrer sind wir oft mit dem Krankenwagen unterwegs gewesen, um Patienten zu holen. Das ist in einer Gegend, in der es kaum befestigte Straßen, kaum einmal Straßennamen oder Wegweiser gibt, schon eine etwas abenteuerliche Erfahrung. Meine Frau hat sich mit ihren medizinischen und pflegerischen Fachkenntnissen dann zunehmend auf die Pflege von Kleinkindern und Säuglingen spezialisiert. Ich habe mich als gelernter Handwerker zwischenzeitlich ganz praktischen Aufgaben gewidmet. Im letzten Drittel unserer Zeit war ich dann allerdings fast ganz im Kinderheim, wo ich mit den Älteren (neun bis 14 Jahre) gelebt und gearbeitet habe.
Fiel es Ihnen schwer, sich dort einzuleben? Wie groß ist die Umstellung, wenn man aus dem relativ sicheren Deutschland für so lange Zeit nach Afrika geht?
Das erste Jahr war ein einziger Abenteuer-Arbeits-Urlaub. Alles war neu, fremd, interessant und spannend. Oft lagen wir schon um acht Uhr abends in den Betten, weil wir vom Klima und den vielen Eindrücken erschöpft waren. Insgesamt kann ich sagen: schön war es, schwer auch, aber nicht belastend. Später hat sich das gelegt, und wir sind dann auch abends manchmal unterwegs gewesen. Mit der Gewalt haben wir leben gelernt. Vier unserer Freunde wurden in den drei Jahren erschossen. Wir mussten selbst einmal bei einer Schießerei in Deckung gehen, das lässt keinen kalt, aber man kann damit leben, wie wir mit den tausenden Verkehrstoten in Deutschland leben.
Welche Erfahrungen haben Sie mitgenommen? Inwiefern prägen sie die Erfahrungen, die Sie in Afrika gemacht haben, noch heute?
Es gibt ein afrikanisches Sprichwort: Ihr Europäer habt die Uhren, wir Afrikaner haben die Zeit! Das haben wir erlebt, und das prägt uns beide auch heute noch. Zeithaben für- und miteinander – und das über alle kulturellen, finanziellen und sozialen Grenzen hinweg. Das scheinen im fernen Palästina vor 2000 Jahren schon die ersten Christen so erlebt zu haben.
Können Sie sich vorstellen oder planen Sie sogar, noch einmal eine längere Zeit in Afrika zu verbringen?
Wir werden wohl so eine Chance nicht wieder bekommen. Wenn sie käme, wäre sie eine echte Herausforderung, denn ich arbeite ja auch sehr gerne in Garbsen.
Wenn Sie Urlaub machen: Fahren Sie nach Afrika?
Im Januar haben wir Urlaub und fliegen nach Afrika, um wieder im Pflegezentrum in Mandeni mitzuarbeiten. Wir machen aber auch gern anderswo Urlaub, es gibt so unendlich viele schöne Orte auf dieser Welt.
Als Sie anschließend nach Garbsen kamen: Wie groß war der Kontrast?
Wie soll ich darauf antworten? Bis zum Mond und wieder zurück? Wir kamen aus einer Welt, in der viele dankbar sind, auch wenn sie kaum das Nötigste zum Leben haben, hinein in eine Welt, in der viele furchtbar jammern, auch wenn sie im Überfluss leben. Es war nicht ganz leicht, da wieder Fuß zu fassen.
Werden Sie eigentlich oft auf Ihren Namensvetter, den Fußballstar vom FC Bayern München, angesprochen?
Ja, schon, und ich bin sehr froh, dass er ein so guter Fußballspieler ist, da fallen die Bemerkungen meist recht freundlich aus.
Mal abgesehen von dem Projekt: Was macht Garbsen lebenswert? Und was sollte besser werden?
Der liebe Gott scheint es gut mit Garbsen zu meinen und hat die Stadt in eine wunderschöne Landschaft gebettet. Durch die guten und gut angebundenen Radwege entstand ein wahres Fahrradparadies. So vielfältig wie die Landschaft erlebe ich auch die sehr unterschiedlichen Ortsteile, jeder mit einem unverwechselbar eigenem Charakter. Als bemerkenswert hilfsbereit und zur Hilfe in der Lage erlebe ich die Behörden. Wen wundert es da, dass man dort auch so viele unterschiedliche und doch liebenswerte Menschen trifft. Was ich nicht verstehe, obwohl ich schon so viel darüber gehört und gelesen habe, ist der Umgang mit dem Planetencenter. Manches muss man wohl einfach ertragen.
myheimat-Team:Annika Kamissek aus Bad Münder am Deister |
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