Reifen so lange nutzen, wie es erlaubt ist

Normalerweise versuchen Unternehmen, möglichst viel von ihren Produkten zu verkaufen. Michelin geht einen anderen Weg, zum Wohle von Verbrauchern und Umwelt, wie das Unternehmen sagt. Die Franzosen wollen erreichen, dass Autofahrer ihre Reifen so lange benutzen, wie es erlaubt ist. | Foto: © Mirko Stepan / mid/ TRDmobil
  • Normalerweise versuchen Unternehmen, möglichst viel von ihren Produkten zu verkaufen. Michelin geht einen anderen Weg, zum Wohle von Verbrauchern und Umwelt, wie das Unternehmen sagt. Die Franzosen wollen erreichen, dass Autofahrer ihre Reifen so lange benutzen, wie es erlaubt ist.
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(TRD/MID) Alleskönner, kostengünstige Alternative oder nicht ganz optimaler Kompromiss? Bei Ganzjahresreifen beispielsweise scheiden sich die Geister, trotzdem liegen die Allwetter-Pneus im Trend.

Knapp jeder dritte Autofahrer in Deutschland nutzt derzeit Ganzjahresreifen. 18 Prozent derjenigen, die zwischen Sommer- und Winterbereifung wechseln, planen auf die Einheitsreifen umzusteigen, für 26 Prozent ist dies eine Option. Das zeigt eine Umfrage eines Online-Reifen-Portals. Allerdings kommt die Nutzung der Allwetterreifen für mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) nicht in Frage, obwohl der Anteil der überzeugten Spezial-Reifen-Nutzer laut Umfrage bei lediglich 37 Prozent liegt.

Bei denjenigen, die von Sommer- auf Winterreifen wechseln, stehen die bessere Abstimmung auf die jahreszeitlichen Verhältnisse (79 Prozent) sowie Sicherheitsaspekte (62 Prozent) und das Bremsverhalten (58 Prozent) im Vordergrund.

Reifen müssen gesetzlich vorgeschrieben eine Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimeter haben. Wechseln sollte man die Reifen aber bei drei Millimeter Profil. Das raten zumindest Experten von Automobilclubs und zum Teil auch die Hersteller. Michelin möchte mit dieser Praxis Schluss machen und beweisen, dass der Wechsel bei der Mindestprofiltiefe keine nennenswerten Leistungseinbußen bringt und damit auch keine Sicherheitsrisiken birgt. Long-Lasting-Performance (LLP) heißt das bei Michelin – Leistung und Sicherheit ein Reifenleben lang, lautet die Botschaft.

Der Reifenhersteller hat aus dieser ambitionierten Idee ein Projekt gemacht, dessen Leiter Pierre Robert ist. Und der sagt: „Reifen werden heute nur im Neuzustand getestet. Sobald ein Reifen die Fabrik verlässt und den ersten Meter gefahren ist, ist er aber nicht mehr neu.“

Das gesteckte Ziel komme insbesondere auch der Umwelt zugute, heißt es beim Hersteller. 130 Millionen Reifen könnten jedes Jahr in Europa eingespart werden, wenn die gesetzliche Grenze beim Austausch beachtet würde, und nicht bei drei Millimeter Profiltiefe neue Pneus aufgezogen würden. Bei 195er Reifen wäre der – unnötige – Gummiturm 25.350 Kilometer hoch. 6,6 Millionen Tonnen weniger CO2 würden freigesetzt.

„Wir müssen davon ausgehen, dass die Diskussion, die wir anstoßen, uns kurzfristig kommerziell schaden wird“, sagt Ansih K. Taneja, Direktor von Michelin für Nordeuropa. Es gehe um Millionen Tonnen CO2, deshalb packe Michelin diese Thematik jetzt an.

Um zu beweisen, dass es anders geht, hat Michelin im ÖAMTC-Testzentrum Teesdorf bei Wien gebrauchte Reifen auf VW Golf montiert, die nur noch die gesetzliche Mindest-Vorgabe erreichen. Bei regennasser Fahrbahn mit einer Wasserhöhe von einem Millimeter – das entspricht einem heftigen Sommergewitter mit 100 Millimeter Regen je Stunde, was in weniger als einem Prozent der Fälle vorkommt – steht ein freilich nicht zertifizierter Bremstest-Selbstversuch aus 80 km/h an.

Also rein in den Kompakten, Gas geben bis Tempo 80, Tempomat an und auf Kommando des Instruktors: Vollbremsung. Dieses Procedere wird mit gefahrenen Reifen durchgeführt. Mit aufgezogenen Michelin-Reifen steht der Golf beim Nasshaftungs-Test nach 41 Meter, bei einem Fremdfabrikat mit bereits schlechteren Nasshaftungseigenschaften im Neuzustand benötigt er unter identischen Bedingungen 68 Meter Bremsweg. Weitere Versuche zeigen, dass Premiumreifen unter Umständen gebraucht besser bremsen als günstige Neureifen.

Damit lasse sich zeigen, dass Reifen – wenn sie entsprechend konstruiert sind – auch mit Minimalprofil immer noch tauglich und sicher sind. Michelin trifft diese Aussage natürlich nur für die eigenen Produkte, Pierre Robert wird aber nicht müde zu betonen, dass die Technologien vorhanden seien, um Reifen über ihren kompletten Lebenszyklus hinweg sicher zu machen – das sei für jeden Hersteller realisierbar.

Und auch ein anderer Aspekt ist zu berücksichtigen: Reifen werden mit schwindendem Profil immer effizienter, weil der Rollwiderstand geringer wird. Am Ende eines Reifen-Lebens liegt dieser bei etwa 80 Prozent im Vergleich zu einem fabrikneuen Pneus, was eine Kraftstoffersparnis von rund vier Prozent bedeutet. Das zeigt: Wer seinen Reifen bis zum Erreichen der gesetzlichen Profiltiefe nutzt, ist nicht nur sicher unterwegs, sondern spart wegen der Effizienzsteigerungen und natürlich der verlängerten Nutzungszeiten bares Geld.

Zwischen den Zeilen schwingt bei den Aussagen der Michelin-Verantwortlichen aber noch etwas anderes mit. Würde innerhalb der Reifen-Zertifizierung auch ein Gebrauchtreifen-Test eingeführt, würde das vor allem die Hersteller von Reifen im Niedrigpreis-Segment treffen. Fallen diese weg, weil sie wegen der schlechten Eigenschaften im Gebrauchtzustand keine Zulassung bekommen, müssen Kunden zwangsläufig auf Premiumhersteller wie Michelin ausweichen. Zwar später als bisher, wenn sie sich nach der 1,6-Millimeter-Vorgabe richten und ihre Reifen länger benutzen, aber mit einer geringeren Auswahl an Reifenherstellern und deren Produkten – jeder fünfte Pneus auf dem europäischen Markt könnte aus den Regalen gefegt werden.

Ob das ein Nebeneffekt ist oder kühl kalkuliert von Michelin, kann dahingestellt sein – die Entlastung der Umwelt ist messbar, ohne die Sicherheit der Kunden einzuschränken – und laut Michelin auch ohne Mehrkosten. Das ist in Zeiten von Diesel-Gate und Schummel-Software doch eine gute Nachricht.

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Bürgerreporter:in:

Heinz Stanelle aus Düsseldorf

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