Organspende: Hirntodkonzeption und -diagnostik müssen auf den Prüfstand
Organspende: Hirntodkonzeption und -diagnostik müssen auf den Prüfstand
In den letzten Jahren kam die Organspende nicht mehr aus den Schlagzeilen heraus: Manipulationen bei der Warteliste, mangelnde Transparenz oder schwere Vorwürfe gegen die Koordinierungsstelle DSO haben dem Vertrauen der Bevölkerung schwer geschadet. Doch statt Transparenz zu schaffen und das Organspendesystem komplett auf den Prüfstand zu stellen versucht die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Akteuren, möglichst alles beim Alten zu belassen.
Insbesondere beim Tabuthema „Hirntod“ fehlt die Bereitschaft zu einer offenen Auseinandersetzung. Dabei wächst in der Bevölkerung, bei Medizinerinnen und Medizinern sowie bei Ethikerinnen und Ethikern die Skepsis sowohl gegenüber der Hirntodkonzeption (siehe z.B. Veranstaltung des Deutschen Ethikrats vom 21. März 2012 als auch gegenüber der Hirntoddiagnostik (siehe Fernsehbericht von Report-München vom 20.November 2012.
In einer kleinen Anfrage schildern Kathrin Vogler und die Fraktion DIE LINKE, welche Fragen und Probleme es mit Hirntodkonzeption und -diagnostik gibt. Die Antworten der Bundesregierung offenbaren:
a) Die Bundesregierung will ungeachtet aller Ungereimtheiten im Organspendesystem keine Änderungen vornehmen.
b) Die berechtigten Zweifel renommierter Fachleute an der Hirntodkonzeption werden von der Bundesregierung nicht wahrgenommen.
c) Die Bundesregierung verschließt die Augen vor der unzureichenden Qualifikation vieler Ärztinnen und Ärzte zur Hirntodfeststellung.
d) Die Bundesregierung leugnet, dass lange vor dem Hirntod bestimmte medizinische Maßnahmen an den Patientinnen und Patienten vorgenommen werden, die nicht dem Patientenwohl dienen, sondern der Gewinnung möglichst vieler und guter Organe.
e) Über Widersprüche zwischen einer Erklärung zur Organspendebereitschaft und Patientenverfügungen wird nur unzureichend aufgeklärt.
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Kommentare zu den Antworten der Bundesregierung
a) Das Organspendesystem auf den Prüfstand stellen – oder weitermachen, als wäre nichts geschehen?
(aus: Antwort der Bundesregierung auf Frage 21)
"Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich das bestehende Organspendesystem bewährt hat. Für Änderungen an diesem System wird kein Bedarf gesehen."
Diese Antwort der Bundesregierung ist erschreckend und ernüchternd, denn sie legt ihre grundsätzliche Haltung zu dem bestehenden Organspendesystem dar: Trotz aller Skandale, Manipulationen, Anfälligkeiten und der auch in der Fachwelt wachsenden Skepsis gegenüber Hirntodkonzeption und -diagnostik will sie unbedingt und ohne Änderungen daran festhalten.
Exakt vor Jahresfrist waren fast alle Parteien und sogar die Bundesärztekammer einig, das Organspendesystem umfassend auf den Prüfstand stellen zu wollen. Mit ihrer Antwort belegt die Bundesregierung, dass das bloße Lippenbekenntnisse waren. Denn das Wenige, das zwischen Bundesärztekammer und Gesundheitsministerium vereinbart wurde, und die beiden kleinen Änderungen am Transplantationsgesetz, die in allerletzter Minute zwischen sämtlichen Bundestagsfraktionen vereinbart werden konnten, reichen bei Weitem nicht aus.
In den letzten zwölf Monaten haben das Bundesgesundheitsministerium, die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) und die Bundesärztekammer vor allem abgewartet und verschleppt, in der Hoffnung, dass Gras über die Sache wächst. Das ist ein Unding.
b) Wann ist ein Mensch tot?
(Aus: Vorbemerkung der Bundesregierung)
„Auch ist weltweit keine Wissenschaftliche Fachgesellschaft der Auffassung von Prof. Shewmon gefolgt, dass ein hirntoter Mensch lebe.“
(aus: Antwort der Bundesregierung auf Frage 1)
„Vor diesem Hintergrund kommt die Bundesregierung zu dem Schluss, dass die Kritikpunkte einer wissenschaftlichen Diskussion nicht standhalten".
In einer aktuellen Befragung intensivmedizinischen Fachpersonals zur postmortalen Organspende in Deutschland nannten immerhin 40 Prozent die fehlende Akzeptanz des Hirntodkonzepts als Grund gegen eine Organspende.
(vgl. G. Söffker, M. Bhattarai, T. Welte, M. Quintel, S. Kluge in: Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin 2013, DOI 10.1007/s00063-013-0271-x; © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013)
Über diese Bedenken der Pflegekräfte sowie der Ärztinnen und Ärzte, die sich um die sterbenden Menschen vor einer Organentnahme kümmern, sollte zumindest vorurteilsfrei nachgedacht werden. Es ist gewiss äußerst schwierig und sehr bedrückend, Verrichtungen an Menschen vornehmen zu müssen, ohne genau zu wissen, ob diese nun noch leben oder schon tot sind.
Nicht nur der US-amerikanische Neurologe Prof. Alan Shewmon, der selbst lange Jahre Befürworter der Hirntod-Konzeption war, zieht inzwischen in Zweifel, dass zum Zeitpunkt der Hirntod-Feststellung der Tod schon eingetreten ist.
Auch das Pendant zum Deutschen Ethikrat in den USA, das President’s Council on Bioethics", vertritt mittlerweile die Einschätzung, dass eine Gleichsetzung von Hirntod und Tod nicht mehr aufrechtzuhalten sei.
c) Wie (un)sicher ist die Todesfeststellung vieler Ärzte?
(aus: Antwort der Bundesregierung auf Frage 17)
"Die Bundesregierung hält die derzeitige Qualifikation der mit der Hirntodfeststellung beauftragten Ärztinnen und Ärzten für ausreichend."
(aus: Vorbemerkung der Bundesregierung [zu II. d])
„Die Fähigkeit zur Feststellung, ob ein Patient lebt oder verstorben ist, gehört zu den Grundlagen ärztlichen Handelns und ist somit eine wesentliche Qualifikation zur ärztlichen Berufsausübung.“
Hinsichtlich der Qualität vieler Hirntoddokumentationen offenbart die Bundesregierung ihre völlige Unkenntnis. Renommierte Mediziner mit großer Erfahrung in der Hirntodfeststellung haben (in der Sendung „Tabuthema Hirntod -- Zweifel an der Qualität der Diagnostik“ von REPORT MÜNCHEN vom 21.11.2012) dargelegt:
Die Ausbildung vieler Ärztinnen und Ärzte reicht für diese heikle Diagnostik oft nicht aus. So glaubten sie in etwa 30 Prozent der Fälle fälschlicherweise, der Hirntod läge bereits vor, obwohl die Patientin oder der Patient noch lebte und bei genauer Untersuchung die vorgeschriebenen Symptome für den Hirntod nicht vorhanden waren.
d) Medizinische Maßnahmen ausschließlich zum Patientenwohle oder auch zur Gewinnung möglichst vieler und guter Spenderorgane?
(aus: Vorbemerkung der Bundesregierung [zu II.f])
"Alle (intensiv-)medizinischen Maßnahmen, die vor Feststellung des Hirntodes durchgeführt werden, dienen der Behandlung des Patienten und der Wiederherstellung seiner Gesundheit."
Was die Bundesregierung über die medizinische Betreuung zur Vorbereitung von Hirntodfeststellung und Organspende äußert, ist noch nicht einmal halb wahr:
Schon lange vor der Hirntodfeststellung beginnen bei potentiellen Organspenderinnen und -spendern vorbereitende Maßnahmen für die geplante Organentnahme. Hierbei steht die Feststellung und Erhaltung der Qualität von möglicherweise zu entnehmenden Organe im Mittelpunkt. Die dazu notwendigen medizinischen Maßnahmen haben oft nichts, aber auch gar nichts mit Behandlung und Wiederherstellung der Gesundheit der Patientin beziehungsweise des Patienten zu tun, auch wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort dies vehement abstreitet.
So erfordert die Hirntodfeststellung mittels Überprüfung von Hirnstammreflexen notwendigerweise das Absetzen von Schmerzbehandlung und Sedierung, damit die Tests nicht fälschlicherweise den Hirntod anzeigen. Wenn die Bundesregierung aber wirklich meint, dass das Abstellen einer schmerzlindernden Behandlung im Interesse des Patienten sei und der Wiederherstellung seiner Gesundheit diene, halte ich das schon für zynisch.
In manchen Ländern wird häufiger eine apparative Zusatzdiagnostik (EEG, transkranielle Dopplersonographie und Perfusionsszintigraphie) angewandt, um auf diesem Wege nachzuweisen, dass die Hirnströme komplett ausgefallen sind und das Hirn nicht mehr durchblutet wird.
e) Widerspruch zwischen Patientenverfügung und Erklärung zur Organspende?
(aus: Vorbemerkung der Bundesregierung [zu II.h])
„Zur Vermeidung sich widersprechender Erklärungen sind die Krankenkassen (…) verpflichtet, ihren Versicherten gegenüber fachlich qualifizierte Ansprechpartner für Fragen zur Organ- und Gewebespende sowie zur Bedeutung einer zu Lebzeiten abgegebenen Erklärung zur Organ- und Gewebespende, auch im Verhältnis zu einer Patientenverfügung, zu benennen.“
Viele Menschen haben in ihren Patientenverfügungen stehen: „Wenn eine derart schwere Krankheit vorliegt, die nach ärztlichem Ermessen unabwendbar zum Tode führen wird, möchte ich im Sterbeprozess möglichst von Schmerzen freigehalten werden und keine lebensverlängernde intensiv-medizinische Maßnahmen.“ Der Verzicht auf künstliche Beatmung wird dabei zumeist ausdrücklich eingeschlossen und unter „würdevollem Sterben“ das Abschalten der Geräte verstanden, wenn klar ist, dass der Sterbeprozess nicht mehr umzudrehen ist.
Solche Verfügungen sind mit der Organspende schwerlich vereinbar, da hierfür Intensivmedizin, künstliche Beatmung und eine Unterbrechung der Schmerztherapie unumgänglich sind. Deshalb sollen sie nach Ansicht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und von ihr entsandten Inhousekoordinatoren abgeändert werden: „Bei Prognose infaust nicht sofortige Therapielimitierung, sondern primär organerhaltende Therapie“, diese Maßnahme soll laut einem Forschungsgutachten im Auftrag der DSO zur „Ausschöpfung zusätzlichen möglichen Spenderpotentials“ beitragen (S. 71).
Darum benötigen diejenigen, die ihre Patientenverfügung und ihre Organspendebereitschaft in Einklang bringen wollen, hierzu eine gute und vor allem wirklich ergebnisoffene Beratung im Vorfeld. Denn wenn sie pauschal erklären, dass sie der Organspendebereitschaft den Vorrang vor ihrer Patientenverfügung geben wollen, dann sollte ihnen fairer Weise erklärt werden, an welchen Punkten deswegen ihre Wünsche nach einem ganz bestimmten Umgang und einer ganz bestimmten medizinischen Versorgung am Lebensende – also noch vor dem Tod – angepasst werden müssen bzw. ausgehebelt werden.
Doch darüber haben die allermeisten Beraterinnen und Berater der Kassen selbst keine Informationen, oder sie glauben fälschlicherweise – genau wie die Bundesregierung in der Antwort auf die kleine Anfrage der LINKEN– dass die Patientinnen und Patienten bis zum Tod genau die gleiche Therapie erhalten würden, egal ob sie ihre Organe spenden wollen oder nicht. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen ein unmittelbares Interesse an der Erhöhung der Spenderzahlen haben. So fallen die Beratungen der Kassen und Versicherungsunternehmen wahrscheinlich nur bedingt ergebnisoffen aus.
Quelle:
Bürgerreporter:in:Brandy Hügel aus Düsseldorf |
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