Buchtipp
"Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" von Sarah Brooks
Obwohl der Titel es zunächst vermuten lässt, ist "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" kein Reiseführer, sondern ein vielschichtiger Fantasyroman, der eine düstere und beklemmende Welt entwirft. Sarah Brooks nimmt den Leser mit auf eine Reise im Transsibirien-Express, die alles andere als ein Traum ist – sie wird zum Alptraum.
Die Reise beginnt im Jahr 1899 in Peking. Nach einem Zwischenfall startet endlich wieder der Transsibirien-Express mit Ziel Moskau. Zwei Wochen wird er 6.000 Kilometer quer durch das sogenannte Ödland, eine geheimnisvolle Wildnis zwischen China und Russland, fahren - ohne Halt. Der hermetisch abgeschlossene Zug wird zur Bühne für eine surreale Fahrt ins Ungewisse. Die Landschaft draußen – fremdartig, feindlich, in ständiger Transformation, ausgeschlossen durch das Glas der Zugfenster – spiegelt die zunehmende Isolation der Reisenden innerhalb des Zuges wider. Inmitten dieser Enge entwickeln sich die Schicksale der Passagiere, darunter das Zugkind Wei Wei, das im Zug geboren wurde und aufgewachsen ist. Es entdeckt als Erstes, dass sich ein unheimlicher blinder Passagier an Bord befindet. Beide Figuren stehen symbolisch für die Grenzen zwischen Innen und Außen, Mensch und Ödland, Realität und Fantasie.
Doch der wahre Wendepunkt des Romans ist das zerstörte Gleis, das den Zug zwingt, seine Route zu verlassen. Als der Zug zum Stillstand kommt, bricht das äußere Chaos über die hermetische Ordnung herein. Plötzlich dringt die unwirtliche Wildnis, die vorher nur Kulisse war, ins Innere des Zuges ein – physisch, emotional und metaphorisch. Brooks spielt meisterhaft mit dieser Durchbrechung der Grenze zwischen Innen und Außen. Es ist ein Moment, in dem die ohnehin fragile Sicherheit der Protagonisten endgültig zusammenbricht.
Die Sprache des Romans ist präzise, beinahe klinisch, was die beklemmende Stimmung noch verstärkt. Brooks beschreibt Sibirien ohne jegliche romantisierende Klischees. Die Umgebung Sibiriens ist menschenfeindlich, nur der Zug bietet Sicherheit vor den Gefahren der Welt da draußen. Stattdessen gelingt ihr eine subtil apokalyptische Darstellung, die den Leser immer tiefer in die Abgründe von Isolation und Entfremdung zieht.
Der Roman "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" ist eine packende, verstörende Reise, die den Leser dazu zwingt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was passiert, wenn das Vertraute zerbricht und man sich den Schrecken des Unbekannten stellen muss. Für alle, die sich auf diese düstere Reise einlassen, bietet Sarah Brooks jedoch ein literarisches Erlebnis, das lange nachhallt.
Bürgerreporter:in:Norbert Opfermann aus Düsseldorf |
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