Aus der Interviewserie "Menschen einer Stadt": Modernes religiöses Leben
>Gespräch mit Dekan Ottmar Kästle und Gemeinderatsvorsitzendem Xaver Kinzler< Sei es beim Papst-Besuch in Bayern 2006, sei es auf den jährlichen Festen in unseren Städten und Gemeinden oder in Jugendorganisationen: Vielfach kann der Eindruck aufkommen, Religion spreche Jugendliche wieder verstärkt an. Wie sieht denn überhaupt heute, in der Gegenwart, religiöses Leben aus? Wolfgang Leitner sprach für die WZ mit Dekan Ottmar Kästle und Gemeinderatsvorsitzendem Xaver Kinzler.-
Modernes, religiöses Leben
Aus unserer Interviewserie “Menschen einer Stadt”:
Gespräch mit Dekan Ottmar Kästle und Gemeinderatsvorsitzendem Xaver Kinzler
Sei es beim Papst-Besuch in Bayern 2006, sei es auf den jährlichen Festen in unseren Städten und Gemeinden oder in Jugendorganisationen: Vielfach kann der Eindruck aufkommen, Religion spreche Jugendliche wieder verstärkt an. Wie sieht denn überhaupt heute, in der Gegenwart, religiöses Leben aus? Wolfgang Leitner sprach für die WZ mit Dekan Ottmar Kästle und Gemeinderatsvorsitzendem Xaver Kinzler.
WZ: “Herr Dekan, können Sie sich erinnern, was Sie ursprünglich motiviert hat, diesen besonderen Berufsweg zum Priesteramt einzuschlagen? Gibt es da ein Schlüsselerlebnis, etwas das ihre Motivation darstellen könnte?”
Dekan Ottmar Kästle (D. O. K.): “Da kann ich mich natürlich noch sehr, sehr gut erinnern! 1964 machte ich in Dillingen Abitur, und da stellt sich die Frage: ja, was macht man danach? Zunächst bin ich dann nach München gegangen, da mich Medizin sehr interessiert hat, und ich machte einen Krankenpflegerkurs, absolvierte viele Nachtdienste in dem Krankenhaus dort, wo damals sehr viele Schwerstkranke waren. Ich begleitete viele Menschen im Sterben, und da gab es ein solches Schlüsselerlebnis, ein Mann, bei dem ich alles daran setzte, sein Leben zu retten, aber er starb, und in den letzten Augenblicken seines Lebens brachte er mir zum Ausdruck, wieviel ihm meine Nähe bedeutet hat. Es kam noch ein Arzt, der meinte, da sei nichts mehr zu machen ... - und ein Pfarrer, und ich erkannte, wie ganz anders ein Priester helfen kann.
Ich selber komme aus einem sehr religiösen Elternhaus, das Gymnasium und auch mir nahestehende Freunde, die bereits Priester waren, und da war auch noch ein junger Priester, der mit 36 Jahren nach schwerer Krankheit starb, und in den zwölf Wochen seines Leidens zum Tod begleitete ich ihn, und durch ihn erfuhr ich ja, Freiheit und Weite, und diese Weite, die er lehrte und ausstrahlte, hatte mich sehr beeindruckt ... das hat mich für mein ganzes Leben geprägt, diese Weite. 1970 wurde ich in der Diözese Augsburg zum Priester geweiht. Da ich sehr gerne mit Jugendlichen gearbeitet habe, wurde ich später Dekanats- und Regional-Jugendseelsorger [ ... ] Später war ich Gefängnisseelsorger, unterrichtete an Gymnasium und Realschule, hier in Donauwörth übrigens an der Mangoldschule. Das ist mir sehr wichtig, um die Erstkommunionkinder kennenzulernen, die Familien und Menschen ...”
WZ: “Das Besondere ihrer Motivation liegt also in jenen Grenzsituationen des Sterbens und Leidens, denen wir gewöhnlich im gesellschaftlichen Leben nicht leicht begegnen, die ein Tabu darstellen.
Viele wissen heute nicht mehr, dass der Aschermittwoch nicht nur das Ende des Faschings darstellt, sondern das Ritual des Aschekreuzes, das Gläubigen an diesem Mittwoch aufgelegt wird, eine besondere Bedeutung hat ... “
D. O. K.: “Ja, wir beginnen da die Fastenzeit, die österliche Vorbereitungszeit, die uns hineinführt in den Kreuzestod Jesu Christi, darüber hinaus in die Auferstehung, sie soll uns einstimmen, unser Leben bewusst zu gestalten, aus Christus, dem heilen, heilbringenden zu leben, aus ihm heraus, um ein erfülltes Leben zu bekommen. Christus ist sozusagen nicht erst nach dem Tod für uns da, sondern fängt an, wenn wir uns einander zuwenden, aus einer intimen und engen Beziehung zu Gott leben, aus ihr schöpfen, um auch anderen Mut zu machen.”
WZ: “Sie verstehen religiöses Leben also nicht als eine Vertröstung >für danach< sondern als Gegenwart, für den Alltag. Wie sieht Ihr Weg, Herr Kinzler, ins religiöse Leben aus? Was prägte Sie?” Xaver Kinzler (X. K.): “Auch ich komme aus einer eher religiösen Umgebung, und durch meine Frau, sie war Kindergartenleiterin, näherte ich mich der Gemeinde an, zunächst als Lektor, als Kommunion- und Gottesdiensthelfer. [ ... ]” D. O. K.: “Prägend für mich war natürlich vor allem auch die Arbeit mit der Gemeinde, der Dienst am Kranken, der Umstand, dass ich die Sozialstation mit aufgebaut habe, die Kurzzeitpflege, dass ich da bin für Kranke, Ratsuchende, auch für jene, die am Rande stehen, oder durch Zufall begegne, wobei es keinen Zufall gibt, denn der Herrgott lässt mir diese Begegnungen eben “zufallen” ...” WZ: “Für Sie beide ist also Gemeinschaft ein zentrales Moment religiösen Lebens?” D. O. K.: “Das religiöse Leben, glaube ich, kann intensiv nur in der Gemeinschaft erlebt werden.” WZ: “Kinder und Jugendliche in der Kirche: Vielleicht haben wir besonders deutlich durch den Papstbesuch in Bayern 2006 erkennen können, dass viele Jugendliche, ja Massen, am kirchlichen Geschehen teilnehmen, dass sie interessiert sind, neugierig auf das, was da ist. Gibt es so etwas wie eine “Renouveau catholique” in unserer Gesellschaft? Eine Erneuerung und Wiederbelebung heute?” D. O. K.: “Ich teile die Meinung unserer Bischöfe, die zu Neujahr verlauten ließen, dass die Frage nach Gott wieder öffentlich gestellt wird, dass viele Menschen auch in der Öffentlichkeit Fragen des Glaubens stellen. Wenn Sie aber insbesondere den Papstbesuch ansprechen, so meine ich, dann hängt das sehr stark mit einem Wandel in unserer Gesellschaft zusammen. Der Einzelne möchte sich nicht mehr binden, festlegen, es gibt da einen “Event-Charakter” des Erlebens, weg von konkreten, kontinuierlichen Bindungen. Darüber klagen ja auch die Vereine ... . Da ist durchaus etwas Positives. Aber der Einzelne sucht mehr den Event, weniger das Kontinuierliche Mitarbeiten ...” X. K.: “ ... oder einfach zu einer bestimmten Zeit da zu sein, regelmäßig, die Zeit zu opfern. Wenn ich das vergleiche, da fährt man lieber in den Urlaub, einmal hierhin dann dort. Die Leute helfen schon, wenn man sie anspricht konkret; aber dann nicht dauerhaft: sich zu binden, Verantwortung zu übernehmen, da meine ich, sind das nur wenige Ausnahmen.” D. O. K.: “Der religiöse Mensch - der Mensch ist religiös! - braucht auch den fest umrundeten Rahmen des Ortes “Kirche”, des Gottesdienstes, aber er braucht auch einen Raum zum Experimentieren.” WZ: “Wie sehen Sie das Bedürfnis nach mehr Offenheit, vielleicht Reformen, und andererseits nach diesem “Festen”, einer kontinuierlichen Ordnung, Herr Kinzler?” X. K.: “Dieses Feste, ja das brauchen Kinder, das ist zu bejahen. Ja, aber große Reformen?” WZ: “Was würden Sie sich anders wünschen? Es gibt ja einerseits die Notwendigkeit der Ordnung, der verbindlichen Konventionen im sozialen Leben, einer Basis, auf der sich soziales Leben abspielt; wo aber - nach Ihrer Meinung - müsste sich Kirche stärker öffnen, sich dem Menschen von heute zuwenden?” X. K.: “Was ich oft vermisse, wenn ich Leuten begegne, das ist die F r o h e Botschaft; meist sehen viele nur die Strenge, das Eingefahrene, das Altüberlieferte. Da wird dann gesagt: Ich kenne das aus meinem Religionsunterricht doch so und so! Zu oft sehen wir im Christentum nur das Ernsthafte - aber ein Christ ist doch ein zuversichtlicher, ein froher Mensch, der auch gerne Feste feiert, fröhlich ist, das Leben genießt, mitten drinnen steht ...” D. O. K.: “Wir sind da Kinder des Zweiten Vatikanums, wir waren voll Tatendrang, wir wollten reformieren. Wir meinten, wir verbessern die Welt, nach der Liturgiereform. Aber was kam? Es kam die deutsche Sprache, aber vor der Reform gab es auch schon die Möglichkeit der deutschen Bet-Sing-Messe. Dieser Aufbruch durch Johannes XXIII., der diese Entwicklung eingeleitet hat, der da sagte: Jeder ist mündiger Christ! Da entstand eine Tendenz, stark beansprucht, wohl überbeansprucht. Jetzt wollen die Menschen wissen: Wo geht's lang? Aber apropos Reform: Wo Menschen sind, wird es immer Veränderung und Reformen geben, denn ohne sie ist kein Leben. Doch da ist noch etwas anderes, was dem religiösen Leben widerspricht, auch dem Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit, das ist die Schnelllebigkeit unserer Zeit, die Fluktuation, ich meine den oftmals beruflich bedingten Wohnortwechsel ...” X. K.: “Ja, Schnelllebigkeit, die enormen Veränderungen, wenn ich daran denke, wie rasant sich da das Arbeitsleben heute ändert, z. B. bei mir - ich bin Vermessungsingenieur - technische Neuerungen, die kaum ein Jahr andauern, dann wieder etwas Neues ...” D. O. K.: “Und da steht der Mensch durch sein Berufsleben unter Druck, da ist das Gefühl, ich muss mitkommen, am Ball bleiben - sonst falle ich durch! Da sind Ängste, Ängste, die es früher so nicht gab ...” WZ: “Natur und Schöpfung, Naturschutz, wir sehen, wie die Natur am Limit angelangt ist - ein christliches Thema?” D. O. K.: “Selbstverständlich ist Naturschutz ein christliches Thema! Uns ist die Schöpfung anvertraut! Aber auch da spielt wieder unsere Mentalität und Zeit eine Rolle, wir leben in einer Konsumgesellschaft, wir wollen auch hier am Ball bleiben, unser Ansehen wahren, in nichts >zurückstehen<. Auch im Konsumieren stehen wir unter Druck, Wettbewerb, mitmachen ... .” WZ: “Vielleicht also kann der moderne Mensch gerade in seinem religiösen Leben einen möglichen Ansatz schaffen, einen Freiraum, um aus diesem nicht selten menschenunwürdigen >Wettrennen der Zeit< heraus zu seiner Menschlichkeit zu finden, seinem wahren Wesen sich wieder anzunähern, einen Versuch, seine Menschlichkeit in allen seinen Aspekten zu entdecken und zu gestalten - etwas, das wohl unsere Gesellschaft wie auch den Einzelnen reich machen würde. Herr Dekan, Herr Kinzler, ich bedanke mich für dieses Gespräch.”
Bürgerreporter:in:Wolfgang Leitner aus Donauwörth |
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