Den Umständen entsprechend...
ist eine häufige Antwort, wenn mensch gefragt wird, wie es ihm geht. Dabei stellt sich außenstehenden dann immer die Frage, an welchem Maßstab diese Umstände gemessen werden. Natürlich immer nur an dem eigenen, der eigenen Sicht der Dinge, der eigenen Einschätzung der Wertigkeit der Erlebnisse und an der eigenen Einschätzung des Daseins. Bei uns Tieren ist das ein wenig anders.
Wenn ich hier im Tierheim herumfrage "Na, wie geht es Euch denn?", dann erhalte ich zumeist die Antwort "so gut, wie nie zuvor!".
Sicherlich mag das für den ein oder anderen seltsam sein, aber letztlich doch nachvollziehbar. Viele Bewohner hier haben ein Leben hinter sich, dass von Schmerz, Angst und Überlebenskampf geprägt war. Werde ich morgen wieder etwas zum essen finden oder werde ich morgen wieder um mein Leben rennen müssen, werde ich morgen einen sicheren Schlafplatz finden oder werde ich mich noch im Schlaf fragen müssen, ob mir etwas Schlimmes widerfahren wird. Das Leben als Tier auf dieser Welt ist nicht einfach. Wir, die wir hier im Tierheim leben dürfen, haben einen großen Schritt in Richtung Sicherheit gemacht. Aber viele Artgenossen werden dies nie schaffen - sie werden nie erfahren, dass der Mensch auch nett sein kann oder sie werden ihre eigene Rasse immer fürchten müssen. Immer wenn wir Neuzugänge bekommen, die von einem Leben auf der Straße berichten, bin ich froh, dass ich diesen Kampf nie führen musste. Mein Leben vor dem Einzug hier war vielleicht nicht optimal, aber es war nicht gefährlich. Ich hatte Menschen, die es versucht haben, es aber einfach nicht geschafft haben, sich wirklich mit mir zu beschäftigen. Nein, ich fange nicht an zu jammern. Mein Leben ist zur Zeit ziemlich außergewöhnlich. Ich erlebe gerade sehr viele neue Sachen und habe einen neuen besten Freund gefunden. Der wohnt zwar nicht im Tierheim, aber er kommt mich besuchen und hin und wieder darf auch ich ihn besuchen.
Ich bin mir nur nicht so sicher, ob er sich wirklich immer freut mich zu sehen, weil er dann seine Menschen mit mir teilen muss. Ich bin auch nicht so gut im teilen. Ich will auch gerne die Aufmerksamkeit ganz für mich alleine haben. Aber ich muss schon sagen, dass er wirklich ein ziemlich cooler Hund ist. Ich durfte sogar schon mal über Nacht bleiben und er hat mich nicht geschimpft, weil ich lauter geschnarcht habe, als er. Ich finde es ganz spannend ihn zu besuchen und Zeit bei ihm in seinem Haus zu verbringen, weil ich ja das Leben in einem Haus nicht so richtig kenne - oder vielmehr vergessen habe. Es gibt so viel zu verstehen und manche Dinge werde ich wohl nie wirklich mögen. Staubsaugen ist so eine Sache, auf die ich verzichten könnte. Kochen von Abendessen finde ich mega super. Schlafengehen ist so eine Sache für sich, weil ich doch immer sehr aufgeregt bin, wenn ich außer Haus übernachten darf. Nicht, dass ich das schon jemals so in der Form gemacht habe, aber es war in der Tat ziemlich seltsam, nicht zum Essen wieder im Tierheim zu sein und dann in einer fremden Umgebung mit vielen neuen Gerüchen und Geräuschen schlafen zu sollen. Ich gebe zu, ich war ziemlich aufgeregt und bin viel rumgelaufen. Ich glaube aber, dass mein Kumpel mir das verziehen hat. Er war auch mal in meiner Lage und hat sich dann doch recht schnell an ein geordnetes Leben mit Vorschriften und Regeln gewöhnt. Zumindest sagt er das immer. Er meint, dass es gar nicht so schwer ist, sich an Menschen zu gewöhnen, wenn man ihnen ihre Eigenheiten lässt. Er sagt, ich soll lieber mehr kuscheln und lächeln, dann gibt es auch eher ein ganz besonderes Leckerli. Ich muss gestehen, zu Beginn habe ich ihn ziemlich schief angesehen, aber dann habe ich angefangen zu verstehen, wovon er redet und wenn ich mir sein Leben ansehe, dann scheint er ein echter Menschenversteher zu sein. Also habe ich beschlossen auf meinen Freund zu hören und mir seine Ratschläge zu Herzen zu nehmen. Seien Sie mir also nicht böse, wenn ich hin und wieder von meinem Kumpel erzähle.
Aber jetzt lassen Sie mich mal zum Geschehen im Tierheim kommen.
Zuerst einmal möchte ich danke an Shircan sagen, der den letzten Beitrag so schön übernommen hat. Er ist schon ein richtiges Urgestein hier im Tierheim und ich bin mir sicher, dass genau hier ist, wo er auch sein will. Ich freue mich immer sehr, wenn ich sehe wie er und seine Freundin Mila abends ganz pünktlich zum Füttern kommen, warten bis dann Ruhe eingekehrt ist und alle Menschen weg sind und dann ihr Tierheim gänzlich einnehmen. Zu Beginn hatte ich mich immer mal gefragt, ob den Beiden nicht eine Familie fehlt, bis mir aufgefallen ist, dass sie eine riesengroße Familie haben, die sich liebevoll um sie kümmert.
Auch hat mir der gute Shircan erklärt, warum ich so viele Gesichter im Katzenhaus kenne. Das ist an sich nicht normal, da gerade die jungen Katzen doch sehr schnell eine neue Familie finden. Aber wir haben leider gerade sowas wie Ausschlag bei den Katzen. Keine Angst, unsere Menschen achten sehr sorgsam darauf, dass sich kein Neuzugang ansteckt und auch wir Hunde werden gut geschützt - wie immer - aber viele der jungen Katzen müssen erst noch fertig behandelt werden, ehe sie ausziehen können. Das soll wohl nur ein paar Wochen dauern, sagt Shircan und somit auch bald ausgestanden.
Aber in den aktuell außergewöhnlichen Zeiten, in denen Zusammenhalt und Geduld gefragt ist, werden wir das auch noch in den Griff bekommen.
Wichtig ist, dass wir nicht ungeduldig werden und falsche Entscheidungen treffen. Ich kenne mich selbst, ich bin kein Meister der Geduld und ich bin auch nicht wirklich die Ruhe selbst, aber auch ich weiß, dass sich warten meistens lohnt.
Deswegen vergessen Sie uns nicht und rufen Sie unsere Menschen an, wenn Sie uns kennenlernen möchten. Wir dürfen Besuch bekommen, wenn Sie sich überlegen, Ihre Familie zu erweitern. Sie können mit unseren Menschen am Telefon reden, sie erklären Ihnen alles, was Sie wissen möchten und wenn Sie mit uns Hunden Gassi gehen wollen, dann fragen Sie vorher nach, ob es möglich ist. Nicht jeder von uns kann gut mit Kindern oder Fremden. Nicht jeder hat sofort einen Draht zu Männern oder Frauen und manchen von uns erfordern Kraft, wenn es darum geht, unsere Leine im Fall der Fälle festhalten zu können. Aber unsere Menschen beißen nicht, rufen Sie an und fragen Sie nach oder schreiben Sie uns, wir freuen uns auch immer über liebe E-Mails.
Und damit wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag.
Ihr
Pino
... schöne Tiere und ein hervorragender Bericht... :-)
GJ