Auf Martin Luthers Spuren zur Wartburg
Keine Burg in Deutschland könnte mehr vom Hauch der Geschichte und der Mystik umweht sein wie gerade diese. Auf 400 Metern Höhe über Eisenach thront sie im Thüringischen auf einem bewaldeten Bergrücken, die Wartburg. Legenden und wirkliche Geschehnisse machten sie zur wohl bedeutendsten aller deutschen Burgen.
In erster Linie sind es zwei Ereignisse, die den Ruf dieser Burg geprägt haben. Vor 800 Jahren war es der Sängerkrieg, der dort der Legende nach stattgefunden hat. Minnesänger damaliger Zeit, unter anderen Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide, traten unter dem Landgrafen Hermann I. zu einem Wettstreit an, in dem sie ihre Sangesgedichte vortrugen. Vereinbart war zuvor, dass der Unterlegene noch am selben Tag vom Henker hingerichtet werden sollte. Doch so weit sollte es dann doch nicht kommen. Heinrich von Ofterdingen, der als einziger seinen Gastgeber in seinem Minnegesang nicht lobte, verlor diesen Wettstreit zwar, flüchtete jedoch zur Landgräfin, die ihn unter ihren Schutz stellte. Dem herbeigeholten Meister Klingsor, der Sternendeuter und Zauberer war, der als bester Sänger seiner Zeit galt und der deswegen den Respekt und die Achtung aller hatte, gelang es schließlich, den Streit zu schlichten, ohne, dass einer der Beteiligten dabei sein Gesicht verlor. In der Zeit der Romantik gewann der Stoff dieser Sage an Bedeutung. E. T. A. Hoffmann oder Novalis griffen ihn auf. Am bekanntesten ist er aber durch Richard Wagners „Tannhäuser“ geworden.
Gut 300 Jahre später war es ein ganz anderes Ereignis, das im Gegensatz zum Sängerkrieg wirklich stattgefunden hat. Ein noch unbedeutender Augustinermönch, der es in Wittenberg zum Theologieprofessor brachte, war es, der für Furore sorgte. Nachdem er schon 1512 bei einem Besuch in Rom über den Sittenverfall dort entsetzt war, sah er nicht ein, warum gegen den Kauf von Ablasszetteln die Sünden der Menschen erlassen werden sollten, um diese vor dem lodernden Fegefeuer zu bewahren. Für ihn war das nur Geldschneiderei weit ab jeder Moral. Auch auf viele andere Missstände der Kirche wies Luther hin.
Im Jahr 1517 war es dann, als Luther seine 95 Thesen, die sich gegen diesen Ablasshandel richteten, veröffentlichte und damit die Reformation und schließlich die Spaltung der Kirche, die er gar nicht wollte, einleitete.
Natürlich konnte sich die Kirche das nicht bieten lassen. Der Bischoff benötigte Geld, um seine Schulden bei den Fuggern bezahlen zu können. Der Papst benötigte es ebenfalls, um den Bau des Petersdomes finanzieren zu können. So wurde Luther, nachdem er schon zuvor 1518 in Augsburg verhört worden war, 1521 in Worms vor dem Reichstag vorgeladen. Dort wurde ihm von der römischen Kirche erneut der Prozess gemacht. Doch er war auch hier standhaft und widerrief nicht. Damit galt er weiterhin als Ketzer. Die Reichsacht wurde über ihn verhängt, und er wurde für vogelfrei erklärt. Doch er konnte sich auf den sächsischen Kurfürsten Friederich den Weisen verlassen, der immer zu ihm gestanden und ihm geholfen hatte. Dieser ließ Luther entführen und ihn auf die Wartburg bringen, sozusagen in Schutzhaft. Dort lebte er von Mai 1521 bis März 1522 inkognito als Junker Jörg. Die Zeit nutzte er zur Verfassung etlicher religiöser Schriften und zur Übersetzung des Neuen Testamentes aus dem Griechischen ins Deutsche. Durch die von Gutenberg entwickelte Buchdruckkunst, die ein neues Medienzeitalter eingeleitet hatte, konnten seine Schriften nun, wie schon die Jahre zuvor, gedruckt werden und fanden überall Verbreitung. Der Flächenbrand der Reformation breitete sich aus und spaltete die deutschen Lande.
Vor dem Hintergrund dieser beiden Geschichten ist ein Besuch der Wartburg natürlich besonders reizvoll, und auch eindrucksvoll. Die gesamte Anlage hat Luther so, wie sie heute steht, jedoch nicht kennengelernt. Ab 1853 wurde die Burg wieder aufgebaut und hat ihr heutiges Bild erhalten, das uns so vertraut ist, auch wenn wir bisher noch nicht dort waren. Doch das soll nun anders werden.
Ein wenig aufgeregt ist man schon, wenn man von Eisenach die Straße durch den Wald hinauffährt. Natürlich hält man mal an, um die Burg schon von weitem anzuschauen und das erste Foto zu machen. Bald darauf erreicht man den Parkplatz. Doch um zur Burg zu gelangen, muss man sich erst mal ordentlich ins Zeug legen. Dazu müssen 240 Treppenstufen erklommen werden, was so manchem der hauptsächlich älteren Besucher sichtlich schwerfällt. Doch dann hat man es geschafft, und dann steht man vor der Kulisse, die man schon so oft auf Bildern gesehen hat. Und dieser Anblick ist nicht viel weniger als atemberaubend. Vor einem das Torhaus, und von dort zieht sich nach links die weißverputzte Fassade mit dem Wehrgang obenauf zum Palas hin. Darüber erhebt sich der eckige Bergfried mit dem goldenen Kreuz auf der Spitze. Für diesen großartigen Anblick muss man sich einfach Zeit nehmen und ihn in aller Ruhe genießen. Gänsehautatmosphäre.
Danach schreitet man über die Zugbrücke und gelangt durch das Torhaus. Man erreicht den ersten Innenhof. Die einzelnen Gebäude sind eine Mischung aus verschiedensten Zeiten und Epochen. Es ist ein Kulturmix aus Romantik, Gotik, Renaissance und Historismus. Gleich zur Rechten der Fachwerkbau der Vogtei, der Luther 10 Monate lang als Unterkunft diente. Auf den Simsen vor den Butzenscheibenfenstern sitzen schneeweiße Tauben, die mit ihren aufgestellten Schwanzfedern dem Märchen von Aschenputtel entsprungen sein könnten. Der auffällige Nürnberger Erker gehört allerdings nicht zum Originalbau. Er wurde erst im 19. Jahrhundert angebaut.
Vorbei am großen Turm und durch ein weiteres Torhaus gelangt man in den zweiten Innenhof. Zur Linken befindet sich der große Palas, rechts hinten in der Ecke der zweite Turm, der in der unteren Hälfte vollkommen von grünem Wein umrankt ist. Ihn werden wir später besteigen, um auf die bewaldeten Hänge des Thüringer Waldes zu schauen. Doch zunächst wollen wir eine Führung durch den Palas mitmachen. Das ist natürlich ein Muss auf der Wartburg.
Der Palas ist das prächtigste Gebäude der ganzen Anlage. Von 1155 bis 1180 wurde er im romanischen Stil erbaut. Er gehört zu den schönsten und bedeutendsten mittelalterlichen Profanbauten nördlich der Alpen. Einige seiner Räume präsentieren das Mittelalter so, wie man es sich vorstellt. Nach dem Eingangsraum, in dem sich eine Kopie der Grabplatte von Ludwig dem Springer befindet, der die Wartburg der Legende nach im Jahr 1067 gegründet haben soll, geht es in den Rittersaal (die Namen sind erst in der Zeit der Romantik entstanden), der durch seine Schlichtheit beeindruckt. Das Kapitell der einzigen Säule schwingt sich zu allen Seiten des Raumes zur Decke hinauf. Es folgen der Speisesaal, von dem man allerdings nicht weiß, ob dort tatsächlich getafelt wurde und die Elisabethkemenate. Sie ist mit prächtigen Mosaiken ausgestattet, die aus fünf Millionen Teilen bestehen. Wer hat sich wohl diese Arbeit gemacht. Fassungslos steht man davor. Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., hat den Raum zu Beginn des vorigen Jahrhunderts so aufwändig ausschmücken lassen.
Im ersten Obergeschoss gelangt man durch das Landgrafenzimmer in den Sängersaal. Hier soll also der Legende nach im 13. Jahrhundert der Sängerkrieg stattgefunden haben. Ein großes Wandgemälde von Moritz von Schwind, der im 19. Jahrhundert mehrere Räume des Palas ausgemalt hat, zeigt eindrucksvoll den Sängerwettstreit. Dabei tragen einige der beteiligten Barden die Gesichtszüge später lebender Personen. So zum Beispiel die von Martin Luther, Richard Wagner oder Franz Liszt.
Weiter geht’s durch eine Kapelle, in der noch schwache Reste 700 Jahre alter Wandmalereien erhalten sind.
Im dritten Obergeschoss befindet sich der prächtigste aller Räume. Nachdem man den langen Gang der ebenfalls kunstvoll ausgemalten Elisabethgalerie passiert hat, in dem Moritz von Schwind sieben Stationen aus dem Leben dieser heiligen Frau im Bild festgehalten hat, betritt man den Festsaal. Er erstreckt sich über die gesamte Länge des Gebäudes. Mit der trapezförmigen Holzdecke, den geschwungenen Bogenfenstern, den Wände füllenden bunten Ornamenten und den großen herabhängenden runden Leuchtern, bildet er optisch den Höhepunkt des Palas. Von diesem geschmackvollen Prunk war der bayrische Märchenkönig Ludwig II. so beeindruckt, dass er den Saal in seinem Schloss Neuschwanstein nachbilden ließ. Mit diesem prächtigen Anblick geht die Führung zu Ende.
Anschließend gelangt man in ein Museum, dessen interessante Ausstellungsstücke natürlich Martin Luther gelten. Mehrere Portraits von ihm kann man anschauen. Einige Kopien, aber hinter Panzerglas geschützt hauptsächlich Originale. Es sind Bilder, die in jedem Geschichtsbuch zu finden sind. Fast alle stammen sie von Lukas Cranach dem Älteren, der mit Luther eng befreundet war und der ihn viele Male gemalt hat. Interessant sind auch diverse von Luthers Schriften, die vor 500 Jahren gedruckt wurden. Betrachten kann man außerdem einen kunstvoll verzierten Löffel, den Luther einmal seinem Freund Melanchton zum Geschenk gemacht hat.
Im Anschluss gelangt man voller Spannung durch einen langen Wehrgang in die Vogtei, geht es doch nun auf den Höhepunkt der ganzen Burg zu, dem Lutherzimmer. Man wirft noch einen Blick in die kleine Kammer eines Eseltreibers und die eines Gelehrten. Doch dann betritt man die Lutherstube.
Grobe Holzverkleidung an den Wänden. Fenster mit matten, runden Butzenscheiben. An der Wand ein schwerer Eichentisch mit einer Lutherbibel darauf, darüber ein Luthergemälde. Weiter rechts ein grüner Kachelofen. Dahinter ein verputzter Wandbereich. Sollte Luther an ihn der Legende nach das Tintenfass geworfen haben? Der Putz ist teilweise herausgebrochen. Diente er frühen Touristen als Andenken? Die Stelle wirkt der Form nach mit etwas Phantasie wie eine mit Hörnern versehene Teufelsgestalt. Die spärliche Einrichtung des Raumes stammt allerdings nicht aus der Lutherzeit. Einzig und allein ein Schemel aus Walfischknochen ist aus der Originaleinrichtung übriggeblieben, den Luther als Fußbank benutzt hat.
In dieser Stube also hat Luther gesessen und das Neue Testament übersetzt. Damit, und auch mit vielen anderen Schriften, die er an diesem Ort verfasst hat, hat er zusätzlich eine moderne deutsche Schriftsprache geschaffen. Auch davor gab es schon Bibelübersetzungen. Doch Luther drückte sich in seinen Schriften so aus, dass es das Volk auch verstehen konnte.
Viele Touristen kommen in den Raum bis zur Absperrung herein. Sie werfen einen kurzen Blick und sind dann gleich wieder verschwunden. Doch wer wirklich interessiert ist, der bleibt länger stehen und lässt diese Umgebung in aller Ruhe auf sich wirken. In dieser Stube ist Weltgeschichte geschrieben worden. Hier hat Luther gewirkt. Man sieht ihn förmlich vor sich: Im funzligen Licht einer Öllampe an einem Tisch sitzend, mit einer Skriptolfeder in der Hand, weit vornübergebeugt unaufhörlich schreibend. Gerade an diesem Ort umweht einen der Hauch der Geschichte und der dramatischen Geschehnisse, die sich vor fast 500 Jahren zugetragen haben. Mehr als an vielleicht jedem anderen Ort, an dem sich Luther aufgehalten hat. Natürlich auch hier Gänsehautatmosphäre.
Nach dem Blick vom Turm auf die bewaldeten Hänge des Thüringer Waldes mit dem Großen Inselberg, ist man am Ende der Besichtigung angekommen. Die Eindrücke, die Luther betreffen, waren bei mir stark. Von der Burganlage selber hingegen sind sie zwiespältig. Die vielen Veränderungen, die im 19. Jahrhundert und auch danach durchgeführt wurden, lassen sie nicht unbedingt mittelalterlich erscheinen. Die ständigen Restaurationen und Modernisierungen tragen dazu bei. So würde meiner Ansicht nach zum Beispiel dem Burghof statt der glatten Bodenplatten ein rustikales Kopfsteinpflaster besser zu Gesicht stehen. Aber vermutlich ist das ein Zugeständnis an den Tourismus, der wohl zum großen Teil zur Finanzierung der Erhaltung der Anlage beiträgt. Aus der landschaftlichen Umgebung hingegen entspricht der Gesamteindruck der Burg der eigenen Vorstellung.
Wie dem auch sei. Für einen geschichtlich interessierten Menschen ist die Wartburg unbedingt einen Besuch wert, auch das nicht allzu weit entfernte Wittenberg. Den Orten nahe zu sein, an denen sich Geschichte ereignet hat. Sie mit eigenen Augen zu sehen. Mit den eigenen Füßen den Boden zu betreten, auf dem Historisches geschehen ist. Geschichte zum Anfassen, zum Begreifen. Das ist es, was sie noch spannender und noch interessanter macht. Und dann kann man die Ereignisse, die sich an diesen Orten abgespielt haben, auch noch besser nachvollziehen.
Nachtrag 2018: So sehr die Reformation die damalige Welt auch verändert hat. Verstehen kann ich nicht, dass in diesem Jahr der Reformationstag in Niedersachsen zum Feiertag erklärt wurde. Es zeugt wegen Luthers Judenfeindlichkeit nicht gerade von Feinfühligkeit gegenüber den jüdischen Mitmenschen und dem jüdischen Glauben.
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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